Die Erfahrung in der Elektroindustrie ist, dass Kunden dazu neigen, stets Produkte für den höchsten Harzard Level 3 anzufragen. Aufgrund der komplexen Norm ist dies durchaus verständlich, denn somit liegt man immer auf der „sicheren Seite“. Allerdings sind mit dieser Vorgehensweise ggf. Nachteile verbunden:
- Produkte für HL3 sind zumeist teurer wie für HL2
- geringeren Brennbarkeit und Rauchentwicklung gehen zu Lasten anderer Eigenschaften (z.B. Biegesteifigkeit, UV-Beständigkeit, Temperaturstabilität), die sich ggf. verschlechtern.
Es kann also von Vorteil sein, sich in der Lieferkette vom Rohmaterialhersteller über den Komponenten-/Gerätehersteller bis zum Systemlieferanten (fertiges Schienenfahrzeug) im Klaren zu sein, wo und unter welchen Umständen der Einsatz des „brennbaren Materials“ erfolgen wird. Auf diese Weise können Kostenvorteile optimal genutzt werden und die Auswahl an verfügbaren Werkstoffen ist größer. Allerdings ist dazu eine genaue Kenntnis der Anforderungen und Möglichkeiten innerhalb der EN 45545 an allen Stellen notwendig.
Die Norm gliedert sich in sieben Teile, wobei im Teil 1 die grundsätzlichen Definitionen und allgemeinen Regeln für Schienenfahrzeuge mit den grundsätzlichen brandschutztechnischen Schutzzielen zu finden sind. Kurz gefasst kann man sagen, dass die Konstruktion eines Schienenfahrzeuges so ausgelegt werden soll, dass eine Evakuierung und Rettung der Fahrgäste und des Personals bei Brand möglich sein muß.
Das bedeutet konkret, dass die Wahrscheinlichkeit der Entzündung reduziert, die Brandausbreitung verhindert und in ihrer Auswirkung auf Menschen minimiert werden soll.
In Teil 2 werden die Anforderungen an das Brandverhalten von Werkstoffen und Komponenten beschrieben. In Teil 5 wird die Brandschutzanforderung an die elektrische Ausrüstung behandelt.
Die Norm folgt einem durchgehenden Gedanken der Gefährdungsklassen. Denn ein unbesetzter Waggon (Bauartklasse A) hat ein geringeres Gefährdungspotenzial wie ein vollbesetztes Doppelstock-Fahrzeug (Bauartklasse D) mit über 100 Fahrgästen an Bord. Ebenso ist der Betrieb von Fahrzeugen, die nur auf offenen Strecken eingesetzt werden (Betriebsklasse 1), anders zu betrachten wie bei Schienenfahrzeugen, die auch in Tunnellängen eingesetzt werden, die eine Evakuierung nur schwer zulassen (Betriebsklasse 4).
Aus Sicht des Materialherstellers ist also bereits der geplante Einsatzort entscheidend für die brandschutztechnischen Eigenschaften, die sein Produkt erfüllen muß.
Die erste Entscheidung, die zu treffen ist, betrifft die Betriebsklasse und die Bauartklasse. Aus dieser Kombination ergibt sich die Gefährdungsklasse (Hazard Level, HL1….HL3). Wesentliche Unterschiede werden vor allem in dem Grad der Auswirkung von Bränden gemacht (Wärmeentwicklung, Sichtbehinderung durch Rauch, Sauerstoffmangel und Entstehung toxischer Gase) und den daraus folgenden Prüfungen gemacht.
Die zweite Entscheidung ist die, ob der eingesetzte Werkstoff oder die eingesetzte Komponente zu den „gelisteten“ Produkten gehört oder nicht gelistet ist. Gelistete Produkte (EN45545-2 / Tabelle 2) durchlaufen einen erleichterten Prüfaufwand, da sie bereits durch Felderfahrungen / Messungen in ihrer Auswirkung beurteilt wurden.
Allerdings beinhaltet die Tabelle 2 der gelisteten Produkte (EN 45545-2:2013; Beispiel: Gruppe EL10 beinhaltet Überstromschutzschalter und andere elektrische Schaltgeräte) auch Angaben zu dem Einbauort, der Form und Ausführung sowie der bei einem Brand den Flammen exponierte Fläche. Je nach Funktion und Einsatzort werden die Produkte 26 verschiedene Anforderungssätze zugeordnet.
In Teil 2/Tabelle 5 werden den Anforderungssätzen R1 – R26 die speziellen Prüfverfahren und Grenzwerte (ergeben sich aus der Gefährdungsklasse HL1…HL3) zugeordnet.
Alle Bauteile, die nicht explizit in Tabelle 2 genannt werden, sind „nicht gelistete Produkte“. Auch hier unterscheidet man nach Einsatzart und Einbauort. Weitere Unterscheidungen sind die exponierte Fläche (kleiner oder größer 0,2 m²) und das Gewicht (kleiner 100/500 g innen; kleiner 400/1000 g aussen) sowie der Abstand der Produkte zueinander (berührend, Abstand mehr als 20 mm horizontal bzw. 200 mm vertikal im Innenbereich). Produkte unter 10 gr ohne Berührung zu anderen nicht gelisteten Produkten werden nicht brandschutztechnisch betrachtet.
Gruppierungsregel: Ein Kondensator auf einer Platine hat trotz ggf. geringerem Gewicht eine zu geringe Distanz zu einem weiteren Produkt (Platine), so dass die Gesamtmasse betrachtet werden muß .
Die für die Elektroisoliermaterialien (EIM) überwiegend eingesetzten und zutreffenden Anforderungssätze sind R22 bis R26. Der Anforderungssatz R23 zum Beispiel definiert die Eigenschaften je Gefährdungsklasse (HL1…HL3) in Bezug auf Sauerstoffverbrauch, Wärmeleistung und Toxizität für innenliegende, ungelistete Werkstoffe kleiner 0,2 m² Expositionsfläche.
Einzelne Produkte, die den Anforderungssatz R24 (u.a. Drosseln, Transformatoren, Spulen) bestehen, fallen bei der Gruppierungsregel aus der brandschutztechnischen Betrachtung heraus. Auf diese Weise kann man über die Gruppierungsregel versuchen, die Menge der Produkte, für die kein brandtechnischer Nachweis vorliegt, unter 100 g/400 g zu bringen (Reduktion der Brandlast). Denn unterhalb dieser Grenzen sind keine weiteren Nachweise zu führen.
Kurzfassung Werkstoffauswahl ( mit sinnvollem Hauptverantwortlicher):
1. Festlegung der Gefährdungsstufe (HL 1-HL 3) durch Betreiber und/oder Gerätehersteller
2. Bestimmung des Anforderungssatzes (R1-R26) durch Betreiber und/oder Gerätehersteller
3. Suche nach einem geeigneten Werkstoff, der die o.g. Einstufungen und die technischen Anforderungen der Anwendung erfüllt: Konstrukteur und Lieferant
Als Alternative zu den Einzelprüfungen der eingesetzten Werkstoffe - was z.B. bei einem Steuergerät recht aufwändig werden kann – sind auch folgende Möglichkeiten nach der EN 45545 erlaubt (Kompensatorische und alternative Maßnahmen):
- Brandschutztechnische Einhausung (Stahlgehäuse, Technikschrank)
- Brandmelde- und Feuerlöscheinrichtung
- Zertifizierung des Gesamtsystems (Abbrand z.B. einer gesamten Steuereinheit) ohne Nachweis der Einzelkomponenten
Einzelne Produkte wie Vergussmassen, Isolationsfolien, Tränkharze, Isolierklebebänder, Lackbeschichtungen auf Drähten usw. können als Einzelkomponenten nach EN 45545 getestet werden. Eine akkreditierte Prüfstelle ermittelt dazu das brandtechnische Verhalten gemäß der EN 45545 und stellt ein Zertifikat aus. Diese Zertifizierung wird von allen Zertifizierungsstellen und Systemlieferanten europaweit anerkannt. Anders wie bei vielen anderen Normen erfolgt nach der Zertifizierung eine laufende Kontrolle der Produktqualität durch die Zertifizierungsstelle.
Hersteller und Anwender sind gut beraten, wo immer möglich nicht generell die höchste Gefährdungsklasse (Hazard Level) zu fordern, um sich bei der Materialauswahl nicht unnötig einzuschränken. Zudem werden auch zukünftig Produkte, die bei der Flammhemmung helfen (Flammschutzmittel), über Regelwerke wie REACH vom Markt verschwinden.
Die Bahnnorm EN 45545 ist alles andere als ein einfaches Regelwerk. Man sollte sich daher den grundlegenden Gedanken bewusst macht, dass es um die Vermeidung von Feuer und Brandausbreitung geht. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Einteilung in Gefährdungsklassen sowie die brandtechnische Betrachtung von Einzelmaterialien und Gruppen dieser Produkte gut nachvollziehbar. Die Norm wird 2016 die bestehenden nationalen Regelungen ablösen und sich auch selbst zukünftig weiterentwickeln. Die nächste Revision steht bereits in den Startlöchern.
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