"So manches Unternehmen, das mit der Verlagerung einer Produktion ins Ausland liebäugelt, wäre gut beraten, stattdessen seine Prozesse nachhaltig zu verbessern", diese provokative Aussage trifft Dr. Jürgen Kletti, Geschäftsführer von MPDV Mikrolab und erster europäischer Vorstand des Branchenverbandes Manufacturing Enterprise Solutions Association (MESA). Software könne dabei entscheidend helfen. Davon ist der ausgewiesene Kenner auf dem Gebiet der 'Digitalen Fabrik' überzeugt.
Der Gedanke, dass der Fokus der Diskussion um den Standort Deutschland zu stark auf den Thema Lohn- und Lohnzusatzkosten liegt, kommt nicht zum ersten Mal auf. Fabrik- und Fertigungsplaner haben wiederholt darauf hingewiesen, dass von einer optimalen, hoch verzahnten Produktion bei so manchem Unternehmen keine Rede sein kann. Die Rolle eines 'Zentralschlüssels' für das Überleben am Standort Deutschland könnte demnach ein optimal auf das jeweilige Unternehmen zugeschnittenes MES (Manufacturing Execution System) übernehmen.
Denn über die Lohnkosten hinaus entscheiden auch die Infrastruktur und die Steuerung aller betrieblichen Prozesse über den Erfolg eines Unternehmens. Deutschland liegt bei den Löhnen über anderen Staaten, besitzt jedoch bei der Infrastruktur und hinsichtlich der Digitalisierung der Fabriken erhebliche Vorteile. Dr. Jürgen Kletti: "Wenn wir also die Prozesse optimieren, können wir ein weitaus größeres ergebniswirksames Potenzial freisetzen, als durch eine Produktionsverlagerung. Wichtig ist, dass in den Unternehmen ein zunehmend vernetztes Denken angewandt wird, wobei nicht zuletzt der Einsatz spezieller Software, eben MES, hilft."
IT und Industrie rücken zusammen
Vor diesem Hintergrund bleibt die Gestaltung der unternehmensweiten Software-Welt schon lange nicht mehr dem klassischen DV-Leiter überlassen. Der Software-Einkauf liegt zunehmend in Händen der Unternehmensplanung, nicht selten sitzen Inhaber oder Geschäftsleitung mit am Tisch. In diesen veränderten Entscheidungsstrukturen liegt auch der Grund, weshalb viele Unternehmen der Software-Branche zusätzlich zur CeBIT auch auf der "Digital Factory" im Rahmen der HANNOVER MESSE ausstellen. Manche Unternehmen stellen auf beiden Messen aus, andere nur auf der Digital Factory - vor allem, wenn sie hauptsächlich das Technologiemanagement erreichen wollen. Hinzu kommt, dass in Verbindung mit den verschiedensten Steuerungssystemen immer mehr Software weit unterhalb der Unternehmenssoftware und der C-Techniken in die Betriebe Einzug hält. Deshalb suchen zahlreiche Besucher der 'Digital Factory' auch nicht nach den neuesten Features einer bereits vorhandenen Software, sondern vielmehr nach konkreten Problemlösungen in diesem Bereich. Dr. Jürgen Kletti verdeutlicht: "Diese Besucher sprechen kein Software-Chinesisch, sondern Klartext: Welche Vorteile bietet eine technologisch orientierte Software und wie kann ich diese in meine IT-Strukturen einbinden?"
Am Vorabend der "Digital Factory" können einige Entwicklungstendenzen klar benannt werden. Es ist unverkennbar, wie die ganzen konstruktions- und fertigungsnahen Softwaretechniken immer enger zusammenwachsen. Zunehmend werden Verknüpfungen zwischen ERP- und CAD-Systemen gefordert. Oder im MES-Segment die Verknüpfung von Qualitätsdaten mit einem Personalmanagement.
Außerdem wird die aus anderen Unternehmensbereichen bekannte Fragestellung, ob ERP-Systeme überhaupt noch Raum für unterlagerte Systeme wie MES lassen, nun auch für die Fertigung aufgeworfen. Dabei spricht einiges dafür, dass die maßgeschneiderten Lösungen für die Produktion den Angriff der Standardsoftware überleben. Das liegt auch an dem unterschiedlichen Fokus, den beide Systeme erfüllen. Während ERP-Systeme über den Detailprozessen stehen, muss ein MES zum Beispiel ein aktuelles Abbild der Fertigung geben, mit dem qualifiziert geplant werden kann. Für die optimale Auslastung einer Fabrik sind viele technologische Fragen in real-time zu beantworten. Dies können im Moment nach Aussage von Dr. Kletti nur dezidierte Subsysteme leisten.