Ob Röntgen-Thorax-Aufnahme oder Computertomografie (CT) des Kopfes: Röntgenologische Untersuchungen arbeiten bisher praktisch immer nach dem gleichen Grundprinzip: Röntgenstrahlen werden von unterschiedlichen Geweben unterschiedlich stark absorbiert. Die Strahlen, die nicht absorbiert werden, erreichen den Röntgenfilm (beziehungsweise den digitalen Detektor) und erzeugen dort das Röntgenbild oder die CT-Aufnahme. Knochen beispielweise absorbieren Röntgenstrahlung sehr stark: Sie sind „röntgendicht“ und deswegen von den sie umgebenden Muskeln und Bindegeweben, die viel mehr Röntgenstrahlen durchlassen, auf Röntgenbildern und CT-Aufnahmen deutlich abgrenzbar.
Phasenkontrast-Bildgebung nutzt Welleneigenschaften der Röntgenstrahlung
Nicht alle Gewebe und Körperregionen sind für die klassische Röntgen-Technologie so gut darstellbar wie die Knochen. „Schwierig darzustellen sind zum einen sehr feine Strukturen, zum anderen Strukturen mit sehr ähnlicher Röntgendichte“, betont der Physiker Professor Dr. Franz Pfeiffer von der TU München. Diese Lücke schließen möchte die Phasenkontrast-Bildgebung. Sie arbeitet auch mit Röntgenstrahlen, ihr liegt aber eine völlig andere Methode der Bilderzeugung zugrunde. Prof. Pfeiffer stellt beim diesjährigen 98. Deutschen Röntgenkongress / 8. Gemeinsamen Kongress der DRG und ÖRG (24.-27. Mai 2017, Leipzig) seine Untersuchungsergebnisse vor. Darüber hinaus verleiht ihm die Deutsche Röntgengesellschaft den Alfred-Breit-Preis (im Rahmen der Röntgen-Vorlesung am 26. Mai 2017, 11.00-12.30 Uhr).
„Röntgenstrahlung lässt sich wie Licht sowohl als Teilchen als auch als Welle interpretieren“, erläutert Pfeiffer. „Die klassische Röntgen-Bildgebung arbeitet mit der Absorption von Teilchen, sie nutzt also die Teilchen-Eigenschaften der Röntgenstrahlung. Bei der Phasenkontrast-Bildgebung arbeiten wir dagegen mit den Wellen-Eigenschaften der Röntgenstrahlung.“ Wellen werden an Grenzflächen optisch gebrochen, ähnlich wie bei einem Prisma. Sie können die Richtung ändern und miteinander interferieren. „All diese Eigenschaften der Röntgenstrahlung wurden in der klinisch-medizinischen Bildgebung bisher überhaupt nicht genutzt“, so Pfeiffer.
Feinstruktur der Lunge wird sichtbar
Das ändert sich gerade. Einige wenige Arbeitsgruppen weltweit, darunter Pfeiffers Arbeitsgruppe an der TU München, haben sich auf die Fahnen geschrieben, aus der bisher rein zu Forschungszwecken eingesetzten Phasenkontrast-Bildgebung eine medizinische Anwendung zu machen. Nach vielen Jahren und tausenden Experimenten mit Krankheitsmodellen werden jetzt in Kooperation mit Professor Dr. Ernst Rummeny von der TU München, Klinikum rechts der Isar, mit o. Univ.-Prof. Dr. Werner Jaschke (Innsbruck) einer der Kongresspräsidenten des 98. Deutschen Röntgenkongresses / 8. Gemeinsamen Kongresses der DRG und ÖRG (24.-27. Mai 2017, Leipzig), erste Schritte unternommen, die neue Methode bei Menschen zu etablieren.
Enormen Nutzen erhoffen sich die Münchener in einem ersten Schritt von der Darstellung der Lunge. Hier kann die traditionelle Röntgen-Bildgebung zwar größere Tumore gut darstellen. Veränderungen der Feinstruktur der Lunge sind für Röntgen- und CT-Untersuchungen bisher aber weitgehend eine Terra Incognita. „Mit der Phasenkontrast-Bildgebung können wir dagegen bis auf die Ebene der Lungenbläschen hinab blicken“, betont Pfeiffer. „Zum Beispiel lassen sich pathologische Veränderungen der Lungenbläschen bei chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) schon in einem sehr frühen Stadium darstellen. Auch Verwachsungen des Lungengewebes, wie sie bei einer Lungenfibrose oder auch nach einer Strahlentherapie auftreten können, sind sehr gut erkennbar.“
Herstellung der Filtergitter ist Maßarbeit
Die Grundidee ist, die neue Technologie als einen zusätzlichen Filter anzubieten, der auf normale CT-Geräte aufgesetzt werden kann. Es wären also keine eigenen Geräte nötig. Die Herausforderung besteht nach wie vor in der Herstellung dieser Filter: Nötig sind sehr dünne Filter und sehr feinporige Gitterstrukturen, um die nötigen Welleneffekte zu erreichen.
„Wir brauchen Gitterstreben, die ungefähr zehn Mikrometer breit und bis zu 300 Mikrometer hoch sind, ähnlich wie Kartondeckel, die auf der dünnen Seite eng nebeneinander stehen. Solche Gitter sind nicht leicht zu produzieren“, sagt Pfeiffer. Bisher werden diese Gitter noch aus Gold gefertigt. In Zukunft sollen es andere Materialien sein, was die Kosten stark reduzieren würde. Zahlreiche große Hersteller von Medizingeräten arbeiten aktuell an entsprechenden Lösungen und bauen Prototypen.