Herr Professor Dr. Gebel, machen Nanomaterialien krank?
Das kann ich so pauschal gar nicht beantworten, denn es gibt sehr, sehr viele unterschiedliche Nanomaterialien. Nach heutigem Wissensstand lassen sich aber die mutmaßlichen Wirkungen von Nanomaterialien durch bekannte wissenschaftliche Bewertungsprinzipien beschreiben. Und wenn wir über Gesundheitsgefahren sprechen, müssen wir im Auge behalten, dass negative Auswirkungen auf den Menschen nur bei höheren Belastungen auftreten. An manchen Arbeitsplätzen kann das heute der Fall sein, aber die Verbraucher sind in der Regel in ihrem Alltag nur vergleichsweise geringen Mengen von Nanomaterialien ausgesetzt. Das zu gewährleisten ist Aufgabe des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin, das Verbraucherprodukte überwacht, während die BAuA Risiken am Arbeitsplatz bewertet. Außerdem darf man nicht vergessen, dass Nanomaterialien auf der anderen Seite auch helfen können, gesund zu machen. So entfalten beispielsweise bestimmte Arzneimittel ihre Wirkung besser, wenn sie in Nanopartikeln verpackt werden.
Wo sehen Sie dennoch mögliche Gefahren?
Zunächst: Eine akute Giftigkeit ist für Nanomaterialien bisher nicht bekannt und auch generell nicht zu erwarten. Die bisherigen Erkenntnisse weisen darauf hin, dass vor allem das Einatmen von Nanostäuben mögliche Gesundheitsgefahren birgt. Die Problematik von Feinstäuben insbesondere am Arbeitsplatz, die bis in die Lunge vordringen und dort zu Entzündungsreaktionen und chronischen Atemwegserkrankungen, darunter zum Teil auch Krebs, führen können, ist lange bekannt. Es zeichnet sich ab, dass große Unterschiede zwischen verschiedenen Nanomaterialien bestehen und nicht generell eine besondere gefährliche Wirkung zu erwarten ist.
Sie haben den Arbeitsplatz angesprochen. Welche Arbeitsschutz-Standards gelten in Deutschland in Bezug auf Nanomaterialien?
In Deutschland gelten für alle Tätigkeiten mit chemischen Stoffen oder Gemischen am Arbeitsplatz grundsätzliche Mindeststandards des Arbeitsschutzes, die - unabhängig von einer Einstufung als gefährlich - immer anzuwenden sind. Diese Maßnahmen tragen der Tatsache Rechnung, dass quasi jede chemischstoffliche Belastung die Gesundheit gefährden kann, wenn sie entsprechend hoch ist. Daneben gilt das Vorsorgeprinzip der Europäischen Union aus dem Jahr 2000. Dieses sieht zum Schutz der Gesundheit von Beschäftigten zunächst strenge Arbeitsschutzmaßnahmen vor, die dann mit zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnissen schrittweise an die tatsächlichen Gesundheitsrisiken angepasst werden können. Eine konsequente Anwendung des Vorsorgeprinzips ist erforderlich, um die innovativen Stärken der Nanotechnologie in Zukunft nicht zu gefährden.
Inwiefern ist die BAuA an der aktuellen Forschung beteiligt?
Die BAuA verfolgt das Thema "Nanomaterialien am Arbeitsplatz" seit 2005. In einem auf zehn Jahre angelegten Forschungsschwerpunkt will sie Beiträge zu einer wissenschaftlich fundierten Beschreibung und Bewertung von bislang nur unzureichend beschriebenen möglichen Sicherheits- und Gesundheitsrisiken für Beschäftigte liefern. Im Vordergrund steht dabei nicht die Untersuchung einzelner Nanomaterialien, sondern eine systematische Suche nach Wirkprinzipien und Zusammenhängen. Weiter ist es das Ziel, mit neuen Erkenntnissen zur Belastungssituation von Beschäftigen, die am Arbeitsplatz mit Nanomaterialien zu tun haben, zu einer wissenschaftlich differenzierten Risikobewertung beizutragen. Aktuelle Forschungsergebnisse präsentiert die BAuA im Januar 2011 bei einem Nano-Dialog-Forum zum Thema Nanomaterialien am Arbeitsplatz.
Wie schätzen Sie die Bedeutung der NRW Nano-Konferenz 2010 in Dortmund ein?
Sehr hoch, schließlich können Nanotechnologien entscheidend dazu beitragen, anstehende Probleme des 21. Jahrhunderts zu lösen. Den weit reichenden Chancen stehen aber auch - wie generell bei vielen chemischen Stoffen - relevante Wissensdefizite zu den Risiken für Mensch und Umwelt gegenüber. Vor diesem Hintergrund bietet die Konferenz eine hervorragende Gelegenheit, Kompetenzen und bestehende Kooperationen in Nordrhein-Westfalen zu stärken und neue Kontakte zwischen Wirtschaft und Wissenschaft zu knüpfen. NRW ist das Bundesland mit den meisten Akteuren im Bereich der Nanotechnologie. Damit ist es prädestiniert, das vielversprechende Potenzial dieser aussichtsreichen neuen Technologie national und international erfolgreich umzusetzen und eine begleitende Sicherheitsforschung aus Sicht des Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzes voranzutreiben.
Professor Dr. Thomas Gebel ist seit Ende 2001 bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Bereich der Regulatorischen Toxikologie tätig. Dort arbeitet er in der toxikologischen Stoffbewertung und ist zuständig für Nanotoxikologie. Er ist stellvertretender Vorsitzender des Komitees der Vereinten Nationen, das ein System zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien weiterentwickelt (das UN SCE GHS). Daneben ist er Vorsitzender der OECD Task Force on the Harmonisation of Classification and Labelling. Professor Dr. Gebel hat Lehraufträge an den Universitäten Göttingen und Dortmund.
Die 3. NRW Nano-Konferenz findet am 9. und 10. September 2010 im Kongresszentrum Westfalenhallen in Dortmund statt. Den Schwerpunkt der Veranstaltung bilden Fachvorträge sowie Workshops zu verschiedenen Gebieten der Nanotechnologie. Im Mittelpunkt steht der Technologietransfer von der Wissenschaft in die Praxis. In einer begleitenden Messe präsentieren sich nordrheinwestfälische Unternehmen und wissenschaftliche Einrichtungen aus dem Bereich Mikro- und Nanotechnologie. Veranstalter sind die Wirtschaftsförderung Dortmund, das Clustermanagement NanoMikro+Werkstoffe.NRW und das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen.
Weitere Informationen und die Anmeldung zur Konferenz finden Sie unter:
www.nrw-nanokonferenz.de, www.baua.de/nanotechnologie