Die Kooperationspartner untersuchten, welche neuen Serviceprodukte ein internationaler Kontraktlogistiker der Automobilindustrie anbieten kann, um sein Kerngeschäft zu sichern und sich in neuen Märkten wie Brasilien oder China zu etablieren. Sie analysierten die Rahmenbedingungen eines Fahrzeugherstellers, der unterschiedliche neue Werke in verschiedenen geografischen Regionen der Welt errichtet. Strategische Gründe sowie die Möglichkeit, kostengünstiger und effizienter zu produzieren, sprechen dafür, dass der Hersteller bestimmte Aufgaben am neuen Standort an Dienstleister auslagert. Mit Techniken der Unternehmensarchitekturentwicklung (Enterprise Architecture), insbesondere der fähigkeitsbasierten Planung (Capability Based Planning, CBP), ermittelten die Forscher, welche Geschäftsfähigkeiten sich für die Auslagerung empfehlen und welche Produkte ein Logistiker dafür entwickeln kann.
"Automobilproduzenten errichten weiterhin neue Werke auf der ganzen Welt", sagt Dr. Carsten Böhle, der das Projekt am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Logistik der WWU betreute. "Um die Kosten im Aufbau und Betrieb zu reduzieren, geben Hersteller Teile der Wertschöpfung an Partner ab. Hier ist zu identifizieren, welche Aufgaben beim Produzenten verbleiben und welche ausgelagert werden können." Mit Methoden der fähigkeitsbasierten Planung ist ein Unternehmen in der Lage, systematisch festzustellen, welche Aktivitäten, wie beispielsweise Lieferkettenmanagement oder Logistik sowie eventuell sogar Fertigungskernfähigkeiten wie Presswerk und Karosseriebau, es am neuen Standort selbst aufbauen oder von einem externen Dienstleister beziehen sollte. Die Entscheidungsfindung stützt sich dafür auf die strategische Bedeutung und die operative Machbarkeit einzelner und kombinierter Fähigkeiten und die daraus zu erzielenden Vorteile. "Durch die gemeinsame Abbildung von betriebswirtschaftlichen und informationstechnischen Aspekten und die parallele Betrachtung strategischer und operativer Konsequenzen geht dieser Ansatz über traditionelle Outsourcing-Methoden hinaus", so Böhle.
"Das eröffnet Logistikunternehmen große Chancen, wenn sie über ihr Kerngeschäft hinausdenken", betont Adriana Lopez Cordoba, Beraterin bei Detecon International. Mittels des Capability Based Planning kann der Kontraktlogistiker überprüfen, ob sogar Leistungen außerhalb der klassischen Geschäftsbereiche infrage kommen. Will ein Kontraktlogistiker etwa Services für die Vorfertigung von Produktionsteilen anbieten, analysiert er, welche Fähigkeiten und Ressourcen - etwa Maschinen, IT-Systeme und qualifizierte Mitarbeiter - er benötigt, um sie aufzubauen. "Diese Techniken", berichtet Lopez Cordoba, "sind praxiserprobt. Wir wenden sie in Beratungsprojekten an, wenn ein Unternehmen etwa neue Geschäftsmodelle entwickeln oder seine Prozesse standardisieren will."
"Der methodische Ansatz der Forschungsgruppe ergänzt unsere eigene Arbeitsweise sehr gut", erklärt Michael Borgert, Chief Architect E-Solutions & IT Management bei der Schenker AG. "In der Kontraktlogistik arbeiten wir ebenfalls mit der fähigkeitsbasierten Planung. Zudem setzen wir auf Produktstandards, die speziell auf unsere Marktvektoren (z. B. Automotive) zugeschnitten sind und für neue Services immer weiter entwickelt werden." Die Kooperationspartner entwickelten drei neue Aufgabenfelder für DB Schenker im Bereich Fertigung, Verpackung und Transportsimulation. Die Realisierung dieser Szenarien erfordert Investitionsaufwand, bietet jedoch auch die Chance, Alleinstellungsmerkmale gegenüber dem Wettbewerb zu generieren. "Wir prüfen nun, ob es sich lohnt, die neuen, beziehungsweise erweiterten Services anzubieten." Es ist durchaus plausibel, dass ein Kontraktlogistiker in die Fertigung einsteigt. DB Schenker bietet bereits Dienstleistungen für verschiedene Branchen an, bei denen die Logistiker Produkte vor und/oder nach dem Transport zerlegen und/oder zusammensetzen (SKD/CKD Verfahren). Auch Vormontagen und Montagen von Fahrzeugkomponenten sind bereits im Leistungsportfolio. "Das ist nicht weit entfernt von den Geschäftsmodellen, die nun an der WWU entwickelt wurden", sagt Borgert.