Deutschland liegt bei den Gründerzahlen weit hinter den USA und Südkorea. Geht uns der Gründergeist verloren?
Dennis Nacken: Ich glaube, der Gründergeist per se ist zum Glück hierzulande nicht verloren gegangen. Das Unternehmertum ist die DNA des mittelständisch geprägten Deutschlands und es gibt nach wie vor viele spannende Gründer. Aber im internationalen Kontext erkennt man, dass die Zahlen der Gründungen rückläufig sind.
Welche Gründe sehen Sie dafür?
Nacken: Dafür sind vor allem drei Faktoren ausschlaggebend. Kulturell betrachtet ist es leider so, dass wir in Deutschland keine ausgeprägte Aktien- und Risiko-Kultur haben. Zweitens gibt es in Deutschland nicht so viel Wagniskapital wie in den USA. Das wird aber als Startkapital für junge Unternehmen benötigt. Und drittens sind die staatlichen Anreize relativ gering und die Bürokratie ist zu groß.
Wie wirkt sich denn die derzeitige angespannte Wirtschaftslage aus?
Oliver Meinschien: Krisenzeiten sind immer herausfordernd für Gründer. Andererseits bedeuten sie auch, dass Dinge in die Hand genommen und verbessert werden, die in guten Zeiten liegen gelassen werden. Dazu gehören beispielsweise Strukturverbesserungen und Verschlankungen. Hinzu kommen weitere Herausforderungen wie die hohe Inflation, die hohen Zinsen und die allgemeine wirtschaftliche Unsicherheit. Davon sind insbesondere Scale-ups betroffen, die bereits ein starkes Wachstum und eine gewisse Größe erreicht haben.
Gilt das auch für das Wagniskapital?
Nacken: Nach einem Höhepunkt 2021 ist das Wagniskapital inzwischen rückläufig. Damals stand das Unternehmenswachstum im Vordergrund des Interesses, heute sind es vor allem Qualität und Rentabilität des Unternehmens. Insgesamt sind die Investoren vorsichtiger geworden. Auch die Venture Capital Fonds sammeln weniger Geld ein.
Auf Deutschland kommt eine Welle von Firmenübergaben zu. Wie sieht es an dieser Stelle aus?
Meinschien: Wir laden regelmäßig die Nachfolger von Familienunternehmen in unsere Berenberg Akademie ein, die etwa zwischen 18 und 25 Jahre alt sind. Der Unternehmergeist ist bei vielen familiär stark ausgeprägt. Allerdings fragen viele junge Leute heute stärker nach dem Sinn der elterlichen Unternehmen. Der Unternehmergeist ist nicht verloren gegangen, aber er wird anders gelebt.
Wie bringen Sie Family Offices mit Start-ups zusammen?
Nacken: Wir verfügen über eines der größten Family Offices-Netzwerke in Deutschland und haben Kontakt zu mehr als 400 Familien. Als Privatbank sind wir, wie der Schmierstoff zwischen Family Offices und Unternehmen beziehungsweise Gründern, indem wir beide Seiten zusammenbringen. Viele Family Offices sind auf der Suche nach Direktinvestments und für sie bieten sich Start-ups in einem vorangeschrittenen Stadium an. Wir kennen ihre Bedürfnisse und wissen genau, wo sich für welche Familie eine interessante Direktbeteiligung anbietet. Auf der anderen Seite haben wir ein breites Netzwerk von Unternehmen, die wir in den Finanzierungsrunden begleiten. Wir verbinden beide Seiten ganz gezielt, wenn sie zusammenpassen. Zusätzlich bieten wir mit unserem Direct Investment Day eine Plattform, mit der wir Unternehmer mit Single Family Office Investoren zusammenbringen. Wir verfügen also über große Netzwerke, veranstalten Events und verfolgen die direkte Ansprache.
Geht es in erster Linie um Start-ups, die schon eine gewisse Größe erreicht haben?
Nacken: Unser Ziel im Investmentbanking ist es, Unternehmen an die Börse zu bringen und folglich liegt unser Fokus auf Unternehmen, die sich in zwei bis vier Jahren einen solchen Börsengang vorstellen können. Daher arbeiten wir mit Late Stage Growth Companies zusammen, die schon aus den Kinderschuhen rausgewachsen sind. Es handelt sich um Finanzierungsrunden, die bei rund 20 Millionen Euro plus liegen. So haben wir zum Beispiel 2021 erfolgreich die deutschen Green-Tech-Unternehmen Enpal oder TesVolt in ihren Finanzierungsrunden begleitet. Letzteres war ein reiner „Family Office Club-Deal“, bei dem wir einige Unternehmerfamilien miteinander vernetzt haben. Die Investoren erfreuen sich seitdem nicht nur über schöne Geschäftszahlen, sondern sie haben gleichzeitig einen positiven Beitrag zum Klimaschutz geleistet.
Meinschien: Wir bilden aber auch schon Netzwerke für Start-ups in früheren Phasen. Wir arbeiten mit Kooperationspartnern zusammen, die ein spezielles Know-how für frühphasigere Finanzierungsrunden haben. Dazu gehört zum Beispiel der Hightech-Gründerfonds, ebenso die Investitions- und Förderbank der Stadt Hamburg. Wir können auf diese Weise unsere Investoren mit Investoren von anderen Netzwerken zusammenbringen. Zusätzlich ermöglichen wir auch den direkten Austausch von Start-ups mit klassischen Unternehmern.
Wo könnte die Entwicklung in den nächsten zwei, drei Jahren hingehen?
Meinschien: Die Situation wird sich nicht maßgeblich ändern – Inflation und Zinsen bleiben hoch und wir werden eine gewisse Zurückhaltung beim Kapital sehen. Aber: Gute Unternehmer und Unternehmerinnen mit klaren Wachstums-Case und einem nachvollziehbaren Weg zur Profitabilität werden sich auch weiterhin durchsetzen.
Nacken: Eins ist klar: Der Unternehmergeist lebt in Deutschland und er bleibt auch am Leben.
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