Derzeit schaut es so aus, dass der anvisierte Zeitpunkt zur Veröffentlichung im September 2015 eingehalten werden kann. Aus dem Normenkomitee nahestehenden Kreisen ist zu erfahren, dass der FDIS (Final Draft International Standard), die letzte Entwicklungsstufe der Norm vor der Veröffentlichung, wahrscheinlich Ende Juli/Anfang August erscheinen wird.
Können sich Unternehmen schon jetzt auf die Revision einstellen?
Grundsätzlich ist es möglich, die Tendenzen der Revision zu bewerten und daraus erste grundsätzliche Ausrichtungen abzuleiten. Ich rate aber noch dringend von Angeboten ab, mit denen man die „Wahrheit“ über die neue Normrevision erhalten soll. Vorerst sind Grundsatzvorträge und Publikationen zur Philosophie und den neuen Schwerpunkten angemessen und völlig ausreichend.
Ab wann können Unternehmen verlässliche Aussagen zu den Inhalten der neuen Revision erhalten?
Die letztendliche Wahrheit wird jeder erst mit der Veröffentlichung erhalten. Aus vergangenen Revisionen abgeleitet, kann meistens auf die Inhalte des FDIS vertraut werden. Aber auch hier ist Vorsicht geboten: Es gab nämlich schon Fälle, bei denen die veröffentlichte Norm deutlich vom finalen Entwurf abwich.
Sie haben gesagt, dass schon jetzt Philosophie und Schwerpunkte der Norm bekannt sind. Können Sie uns schon einen Einblick geben?
Im aktuellen Normenentwurf zu lesen und aus den Arbeitskreisen zu hören ist eine grundsätzliche Wandlung der Denkweise. Mit der Revision will das Normenkomitee eine Grundlage für die kommenden zehn Jahre vorlegen, an welcher sich die Anwender orientieren können. Es wird nun vielmehr auf das Verstehen der eigenen Abläufe gesetzt. Ein grundlegendes Verständnis der betriebsinternen Abläufe und des Umfelds ermöglicht erst eine Ausrichtung auf Kundenanforderungen und –wünsche. Somit werden Auditoren und Qualitätsmanager mit Anforderungschecklisten immer seltener werden, da es nicht mehr um die reine Erfüllung von Kriterien gehen wird.
Schwerpunkte werden sicher auch der risikobasierte Ansatz, die gestiegenen Anforderungen an die Führung eines Unternehmens, verstärkte Forderung von durchdachten Planungen für Veränderungen, die Betrachtung des Umfelds einer Organisation, die neue Kapitelstruktur und das Wissensmanagement sein.
Wie verhält es sich mit bestehenden Zertifikaten?
Bestehende Zertifikate behalten bis zum Auslaufen ihre Gültigkeit und werden nach der Veröffentlichung der Revision nicht ungültig. Grundsätzlich besteht eine Übergangsfrist von bis zu drei Jahren, um auf die neue Revision umzustellen.
Welche Empfehlungen geben Sie Unternehmen im Hinblick auf die anstehende Revision?
Wie bereits erwähnt kann ich Grundsatzvorträge zu den Schwerpunkten und der Philosophie empfehlen. Weiterhin kann sich jedes Unternehmen mit einem eigenen Zeitplan auf die erforderlichen Schritte nach der Veröffentlichung einstellen. Dabei sollte der Fokus auf der eigenen Fähigkeit zur Veränderung im Unternehmen liegen. Je besser Unternehmen im Veränderungsmanagement aufgestellt sind, desto effizienter können Sie die neue Norm im Betrieb umsetzen.
Bei der neuen Norm ist immer wieder von der High Level Structure die Rede – was versteckt sich dahinter?
Die ISO strebt eine Harmonisierung der Struktur von Managementsystemnormen an und hat dazu die sogenannte High Level Structure (HLS) entwickelt. Sie soll zukünftig die grundlegende Struktur für den inhaltlichen Aufbau aller Managementsystemnormen bilden. Als weitere Norm wird z.B. auch die ISO 14001 (Umweltmanagementsysteme) in der kommenden Revision diese Struktur erhalten.
Wichtig für alle Anwender: Die neue Kapitelstruktur ist bereits verabschiedet, und wird sich somit in der aktuellen Revision ISO 9001:2015 wiederfinden.
Die High Level Structure wurde wie folgt festgelegt:
1. Anwendungsbereich
2. Normative Verweisungen
3. Begriffe und Definitionen
4. Kontext der Organisation
- Verstehen der Organisation und ihres Zusammenhangs
- Erfordernisse und Anforderungen
- Anwendungsbereich
- Managementsystem
- Allgemeines
- Verpflichtung der Leitung
- Politik
- Organisatorische Funktionen, Verantwortungen und Befugnisse
- Maßnahmen zur Erkennung von Risiken und Chancen
- Ziele und Pläne zu deren Erreichung
- Ressourcen
- Kompetenz
- Bewusstsein
- Kommunikation
- Dokumentierte Information
- Betriebliche Planung und Lenkung
- Überwachung, Messung, Analyse und Beurteilung
- Internes Audit
- Managementbewertung
- Nichtkonformität und Korrekturmaßnahmen
- Ständige Verbesserung
Diese neue Struktur enthält noch einige bekannte Elemente aus dem derzeitigen Aufbau der ISO 9001-Norm (ISO 9001:2008), zeigt aber dennoch in ihrem Aufbau und ihrer Logik gravierende Unterschiede.
Jan Schuboth ist seit 2014 Dozent von Klinkner & Partner im Bereich ISO 9001.