Die Weltwirtschaftslage ist durch Pandemie und Ukrainekrieg mehr als unsicher. Die Gasmangellage zieht sich durch alle Branchen. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Die Chemieindustrie als eine der energieintensivsten Branchen ist stark betroffen von diesen Faktoren. Aber: „Wir wollen nach vorne schauen, nicht nach hinten“, eröffnete Christoph Kappenhagen, Vorstandsvorsitzender von ChemCologne und Geschäftsleiter der YNCORIS GmbH. Ob Frank Hyldmar, Geschäftsführer der CURRENTA GmbH & Co. OHG, Bart van Assche, Vice President Global Infrastructure Technology bei BASF, Thomas Wessel, Vorstandsmitglied der Evonik Industries AG oder Dr. Hubert Fink, Vorstandsmitglied bei der LANXESS AG: Die Referenten waren sich einig, dass die Chemiebranche aktuell und in den nächsten Jahrzehnten vor enormen Herausforderungen steht. Die Technologien und Projekte seien innovativ und reichten von Grünstrom aus erneuerbaren Energien und Wasserstoff als Gasalternative über Abwärmenutzung durch Wärmepumpen bis hin zu Schwimmdächern aus Glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK), wie sie Joanna Hajnaj, CEO der EPT for Storage Tanks GmbH, vorstellte.
Und auch wenn Dr. Thorsten Bug, Senior Manager Chemicals bei Germany Trade and Invest, in seinem Beitrag betonte, dass trotz explodierender Gas- und Stromkosten die deutsche Chemieindustrie bei Umsatz und Investitionsaktivität weiterhin mit Abstand die Nummer eins in Europa sei: der Blick in die Zukunft blieb getrübt. „Das sind alles Projekte mit hohen Investitionskosten. Das geht nur mit Unterstützung. Das Thema Förderung treibt uns alle um“, betonte van Assche in seinem Vortrag über das Net Zero Accelerator-Projekt der BASF. Und auch Fink fordert in seinen Ausführungen zum Thema Niedrigwasser „Unterstützung seitens der Politik“ und eine „zwingende Zusammenarbeit in Sachen Technologie und Entwicklung.“
Eindeutige Forderungen, die die Referenten unmittelbar an die Politik herantragen konnten. In der anschließenden Podiumsdiskussion tauschten sich Wessel und Fink gemeinsam mit Paul Münnich, Projektmanager bei den Transformations- und Energiewende-Experten von Agora Industrie, mit dem NRW-Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr Oliver Krischer aus. „Um die Chemieindustrie der Region klimaneutral zu machen, muss doppelt so viel Strom erzeugt werden“, so Krischer. Wasserstoff sei hierbei ein entscheidendes Mittel, könne aber nicht die einzige Lösung sein. Wichtig sei es, auf direkte Elektrifizierung zu setzen, in erneuerbare Energien zu investieren und Grünstrom zu importieren. Auch Münnich und die Agora setzen auf drei ähnliche Strategien: die Elektrifizierung von Prozesswärme, das Recycling von Abfallstoffen und die Defossilisierung der Chemie.
Alles Maßnahmen, die laut Wessel eine enorme Beschleunigung benötigen. „An der ein oder anderen Stelle müssen die Rahmenbedingungen angepasst werden“, so der Evonik-Vorstand. Krischer versprach, der Chemieindustrie und anderen produzierenden Branchen die Priorität bei den Genehmigungsverfahren einzuräumen. Um diese zu beschleunigen, seien zudem bereits 240 Personalstellen geschaffen worden. In Bezug auf die Logistikengpässe prognostizierte der Minister allerdings keine zeitnahen Fortschritte und stellte klar: „Hier wird sich so schnell nichts ändern. Es wurde lange zu wenig investiert. Es ist schon schwer, den Status quo zu halten.“ Hier müsse auch die Industrie Beiträge leisten und beispielsweise in die Modernisierung der Schiffsflotten investieren.