Mende: Die data2face GmbH wurde bereits in 2008 von der Psyma Group AG gegründet und beschäftigt sich seitdem mit der Nutzung von Massendaten („Rich Structured Data“) durch die Marktforschung. Zielsetzung ist es, die qualitativen Erkenntnisse der Marktforschung durch neue Technologien und innovative Methoden in Echtzeitsysteme zu übertragen
Cintelligence: Wie sieht Ihr Geschäftsmodell aus?
Mende: data2face hat einen Smart Research Service entwickelt, mit dem die Menschen hinter den anonymen Usern von Webseiten als Typen identifiziert werden können. Grundlage ist eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Echtzeit-Analytik. Diese Analytik macht jeden einzelnen Besucher als Typ mit Interessen, Absichten und Vorlieben sichtbar.
Wir glauben, dass es einfach wichtig ist zu wissen, wer eine Webseite besucht und warum die Menschen das tun. Denn fast 80% der Deutschen sind heute online und hunderte bis tausende Menschen besuchen die Webseiten von Unternehmen jeden Tag – oft in sehr intensiven User-Sessions.
Cintelligence: Ihr Vortragstitel lautet „Qualitative Kunden-Insights durch Echtzeitanalytik des Verhaltens von Website-Besuchern“. Worum wird es gehen?
Mende: Gemeinsam mit unserem Technologie-Partner epoq internet services aus Karlsruhe haben wir einen völlig neuartigen Ansatz für Big-Data-basierte Web-Analytik entwickelt. Heute können wir nach mehr als zwei Jahren Entwicklungszeit ein hochperformantes Echtzeit-System nutzen, mit dem die Interessen und Absichten jedes Besuchers einer Webseite extrahiert werden können.
Hierzu werden die Clickstream-Daten aller User („Behavioral Data“) durch einen Deep-Learning-Algorithmus analysiert und einem spezifischen User-Typ zugeordnet – alles in Echtzeit über einen hochskalierbaren Web Service.
Die User-Typen sind dann die Grundlage für die Web-Personalisierung und/oder für darauf aufbauende Analytik- oder Research-Services.
Cintelligence: Auf welche Probleme sind Sie gestoßen?
Mende: Die größte Herausforderung bestand natürlich in der Entwicklung des Algorithmus. Clickstream-Daten weisen eine extrem hohe Varianz auf. Nur durch eine völlig neuartige KI-basierte Datenanalytik war es möglich, ein Mustererkennungssystem zu entwickeln, mit dem verhaltensähnliche User in Typen klassifiziert werden konnten.
So etwas kann man nur entwickeln, wenn man klar definiert, wie das Ergebnis strukturiert sein soll. Genau hier lag die Schwierigkeit: Als klassische Marktforscher wollten wir eine Kundensegmentierung in Online-Daten übertragen und als Grundlage für einen Echtzeit-Service nutzen. Das war aber zu aufwändig. Deshalb mussten wir komplett umdenken, also von den Daten her denken und unser Geschäftsmodell komplett modifizieren.
Cintelligence: Was lief gut?
Mende: Die Zusammenarbeit mit der Psyma war von einem sehr hohen Maß an Vertrauen geprägt und dabei sehr ziel- und sachorientiert. Sie haben uns die Zeit und die Chance gegeben, das Projekt „neu zu denken“ – und das seit über 2 Jahren. Ich denke, dass man so etwas selbst bei Großunternehmen nicht so oft antrifft – und wahrscheinlich noch weniger bei professionellen Investorengruppen.
Richtig Spaß gemacht hat die Zusammenarbeit mit unserem Technologiepartner epoq internet services. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht so viele Unternehmen in Deutschland gibt, die über vergleichbare Data Science Expertise verfügen. Sie halten einen fundamentalen Erfahrungsschatz bereit für die Entwicklung, die Umsetzung und den Betrieb solcher Echtzeit-Services.
Cintelligence: Wenn Sie Managern, die Big Data Projekte angehen möchten, drei Ratschläge geben müssten, wie würden diese lauten?
Mende: Als erstes muss eine konkrete und hinreichend belegte Geschäftsidee existieren. Man muss mit einem ersten Konzeptpapier bei den potenziellen Kunden vorsprechen und deren Meinung einholen. Und dabei sollten es – ganz wichtig – nicht irgendwelche Unternehmen sein, sondern schon die Top-Unternehmen.
Zweitens sollte ein Big Data Projekt eher außerhalb der bestehenden Strukturen ablaufen. Nur so kann ein echter Entwicklungsschritt erreicht werden. Ich glaube, das gilt sogar für Prozess-Innovationen, also für Optimierungen des Bestehenden.
Drittens – und ich glaube das ist am schwierigsten – erreicht man nur dann etwas, wenn Leute mit Erfahrung und Wissen an einem solchen Projekt arbeiten. Erfahrene Manager haben allerdings nicht immer die größte Lust, wieder „von vorne anzufangen“ und im Startup-Modus zu arbeiten. Das ist eine Herausforderung.
Cintelligence: Die aktuelle digitale Transformation hat Auswirkungen auf die klassische Marktforschung. Vor welchen Herausforderungen steht die Branche?
Mende: Faktisch stehen Marktforscher vor dem Problem, dass Ihnen ihr Wissensmonopol wegbricht, weil immer mehr Kunden-Daten durch automatisierte Systeme zusammen getragen werden können. Deshalb schmilzt der Wissens- und Interpretationsspielraum der Marktforscher kontinuierlich zusammen.
Erforderlich ist auch eine systemische Kompetenz, denn Big Data im Marketing-Umfeld bedeutet die Echtzeit-Verarbeitung großer Mengen von Verhaltensdaten (also Messdaten) und deren explorative Analyse. D.h., neue Erkenntnisse durch die Zusammenführung von unterschiedlichsten Daten. Das geht aber oft nur mit IT-Systemen, die ganz anders arbeiten als herkömmliche Marktforschungstools. NoSQL ist hier ein Stichwort.
Aber die Marktforschung hat auch ein starkes Asset, nämlich die Fähigkeit Sinnzusammenhänge zu erkennen und zu interpretieren. Das können Ingenieure und Software-Entwickler meist nicht so gut.
Cintelligence: Big Data und KI-basierte Analytik stehen noch am Anfang. Wie schätzen Sie die künftige Entwicklung und die Potenziale für data2face ein?
Mende: Gigantisch. Auch wenn sich das ein bisschen abgehoben anhört, aber wir sehen in der Sache schon ein großes Potenzial – sowohl für das Operativ-Marketing als auch für Analytics und Marktforschung.
Denn aktuell ist Online Marketing eher Online Sales und zwar mit US-amerikanischer Prägung. Die analytisch-strategische „Zielgruppen-Denke“ des klassischen Marketings findet hier eigentlich gar nicht statt. Die Top-Themen sind Performance und Conversion. Oder: „Jedem, den ich im Internet finde, verkaufe ich auch was...“.
Für Anbieter ist das aber nicht zielführend. Hier werden klassische Marketing- und Branding-Aspekte zukünftig eine deutlich höhere Relevanz haben. Ziel ist ein besseres Markenerlebnis durch den passenden, zielgruppengerechten Content.
Und auch für die Marktforschung bietet unser Ansatz neue Perspektiven, denn er ermöglicht ja gerade die Interpretation und Bewertung von User-Verhaltensdaten in Echtzeit. Unser Service macht den qualitativen Fit einer Story, eines Auftritts oder einer Aktion bei den relevanten Zielgruppen messbar.