Andreas Radbruch studierte an den Universitäten Bonn und Köln Biologie. Er spezialisierte sich dann am Institut für Genetik der Universität zu Köln auf die Erforschung des Immunsystems, promovierte 1980 bei Klaus Rajewsky, wurde Leiter einer Forschungsgruppe und später Professor für Genetik und Immunologie in Köln. 1996 wurde er als Wissenschaftlicher Direktor des DRFZ nach Berlin berufen, 1998 wurde er auch Professor für Rheumatologie an der Charité. Sein wissenschaftliches Interesse gilt der Erforschung des Immunsystems, doch hat er mit seiner Arbeitsgruppe auch bahnbrechende neue Methoden entwickelt, so die magnetische Zellsortierung (MACS).
Es gibt über 200 verschiedene rheumatische Krankheiten. In Europa leiden ungefähr 5% der Bevölkerung an Rheuma. Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, wie z. B. der Rheumatoiden Arthritis, dem Systemischen Lupus Erythematosus oder der Systemischen Sklerodermie greift das Immunsystem den eigenen Körper an und verursacht so eine Entzündung. Merkwürdigerweise kann man jedoch diese Krankheiten nicht heilen, indem man die Immunreaktion des Patienten unterdrückt. Ausgangspunkt der Arbeiten von Andreas Radbruch war die Beobachtung, dass man bei ausgewählten Patienten mit einer rheumatischen Entzündung die Krankheit zum Verschwinden bringen kann, indem man das Immunsystem des Patienten zerstört und aus Stammzellen wieder neu aufbaut. Andreas Radbruch zog daraus den Schluss, dass es ein Immunologisches Gedächtnis gibt, das die chronische Entzündung antreibt, denn das immunologische Gedächtnis macht den Unterschied zwischen zerstörtem und neu aufgebautem Immunsystem aus. Dieses Gedächtnis spricht offenbar auf herkömmliche Behandlungsmethoden nicht an.
Für die meisten Patienten mit Rheuma ist die Zerstörung ihres Immunsystems zu gefährlich, denn sie wären dann schutzlos Infektionen ausgeliefert. Die Frage ist, wie man nur das krankmachende immunologische Gedächtnis zerstören kann, dabei das schützende immunologische Gedächtnis erhalten kann. Andreas Radbruch begann also, das immunologische Gedächtnis grundsätzlich zu erforschen. Zunächst konnte er zeigen, dass die Plasmazellen, die Antikörper machen, sich zu Gedächtniszellen entwickeln können, wenn sie ins Knochenmark einwandern und dort an bestimmte Stromazellen andocken, die sie dann am Leben erhalten. Wenn diese Plasmazellen Antikörper machen, die Rheuma verursachen, hat der Patient ein Problem, denn die Gedächtnis-Plasmazellen sprechen auf herkömmliche Therapien nicht an. Inzwischen haben andere Forschungsgruppen erste Wege gefunden, die Gedächtnisplasmazellen zu eliminieren und so rheumatische Entzündungen zu behandeln.
Gedächtnis-Plasmazellen entstehen unter der Kontrolle von T-Helfer Lymphozyten. Eigentlich sind also die T Helfer-Lymphozyten für das immunologische Gedächtnis verantwortlich. Andreas Radbruch konnte zeigen, dass sich auch T Helfer Lymphozyten selbst zu Gedächtniszellen entwickeln können, wenn sie nach der Immunreaktion gegen einen Krankheitserreger ins Knochenmark einwandern. Dort legen sie sich neben besondere Stromazellen, überleben und warten, ob der Krankheitserreger das Immunsystem noch einmal provoziert. Bei einer chronischen rheumatischen Entzündung wandern die T Helfer Lymphozyten nicht ins Knochenmark, sondern ins entzündete Gewebe. Sie passen sich an die Entzündung an. Andreas Radbruch's Arbeitsgruppe hat diese Anpassung auf molekularer Ebene untersucht und Proteine und kleine Ribonukleinsäuren (MikroRNAs) gefunden, die die Vermehrung, das Überleben und die Funktion dieser T Helfer Lymphozyten kontrollieren. Dadurch eröffnet sich die Möglichkeit, diese krankmachenden Zellen gezielt zu beeinflussen, ohne dabei die schützenden Gedächtnis-Lymphozyten zu schädigen.
Zusammengenommen eröffnen diese Entdeckungen einen vollkommen neuen Ansatz für die Therapie chronisch-entzündlichen Rheumas, nämlich die selektive Löschung des pathogenen immunologischen Gedächtnisses für die rheumatische Entzündung. So könnte auch eine Heilung dieser bisher meist unheilbaren Krankheiten möglich werden.
Die Preisverleihung fand am 17. Juni im Rahmen des Carol-Nachman-Symposiums 2011 in Wiesbaden statt. Diese hohe medizinische Auszeichnung wird für hervorragende innovative Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der Rheumatologie verliehen und alljährlich von der Stadt Wiesbaden vergeben. Der international ausgeschriebene Preis ist mit 37.500 € dotiert und geht auf den ehemaligen Konzessionär der Wiesbadener Spielbank, Carol Nachman, zurück.