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Lange gemeinsam lernen oder früh trennen?

Interview mit den Kultusministerinnen Elisabeth Heister-Neumann (Niedersachsen/CDU) und Ute Erdsiek-Rave (Schleswig-Holstein/SPD)

(PresseBox) (Hannover, )
Man liebt das Meer, isst gern Matjes und kann sich für so seltsame Spiele wie Boßeln begeistern. Die beiden benachbarten Bundesländer Niedersachsen und Schleswig-Holstein haben viel gemeinsam. In ihren Schulstrukturen jedoch unterschieden sie sich deutlich. Wir wollten von den beiden Kultusministerinnen aus Norddeutschland wissen, was die Schulstruktur in ihren Bundesländern auszeichnet.

Spätestens nach jeder neuen PISA-Studie flammt die Diskussion über die Gliedrigkeit des Schulsystems wieder auf. Welche Schulstruktur ist eigentlich die beste?

Elisabeth Heister-Neumann: Das differenzierte und gegliederte Schulwesen als Regelform ist die richtige Antwort auf das unterschiedliche Leistungsvermögen der Schülerinnen und Schüler und die künftigen bildungspolitischen Herausforderungen. Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass die Menschen gute Schulen mit guten Lehrern und leistungsstarken Schülern wollen, egal was vorne auf dem Türschild steht.

Ute Erdsiek-Rave: Eine, die es den Schülerinnen und Schülern erlaubt, so lange wie möglich gemeinsam zu lernen und ihnen mehr Wege als bisher zu höheren Abschlüssen aufzeigt. Und eine Struktur, die jeden Schüler und jede Schülerin so individuell wie möglich fördert und keinen ohne Abschluss und Perspektive zurücklässt. Das sind die Grundprinzipien der bei PISA erfolgreichen Länder - und auch an ihnen haben wir uns bei der Umgestaltung des schleswig-holsteinischen Bildungssystems orientiert.

Was sind die herausragenden Merkmale und Vorteile der Schulstruktur in Ihrem Bundesland?

Elisabeth Heister-Neumann: Wir haben in Niedersachsen das gegliederte Schulsystem mit Hauptschule, Realschule und Gymnasium. Gesamtschulen ergänzen je nach Bedarf dieses System vor Ort. In unserem Schulsystem soll jedes Kind von Anfang an entsprechend seiner Fähigkeiten und Begabungen gefördert und unterstützt werden. Frühkindliche Bildung beginnt schon im Kindergarten. Bereits vor der Einschulung erhalten Kinder bei uns eine Sprachförderung, wenn ihre Deutschkenntnisse nicht ausreichen. Mir ist die Zusammenarbeit der Kindergärten mit den Grundschulen besonders wichtig. Diese gelingt in unserem Projekt "Brückenjahr" in hervorragender Weise.

Ute Erdsiek-Rave: Schleswig-Holstein gestaltet seine Schullandschaft in den nächsten Jahren grundlegend neu - mit Gemeinschafts- und Regionalschulen als neue Schularten. Das Schulgesetz 2007 hat dafür die Voraussetzungen geschaffen. Ziel ist es, auch bei zurückgehenden Schülerzahlen ein wohnortnahes und leistungsfähiges Schulsystem zu sichern. Deshalb werden die bisherigen Haupt- und Realschulen bis spätestens zum Schuljahr 2010/11 entweder zu Regionalschulen zusammengeführt oder in Gemeinschaftsschulen umgewandelt. Die bereits bestehenden Gesamtschulen werden ebenfalls Gemeinschaftsschulen. Das Gymnasium bleibt als Schulart erhalten. Über allem steht der Gedanke des längeren gemeinsamen Lernens und damit einer hohen Durchlässigkeit. Dass dieser Weg der richtige ist, zeigt die große Nachfrage nach Gemeinschaftsschulen, die bereits seit dem Schuljahr 2007/08 arbeiten.

Wo wünschen Sie sich dringend Verbesserungen oder Veränderungen?

Elisabeth Heister-Neumann: Wir wollen den Jüngsten den Start in die Schule weiter erleichtern und haben deshalb bereits das beitragsfreie letzte Kindergartenjahr eingeführt. Künftig wollen wir auch das erste und zweite Kindergartenjahr beitragsfrei stellen und so jedem Kind den Zugang zu Angeboten der frühkindlichen Bildung ermöglichen.

Am Ende ihrer Schullaufbahn sollen möglichst alle Schülerinnen und Schüler die Schule mit einem Abschluss verlassen. Wir wollen die Zahl der Jugendlichen ohne Hauptschulabschluss, die wir bereits deutlich reduziert haben, noch weiter absenken, indem wir die Hauptschulen weiter so stark unterstützen und die Jugendlichen gezielt auf das Berufsleben vorbereiten.

Ute Erdsiek-Rave: Für ganz Deutschland gilt: Wir brauchen bessere Bildungschancen gerade für Benachteiligte und Migranten. Insgesamt müssen die Schülerinnen und Schüler noch besser nach ihren jeweiligen Begabungen gefördert werden, damit sie ihr Talent voll entfalten können. Dafür haben wir in Schleswig-Holstein mit den Schulreformen richtige Weichen gestellt. Dazu brauchen wir aber gerade in sozialen Brennpunkten auch Sozialarbeiter an den Schulen, die die Lehrer unterstützen. Das sollte der Bund finanziell fördern und spätestens zum nächsten Bildungsgipfel ein entsprechendes Programm auflegen. Ebenso sollte er bei seinem angekündigten Konjunkturprogramm einen Schwerpunkt auf den Schulbau legen, damit die Schülerinnen und Schüler in anregenden Lernumgebungen unterrichtet werden können.

Die Mehrzahl der Bundesländer hat sich mittlerweile von der Hauptschule verabschiedet. Ist abzusehen, wann sie in allen Bundesländern der Vergangenheit angehören wird?

Elisabeth Heister-Neumann: Auch in den Ländern, in denen es die Schulform Hauptschule nicht gibt, werden Hauptschulabschlüsse vergeben. Es ist keine Frage des "Etiketts" und nicht ausschließlich eine Frage der Schulform, wie Kinder bestmöglich gefördert werden können. Es geht jetzt und in der Zukunft weniger um Strukturen, sondern in erster Linie um Bildungsqualität und ein adäquates Bildungsangebot für jeden. Die Hauptschule ist Bestandteil unseres gegliederten Schulsystems. Die Landesregierung hat in den vergangenen Jahren die Hauptschulen gestärkt. Dabei haben wir nicht nur den Schwerpunkt auf die Berufsorientierung gelegt. Wir haben auch für rund zwei Drittel aller Hauptschülerinnen und Hauptschüler ein Ganztagsschulangebot gemacht und den Unterricht in den Kernfächern Mathematik und Deutsch ausgeweitet.

Ute Erdsiek-Rave: Immer mehr Bundesländer erkennen, dass sich die Hauptschule - trotz aller Investitionen - zu einer Schulart entwickelt hat, die keine Zukunft hat. Das hat viele Gründe: Die Eltern stimmen mit den Füßen ab und entscheiden sich bei ihrem Kind trotz Hauptschulempfehlung für den Besuch einer anderen Schulart. Zugleich ist der Hauptschulabschluss immer weniger wert - er ist schon lange nicht mehr die Garantie, einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Die Potenziale dieser Schülerinnen und Schüler können in Schularten mit längerem gemeinsamem Lernen wesentlich besser gefördert werden.

Dazu auf der didacta:

"Die neue Strukturdebatte: Welche Schule ist die beste fürs Kind?" Podiumsdiskussion im forum bildung, Halle 16, Stand D10, am Donnerstag, 12. Februar von 11-12.30 Uhr mit Dieter Dornbusch, Vorsitzender des Bundeselternrates, Christa Goetsch, Senatorin für Schule, Berufs- und Weiterbildung der Freien und Hansestadt Hamburg, Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des Philologenverbandes, Dr. Ludwig Spaenle, Bayerischer Staatsminister für Unterricht und Kultus (angefragt). Moderation: Lothar Guckeisen, Deutschlandfunk.

Bildungspolitik in Niedersachsen - Zwischenbilanz mit Ausblick. Mit einem Grundsatzbeitrag zum Stand der laufenden Bildungsreformen in Niedersachsen und den weiteren Perspektiven des Reformprozesses eröffnet die niedersächsische Kultusministerin Elisabeth Heister-Neumann das diesjährige "forum bildung". Dienstag, 10. Februar, von 13 bis 14 Uhr, forum bildung, Halle 16, Stand D10.

Welche Reformen brauchen Niedersachsens Schulen? Podiumsdiskussion mit Björn Försterling, Bildungspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion, Wolfgang Jüttner, Vorsitzender der SPD-Fraktion. Karl-Heinz Klare, Stellvertretender Vorsitzender und bildungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, Christa Reichwaldt, Parlamentarische Geschäftsführerin und bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Moderation: Jörg Kallmeyer, Nachrichtenchef der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung, P Mittwoch 11. Februar, 12 bis14 Uhr forum bildung, Halle 16, Stand D10.

Weitere Pressetexte und Fotos im Internet finden Sie unter: www.didacta-hannover.de/...
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