Trixy Schmidt: Herr Hierold, welches Thema steht für Sie in diesem Jahr im Mittelpunkt der MOTEK, wohin fährt der Zug in der Automatisierung?
Jürgen Hierold: In der Industrie gibt es eine erkennbare Tendenz, Montageaufgaben neu anzugehen - weg von der starren Vollautomation, hin zu flexiblen Werker geführten semi-automatischen Arbeitsplätzen.
Trixy Schmidt: Gibt es eine Erklärung für diesen Trend?
Jürgen Hierold: Dafür gibt es verschiedene Faktoren, wie zum Beispiel die hohe Flexibilität. Während der Finanzkrise 2008 brachen in vielen Branchen die Umsätze ein. Vollautomatische Anlagen bergen Risiken. Nur bei einer Auslastung von 100 Prozent kann die Investition ihr Amortisierungsziel erreichen, in wirtschaftlich schwierigen Zeiten stürzt die Finanzierung zusammen. Steigt die Nachfrage andererseits unerwartet an, lässt sich die vollautomatische Anlage nicht mit Überkapazität fahren. Die Produktion kann daher nicht angemessen auf die gute Auftragslage reagieren, auch wenn sie es gerne wollte - mehr als 100 Prozent geht eben nicht.
Trixy Schmidt: Und die Alternative?
Jürgen Hierold: Intelligente Handarbeitsplätze können an jede Wirtschaftslage flexibel angepasst werden. In schlechten Zeiten drosselt man die Produktion unbeschadet, in guten Zeiten sind einer Erweiterung keine Grenzen gesetzt.
Trixy Schmidt: Aber wie steht es dabei mit der Prozesssicherheit? Werker geführte semi-automatische Anlagen werden von Menschen bedient, und die machen bisweilen Fehler...
Jürgen Hierold: Die Prozesssicherheit lässt sich bei einem intelligenten Handarbeitsplatz genauso gewährleisten wie bei einer vollautomatisierten Montageanlage. Aber da sind wir bei einem wichtigen Punkt. Der Aufbau eines Handarbeitsplatzes muss wohl durchdacht sein, gewisse Kernanforderungen sollten unbedingt berücksichtigt werden. Sonst können schon in der Planung Fehler unterlaufen, die später zu Problemen führen. Unsere Automationsspezialisten gehen da nach einem speziellen Leitfaden vor, der alle essentiellen Fragen behandelt. Die Prozesssicherheit ist der erste Gesichtspunkt, den wir bei der Konzepterstellung eines intelligenten Handarbeitsplatzes betrachten.
Trixy Schmidt: Die Sicherheit der Prozessschritte basiert auf der zuverlässigen Wiederholbarkeit der einzelnen Prozessschritte und -parameter innerhalb gewisser vorgegebener Toleranzen. Wie lässt sich das in der Praxis realisieren?
Jürgen Hierold: Die Größe der Toleranzfenster bestimmt die Qualitätsstufe der eingesetzten Einzelkomponenten bei der Ausstattung des intelligenten Arbeitsplatzes. Am Anfang steht also die Definition der benötigten Prozesssicherheit für die gestellte Aufgabe. Hier besteht ein hohes Risiko für etwaige Missverständnisse. Die Anforderungen und Lösungen für die Prozesssicherheit während des kompletten Montagevorgangs müssen in allen Details besprochen und genau dokumentiert werden. Fehler bei der Konzeptfindung, speziell beim wichtigen Thema Prozesssicherheit, können im Nachgang nur schwer und mit hohem Aufwand korrigiert werden.
Trixy Schmidt: Wenn ich mir in der Montage nur enge Toleranzfelder leisten kann und hohe Qualitätsanforderungen erfüllen muss, welche Lösungen bieten sich an?
Jürgen Hierold: Hohe Anforderungen an die Qualität der Schraubtechnik erfüllen elektronische, frei programmierbare Schraubwerkzeuge. Sie erlauben das Auswerten der Schraubparameter, statistische Berechnungen, Betriebsdatenerfassung (BDE), Einbindung in Fertigungsmanagementsysteme (MES), Dokumentation und Archivierung der Montageergebnisse. Die hohe Prozesssicherheit während der einzelnen Schritte des Montageprozesses gewährleisten Arbeitsplatzkomponenten, die gezielt auf diese Anforderungen hin konzipiert wurden. Wie bei einem Puzzle müssen alle Anlagenteile aufeinander abgestimmt sein, miteinander interagieren und kommunizieren. Neben bewährten hochwertigen Schraubwerkzeugen sind solche Puzzleteile die geeignete Schraubenzuführtechnik, Schrauberpositionssysteme zur prozesssicheren Bedienerführung, Schrauber- und Ablaufsteuerungen mit entsprechender Software, Teileaufnahmen und Positioniervorrichtungen, um nur wenige Beispiele zu nennen.
Trixy Schmidt: Moderne Handarbeitsplatzlösungen erfüllen in hohem Maße den Ruf nach mehr Flexibilität in der Produktion. Was muss dabei in die Planung des semi-automatischen Handarbeitsplatzes einfließen?
Jürgen Hierold: Flexibilität kann verschiedene Prozessinhalte betreffen. Bei der Planung muss also zunächst einmal die Art der geforderten Flexibilität genau definiert werden. Betrifft der Wunsch nach Flexibilität den Prozessablauf? Wie oft muss umgerüstet werden? Wie sieht die Produktlebensdauer aus? Was soll mit dem Handarbeitsplatz passieren, wenn das Produkt ausläuft? Sind Anpassungen der Produktionszahlen zu erwarten oder müssen viele Produktvarianten an einem Handarbeitsplatz montiert werden? Die DEPRAG hält für jede Frage eine Antwort bereit. Wichtig ist, die Fragen zum richtigen Zeitpunkt zu stellen. Auch hier gilt: Fehler können nachträglich nur mit großem Aufwand korrigiert werden. Wir stellen eine Reihe von Standardlösungen bereit. Ein Beispiel: Eine verknüpfte Schraubenzuführtechnik gibt verschiedene Schraubentypen an ein Schraubwerkzeug ab. Dies wird über ein Schrauberpositionsportal zielgerichtet gesteuert: Die XY-Koordinaten der Schraubstelle werden über das Portal erkannt, mit den Zuführsystemen und der Schraubsteuerung wird kommuniziert und das notwendige Verbindungselement sowie dessen Schraubparameter ausgewählt - auf den Punkt genau. Wechselaufnahmen bieten sich an, wenn die Teileaufnahme variabel sein soll.
Trixy Schmidt: Ein Handarbeitsplatz stellt die klassische Verbindung von Mensch und technischer Einrichtung dar. Der Mensch gilt als Risikofaktor, wenn gleichbleibend hohe Qualität in der Produktion gefordert ist...
Jürgen Hierold: Nur ein Handarbeitsplatz, der die Bedürfnisse des Menschen von vornherein mit einbezieht, gewährleistet eine optimale Produktion. Unter dem Stichwort Ergonomie beleuchtet unser Leitfaden eine Reihe von Gesichtspunkten, die bei der Ausstattung des bedienerfreundlichen Arbeitsplatzes eine Rolle spielen. Im Fokus stehen das ermüdungsfreie und prozesssichere Arbeiten, die Sicherheit am Arbeitsplatz, das bedienerfreundliche Agieren, die klare Anzeige, Auswertung und Behebung von Prozessdaten oder Fehlern. Dazu kommen ein optimaler Materialfluss sowie - und das ist sehr wichtig - die ergonomische Form beispielsweise des Schraubwerkzeugs. Aber auch das entsprechend konstruierte HMI (Human Machine Interface) mit benutzerfreundlicher Hardware und leicht verständlicher Software und dazu eine optimale Visualisierung erhöhen die wichtige Akzeptanz des Arbeitsumfelds durch den Bediener. Nur wer gern arbeitet, tut es auch gut.
Trixy Schmidt: An Handarbeitsplätzen werden auch wertvolle, hoch empfindliche elektronische Bauteile montiert, wie zum Beispiel Leiterplatinen. Wie steht es denn mit der ESD-Fähigkeit und der Technischen Sauberkeit bei der Werker geführten semi-automatischen Montageanlage?
Jürgen Hierold: Auch auf diese Punkte machen wir in unserem Leitfaden aufmerksam. Bei der Montage am intelligenten Handarbeitsplatz werden elektronische Produkte durch gezieltes Abführen elektrischer Ladungen geschützt. Unsere DEPRAG Lösungen tun dies durchgängig (über alle Komponenten des Handarbeitsplatzes), messbar und für den Endabnehmer nachweisbar. Die gleiche Sorgfalt gilt der Realisierung der Technischen Sauberkeit. Schmutzpartikel zerstören empfindliche Bauteile. Sie können bei der Zuführung von Verbindungselementen entstehen oder beim Schraubvorgang selbst. Zuführsysteme ohne Vibration, Zustellung und Montage der Verbindungselemente mit Vakuumabsaugung oder Partikelfänger im Produktionsprozess minimieren die Gefahr durch Schmutzteilchen. Die Forderung nach Technischer Sauberkeit und ESD-Fähigkeit muss durchgängig durch alle Einzelkomponenten der Anlage realisiert werden. Da ist es von Vorteil, wenn alle Bausteine zusammenpassen.
Trixy Schmidt: Die DEPRAG bezeichnet sich gerne als One-Stop-Shop, der alle Lösungen für die Ausstattung von Montagelinien aus einer Hand anbietet. Ist das tatsächlich ein Vorteil? Auch wirtschaftlich?
Jürgen Hierold: Natürlich. Das liegt doch auf der Hand. Der Kunde hat von Anfang an nur einen Ansprechpartner, das bedeutet für ihn eine enorme Reduzierung des Aufwands. Er erhält dabei Prozess- und Anwendungswissen aus einer Hand und Lösungen auf Basis langjähriger Erfahrung. So minimiert sich sein Risiko. Ein einziger Verantwortungsträger gewährleistet ihm die Verfügbarkeit aller Anlagenkomponenten, ihre durch langjährige Erfahrung bestätigte Funktion und die zeitnahe Realisierung des Projekts. Reduzierte Lieferzeiten durch Standardkomponenten und Rationalisierungseffekte bei der Fertigung sowie der Wegfall komplizierter Schnittstellenbeschreibungen erhöhen die Wirtschaftlichkeit der Neuanschaffung. Die gesamte Wertschöpfungskette wird von der DEPRAG abgedeckt.
Trixy Schmidt: Sie setzen auf den intelligenten Handarbeitsplatz als wirtschaftliche und flexible Alternative zur vollautomatischen Montageanlage. Haben sie ein Beispiel parat?
Jürgen Hierold: Die DEPRAG hat kürzlich eine Montagelinie für Leistungssteuerungsgeräte in der E-Mobilität ausgeliefert - bestehend aus 40 Handarbeitsplätzen! In der E-Mobilität ist gegenwärtig ungewiss, wie sich die Produktionsraten entwickeln. Daher empfiehlt sich eine flexible ausbaufähige Montagestrecke mit intelligenten Handarbeitsplätzen. Wir bekamen den Auftrag, weil wir als Fullserviceanbieter in kurzer Zeit sämtliche technische Anforderungen realisieren konnten. Alle oben genannten Kriterien für eine Werker geführte semi-automatische Montageanlage wurden zu Grunde gelegt und mit DEPRAG Standardkomponenten optimal erfüllt: Prozesssicherheit, Flexibilität, Ergonomie, ESD-Fähigkeit, Technische Sauberkeit und Wirtschaftlichkeit. Die DEPRAG hat auch auf der MOTEK 2013 an ihrem Messestand einen zeitgemäßen Handarbeitsplatz errichtet. Dort werden alle technischen und wirtschaftlichen Optionen der heutigen Montageprozesse demonstriert.