Herr Dr. Salman Ansari, seit geraumer Zeit verwandeln sich Kindergärten in Forschungslabors für den Nachwuchs. Da wird entdeckt, erprobt und experimentiert. Ist die frühe Bildung endlich auf dem richtigen Weg?
Dr. Salman Ansari: Die Prozesse des Lehrens und Lernens setzen einen Dialog voraus. Dialog ist ein Vorgang der personalen Begegnung. In einem kreativen Dialog sind alle Beteiligten neugierig darauf, zu erfahren, wie die Anderen denken und was sie bereits wissen. Im Kontext der Frühbildung bedeutet dies, die Kinder als Wissende wahrzunehmen, die über ein wertvolles Wissen verfügen. Ein Experiment dagegen hat zum Ziel, eine Frage zu überprüfen, die die Kinder gar nicht gestellt haben. Von Gewinn kann ein Experiment nur dann sein, wenn es von den Kindern selber entworfen bzw. ausgedacht wird.
Dann können sie auch die Ergebnisse mit ihrem Wissen deuten. Doch in diesem Alter erleben die Kinder die Wirklichkeit ganzheitlich und können daher Experimente, die stets
Manipulationen und Reduktionen der Wirklichkeit sind, nicht selber entwerfen.
Die Bildungspläne der einzelnen Bundesländer für die Kindergärten sprechen von "naturwissenschaftlichen und technischen Grunderfahrungen" - wie sollten diese aussehen?
Dr. Salman Ansari: Das vorschulische Lernen ist gekennzeichnet vom Drang zur Selbstständigkeit. Ganz kleine Kinder haben ein Repertoire an Strategien, um eigene Vorstellungen zu konstruieren und sich damit die Welt anzueignen. Daher weisen sie unaufgeforderte Belehrung und Hilfe zurück. Bei der Vermittlung von "naturwissenschaftlichen und technischen Grunderfahrungen" wird zu sehr auf akademische Standards, Kriterien und Methoden geachtet. Häufig wird Bildung als Erwerb von Wissen auf Vorrat verstanden. Oft wird argumentiert, Kindern müsse man vieles auch erklären. Die Hinnahme von Erklärungen ist jedoch stets ein Wissen aus zweiter Hand und erstarrt schnell zu nutzlosem Wissen. Eigentlich wissen wir dies. Denn haben wir nicht unendlich viel in der Schule erklärt bekommen, und wie viel ist davon verfügbar, wenn wir uns naturwissenschaftliche Phänomene verständlich machen wollen?
Was sollten Erzieherinnen - und auch Eltern - in Sachen naturwissenschaftliche Bildung wissen und leisten, wie können sie also gemeinsam mit Kindern forschen und entdecken?
Dr. Salman Ansari: Kinder werden über Dinge Fragen stellen, die ihnen rätselhaft erscheinen und nicht außerhalb ihrer Erfahrungsmöglichkeiten liegen. Betreffen ihre Fragen oder ihr Erstaunen eine Naturerscheinung, dann haben wir Erwachsene oft ein Gefühl von Unzulänglichkeit, um mit den Kindern ein Gespräch darüber zu führen. Wir meinen dann, es müssten uns solide Kenntnisse der Naturwissenschaften zur Verfügung stehen. Dies ist jedoch ganz selten erforderlich, zumal die Kinder einen Sachverhalt in wissenschaftlichen Kategorien nicht nachvollziehen können. Wir brauchen keine speziellen Kenntnisse, sondern den Mut, uns unbefangen mit den Kindern auf die Suche zu begeben.
Wir müssten also lernen, selber wie die Kinder zu denken, frei von irgendwelchen Theorien, Definitionen, Begriffen und dergleichen mehr.
Ruft zum Beispiel ein Kind aus: "Schau, diese Schnecke hat ein Haus und diese nicht", dann können wir zum Beispiel sagen: "Dies ist ja sonderbar, lass uns überlegen, ob vielleicht die eine ein Haus braucht und die andere nicht, was meinst du?" Es lohnt sich immer, die Fragen der Kinder als Aufforderung zum Mitdenken zu erkennen.
Gibt es bereits empirische Studien über die Erfolge der naturwissenschaftlich orientierten Projekte in den Kindergärten?
Dr. Salman Ansari: Meines Wissens gibt es keine empirischen Studien, die im Kontext des dreigliedrigen Schulsystems für die Effizienz von naturwissenschaftlichen Projekten, wie sie derzeit angeboten werden, sprechen. Es kann sogar nicht ausgeschlossen werden, dass solche Projekte Kindern dabei helfen, Fehlvorstellungen über Naturphänomene zu entwickeln.
Dazu auf der didacta:
Naturwissenschaftliche und mathematische Bildung im Kindergarten - zu diesem Themenkomplex bieten die KiGA-Seminare 2009 etliche Veranstaltungen:
"Mit Kindern gemeinsam technisches und naturwissenschaftliches Wissen konstruieren: Wertschätzung als Grundlage ko-konstruktiver Bildungsprozesse", lautet der Vortrag von Dr. Astrid Wendell am Mittwoch, 11. Februar, von 12 bis 13 Uhr.
Über "Mathematische Ideen der Kinder wertschätzen: Mathematische Bildung als kreative und kooperative Aktivität" referiert PD Dr. Anette Schmitt ebenfalls am Mittwoch, 11. Februar, von 12 bis 13 Uhr.
Und über "Mathematische Bildung im Kindergarten - Frühe Kompetenzen fördern und Rechenschwierigkeiten vorbeugen" informiert Dr. Kristina Clausen-Suhr am Donnerstag, 12. Februar, von 12 bis13 Uhr sowie am Freitag, 13. Februar, von 14.30 bis 16.30 Uhr. Die KiGA-Seminare 2009 finden im Convention Center (CC) statt.
Am Mittwoch, 11. Februar, findet im Convention Center (CC), Saal 1, der Kongress "Kinder bilden Deutschlands Zukunft - Für eine verbesserte frühkindliche Bildung und Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Bildung von Anfang an!" statt.
Im Forum "didacta aktuell" informiert das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF) am Freitag, 13. Februar, von 11 bis 12.30 Uhr über "Schulfähigkeit: Was kann der Kindergarten dazu beitragen?"
Und in einer Podiumsdiskussion geht es in diesem Forum am Sonnabend 14. Februar, von 14 bis 14.45 Uhr um "Die Bedeutung frühkindlicher MINT-Bildung: Impulse für die tägliche pädagogische Arbeit in der Kita". Das Forum didacta aktuell befindet sich in Halle 15, Stand A08.
Weitere Pressetexte und Fotos im Internet finden Sie unter: www.didacta-hannover.de/...