(Teil 1)
Herr Mayr, Sie sind seit 1985 im Intralogistik-Software-Bereich tätig. Gewissermaßen gehören Sie zu den Veteranen der Branche. Wie haben sich die Intralogistik-Systeme in Ihren Augen seitdem verändert?
Zunächst, was sich kaum verändert hat: die Anforderungen der Kunden. Wenn ich an die Systeme denke, die wir in den 80er Jahren geliefert haben, dann sind die Anforderungen durchaus ähnlich, wie die heutigen Systeme auch. Nur, dass sie nicht grafisch waren, deutlich weniger Algorithmen hatten und es wurden weniger Daten übertragen. Außerdem waren die Technologien deutlich langsamer und einfacher. Aber einen Bildschirm auf dem personenbedienten Regalbediengerät gab es damals auch schon. Ein wesentlicher Einschnitt war dann sicherlich das Aufkommen des Internets, Anfang der 90er Jahre. Das hat ab 2000 dann richtig durchgestartet, sodass man mehr Daten schneller übertragen konnte. So konnten wir schon bald die ersten SaaS Systeme einführen. Der Kunde loggt sich ein und hat sofort eine Lagerverwaltung. Das kam 2004.
Was man insgesamt sagen kann: Die Automatisierung hat in der Zeit – ab 2010 – wesentlich zugenommen. Es werden jetzt im Verhältnis deutlich mehr automatische Lager gebaut, als wir früher ausgestattet haben. Gerade wenn es um Einsparungen geht, wird das vollautomatische Lager für viele Unternehmen heute attraktiv. Deshalb wird heute stark in die Automatik investiert. Noch ein Unterschied zu früher: die besseren Bedieneroberflächen. Die Nutzung wird einfacher, die Einarbeitungszeit geringer, die Arbeit leichter – durch einfachere Oberflächen und eine intuitive Arbeitsweise durch intuitive Oberflächen.
Wie verändert sich die Nutzung von einem WMS in Zukunft?
Die Grundlage für die logischen Entscheidungen, die ein WMS trifft, die findet man heute in den Stammdaten. Dort ist hinterlegt, welche Anforderungen ein Artikel hat, Größe, Gewicht, welche Artikel häufig zusammen kommissioniert werden und und welche Kommissioniertechnik verwendet wird. Diese Daten müssen so gepflegt sein, dass das System bestmöglich entscheiden kann, welchen Lagerplatz es nimmt, welcher Weg der Kürzeste ist - das geht alles aus den Stammdaten hervor. Die regelmäßige Überarbeitung und Pflege dieser Daten ist ein sehr arbeitsintensiver Vorgang. Wer das gut macht, kann hier jedoch wirkliche Effizienzgewinne in der Lagerhaltung generieren. Erfahrungsgemäß sind die Stammdaten aber die Schwachstelle in den meisten Unternehmen.
In Zukunft wird es eine Technologie geben, die die Pflege dieser Stammdaten im Grunde überflüssig macht – die künstliche Intelligenz. Sie lernt aus den Fehlern, die sie macht und pflegt dadurch die eigenen Stammdaten. Die sehen natürlich nicht mehr so aus, wie die Stammdaten, die ein Mensch einträgt. Sondern das sind Lerneffekte – und durch dieses Lernen weiß das System dann, wo welcher Artikel bestmöglich liegen muss. Künstliche Intelligenz wird uns dazu bringen, dass wir weniger administrieren müssen und dass die Systeme ganz selbstverständlich immer das Richtige tun.
Das klingt ein bisschen utopisch…
Ja, das ist vielleicht auch utopisch. Aber das ist das Ziel. Es sind wieder Algorithmen, die dahinterstecken, die Art der Programmierung verändert sich vollständig und der Simulation kommt eine höhere Bedeutung zu, weil die Systeme zuerst aus der Simulation ein Grundwissen erlernen müssen. Die Aufgabenstellung ist ganz anders und die Ergebnisse sind zu Beginn nicht immer eindeutig nachvollziehbar. Aber das wird mit der Zeit natürlich immer besser. Wir sind hier ja am Anfang – das muss man so sehen. Ja, KI ist in aller Munde, aber im Grunde steckt die Technologie noch in den Kinderschuhen.
Wird künstliche Intelligenz also ein Game-Changer wie das Internet?
Ja, ich denke das ist schon vergleichbar. Wir merken die Veränderung von außen gar nicht, weil das System einfach funktioniert. Jetzt, also heutzutage, müssen wir richtig was tun, damit das System das tut, was es tun soll. Wir müssen die Lagergenerierung machen, ABC-Kriterien festlegen, mit Chargenverwaltung oder ohne, Multi-Order-Picking – diese Daten oder Vorgänge müssen wir festlegen und zuvor bestimmen. Wie wird kommissioniert? Zweistufig oder einstufig? Das hängt von der Auftragszusammensetzung ab. Das macht heute ein Berater oder ein guter Administrator, der sich in seinem System gut auskennt. Der stellt das alles ein. Eine Intralogistik ist so komplex, dass es ohne Intelligenz hinter der Steuerung nicht funktioniert. Künftig macht das alles das System selbst. Nur, dass das nicht leicht zu erreichen ist. In der klassischen Programmierung werden Logiken implementiert, die aus der Analyse heraus entstanden sind. Die KI muss diese Erfahrung erst sammeln. Das ist eine faszinierende Technik.
CIM kooperiert in diesem Bereich unter anderem mit KI-Forschern der TUM. Gibt es hier bereits Ergebnisse?
Es gibt viele Tests, die sind wirklich vielversprechend. Da funktioniert der Lerneffekt und die simulierte Intralogistik gewinnt erheblich an Effizienz. Es zeichnet sich bei uns ab, dass die Anwendung von Künstlicher Intelligenz im Warehouse-Management definitiv kommen wird. Der sehr öffentlichkeitswirksame Einsatz der neuen großen Sprachmodelle (LLM) befeuert diese Entwicklung noch weiter. Deshalb haben wir neben dem laufenden Projekt gemeinsam mit der Technischen Universität München (TUM) auch schon zwei weitere Forschungsprojekte in den Startlöchern. Ich bin sehr zuversichtlich und unsere Leute sind hier an der vordersten Front in der praktischen Umsetzung: Wir haben unser KI-System bereits bei einem Kunden in einer
Testumgebung implementiert. Künstliche Intelligenz wird also nicht nur kommen, sondern KI ist bei CIM schon gelebter Alltag.
(Teil 2)
In Teil 1 dieses Interviews haben wir mit Fritz Mayr, Gründer und Geschäftsführer von CIM, über die Veränderung von Intralogistik-System und die künstliche Intelligenz als Game-Changer gesprochen. In Teil 2 widmen wir uns den Themen Automatisierung, Dark Warehouse und dem CO₂-Fußabdruck im Lager.
In den vergangenen Jahren war die Branche – so wie die gesamte deutsche Wirtschaft – vor gewaltigen Herausforderungen gestanden. Das tut sie heute immer noch. Wie haben Corona, die Wirtschafts- und Energiekrise Ihr Unternehmen beeinflusst? Hat sich die Branche in Ihren Augen verändert?
Corona hat uns gezeigt, wie wir, ohne in der Firma zu sitzen, trotzdem arbeiten können. Ohne die Pandemie hätten wir das nicht geschafft. Jedenfalls nicht in der Zeit. Wir haben jahrelang gebraucht, um ein Videosystem einzuführen, und es hat nicht geklappt. Dann hat an einem Freitag die Regierung verkündet, dass ab Montag niemand mehr in der Firma ist. Am Samstag ist das System installiert worden und am Montag haben alle damit gearbeitet. Es lief perfekt.
Die Arbeitsweise hat sich dadurch vollständig verändert. In den Büros sind nur noch die Hälfte aller Mitarbeiter*innen vor Ort. Dann ist ein großer Teil natürlich verteilt in unseren Außenbüros in München, Dresden, Den Haag und Münster. Aber sicherlich die Hälfte unserer Leute ist im Home-Office. Dezentrales Arbeiten ist für uns mittlerweile völlig normal. Deshalb gibt es regelmäßige Präsenzwochen, in denen wir die Mitarbeiter*innen von CIM dazu anhalten, nach Möglichkeit ins Stammhaus nach Fürstenfeldbruck zu kommen. Der zwischenmenschliche Faktor darf nicht verloren gehen, bei allen Vorteilen, die dezentrales Arbeiten bringen kann.
Wie sieht es in der Intralogistik aus?
Von der Intralogistik her bemerken wir momentan, dass die Projekte zugenommen haben. Vor allem die Automatisierung hat einen Schub nach vorne gemacht, da ein automatisiertes System mit weniger Betreuungsaufwand betrieben werden kann. Weniger Menschen in den Lagern, das ist das Ergebnis. Und in diesem Zusammenhang merken wir auch, dass die automatischen Systeme insgesamt zunehmen. Automatische Systeme verschiedener Hersteller zusammenzubringen und in einem WMS zu verbinden, das ist etwas, was mittlerweile häufig gefragt wird. Das ist auch ein zunehmender Markt – kein steil steigender Markt, aber es ist ein konstant steigender Markt. Immer noch sehr gefragt sind die Systeme, die Online-Shops betreiben und dadurch eine sehr hohe Zahl an Kleinaufträgen bewältigen müssen. Sehr zugenommen haben auch Kunden, die Lager rund um die Welt betreiben. Dadurch dass moderne Intralogistik-Systeme wie PROLAG World über Browser bedient werden, können und Kunden sehr einfach an jedem Ort der Welt mit ein paar Klicks ihre Waren in neue Lager ein- und auslagern. Unsere Rechenzentren in München bedienen Lager rund um den Globus. Auch automatische Lager werden heutzutage aus zwei mit allen europäischen Umwelt- und Sicherheitszertifikaten ausgestatteten Rechenzentren bedient.
Ist ein WMS wie PROLAG World bei der Automatisierung der Intralogistik besonders gefragt?
Es gibt natürlich etliche Hersteller, die zu ihrer Lagerautomatik, die sie anbieten, auch ein WMS anbieten. Ihr WMS ist speziell auf diese Automatik angepasst, weil der Großteil ihrer Kunden mit ihren Lagerautomaten arbeitet. Anders ist es bei CIM. Wir haben keine Herstellerpräferenzen, sondern haben unser System an alle gängigen Lagersysteme angebunden. Selbstfahrende Fahrzeuge, Shuttlesystem, Palettier-Roboter, Sortieranlagen oder AutoStore-Anlagen: Alles ist bereits bei Kunden installiert und im Materialfluss optimiert. Wir haben dafür einen eigenen standardisierten Materialflussrechner mit Visualisierung, der beliebig viele Steuerungen optimieren kann.
Eines der derzeitigen Themen ist ja die Energiekrise. Wie geht CIM damit um? Und wie kann ein WMS dabei helfen, Energie zu sparen?
Bei uns im Haus haben wir ca. 1 % des Umsatzes an Energiekosten. Die Cloudsysteme sind da nicht berücksichtigt. Die Rechenzentren, also unsere Cloud, die arbeiten mit grünem Strom, was die Abhängigkeiten reduziert und die Stromkosten ebenfalls. Das Energiebewusstsein ist spürbar größer geworden. Durch die vielen Videokonferenzen sind die Fahrten mit dem Auto auch deutlich reduziert. Unser Fuhrpark hat sich seit dem Ausbruch der Pandemie übrigens vollständig elektrifiziert und darüber hinaus sogar verkleinert – trotz gestiegener Projektzahlen.
Und wie kann ein WMS dabei helfen, Energie zu sparen?
PROLAG World kann in jedem Fall dabei helfen, Energie zu sparen. Beispielsweise bei den Fördertechniken, bei denen immer die Motoren laufen. Die kann man automatisch abschalten. Unser Materialflussrechner weiß, wann Aufträge eingelastet werden und regelt danach den Energiebedarf der Motoren. Regalbediengeräte fahren in einem Eco-Modus ebenfalls langsamer, wenn die Auftragslast nicht allzu hoch ist. Auch am Licht können erhebliche Einsparungen vorgenommen werden, also Licht dimmen oder ausschalten, wenn Gassen nicht befahren werden. Wir haben auch ein Projekt in dem wir den CO2-Fußabdruck des Lagers abbilden und mit Kennzahlen optimieren. Das dient im Übrigen nicht nur den aktuellen Bemühungen, Energie zu sparen, sondern es geht uns maßgeblich um den Umwelt- und Klimaschutz. Hier herrscht ein großes Engagement in unserer gesamten Mitarbeiterschaft.
Das Licht im Lager abschalten – also ganz nach dem Prinzip ›Dark Warehouse‹?
Das Projekt „Dark Warehouse“, in das wir involviert sind, basiert auf dem Gedanken, ein Lager vollautomatisch 24 Stunden ohne Personal arbeiten zu lassen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Schichtbetriebe, Personalausfälle oder auch Krisensituationen wie beispielsweise eine Pandemie lassen sich deutlich leichter bewältigen. Es ist ein Forschungsprojekt, das wir in der Schweiz mit Partnerfirmen durchführen. Es sollte vielleicht nicht ganz dunkel betrieben werden, damit die Kommissionierroboter noch die Pakete erkennen können.
Sollte die Energieeffizienz bei der Entscheidung für ein Automatiklager eine Rolle spielen?
Die Einsparung von Energie ist nicht der ausschlaggebende Punkt. Das Schöne an der Logistik ist ja, dass die alle Einsparungen, an denen wir arbeiten, immer auch zu einem reduzierten CO2-Abdruck führen. Das sind beispielsweise die Zusammenfassung von Aufträgen, die Reduzierung von Wegen und das Vereinfachen von Abläufen mit „Ware zur Person“ Systemen. Insofern ist die Tätigkeit unseres Systemhauses eine durchgehende umweltschonende Tätigkeit.
Bei der Entscheidung für ein automatisches Lager spielen die Lagerbewegungen, die Auftragsstrukturen und die Artikelgrößen eine entscheidende Rolle. Unsere Business-Analysten kennen alle Lagertechniken und haben sehr viel Erfahrung in der Anwendung solcher Systeme. Kunden und Interessenten nehmen immer häufiger die herstellerneutrale Beratung unserer Experten in Anspruch, da hier natürlich ein hoher Praxisbezug und ein hohes Maß an Fachwissen gegeben ist.
Wir kommen zu unserer letzten Frage: Wie sieht die Zukunft der CIM und von PROLAG World aus?
Wir haben einen enorm weiten Markt, den wir noch weiter ansprechen möchten und können. Wir haben Produktionsfirmen, Logistik-Dienstleister, wir beliefern Gefahrstoff- und Gefahrguthändler und unser System verwaltet zahllose Automatiklager, teil- und vollautomatisiert. Trotzdem gibt es Branchen, in denen ohne überlegene WMS-Systeme wie PROLAG World kommissioniert wird oder die ihre Automatik mit ineffizienter Software ansteuern: Da können wir noch viel bewegen.
Vor allem aber haben wir ein Produkt, das den Nutzern einen echten Benefit bringt. Es erleichtert die Arbeit im Lager, es hilft dabei, den Fachkräftemangel zu überwinden, es verbessert den ökologischen Abdruck und es begleitet den Kunden beim Wachstum, indem es Veränderungen in den Anforderungen leicht abbilden kann. Dazu kommt noch das Unternehmen, in dem unsere Leute mit einer Begeisterung neue Technologien ausprobieren, die man sonst nur aus Start-Ups kennt. Dieser Innovationsgeist unserer Mitarbeiter*innen, die Nachhaltigkeit des Produkts und die Stabilität, die das Investment dadurch gewinnt, das sind die Faktoren, die die Zukunft für uns stark machen.
Vielen Dank für das Interview!
Vielen Dank ebenfalls – allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Partnern und Kunden wünsche ich eine schöne Weihnachtszeit und einen guten Start ins neue Jahr!