In der Kommentierungsphase
Mit seinem Wissen aus Gesprächen mit anderen Experten und aus freiverfügbaren Informationen zur anstehenden Revision weiß Schuboth zu berichten, dass die neue Revision als Entwurf im sogenannten Draft International Standard („DIS“) vorliegt. Er wird derzeit von den Ländervertretungen, von fachlichen Institutionen und der Öffentlichkeit begutachtet und kommentiert. „Es liegen bereits etwa 2.000 Änderungsvorschläge für den aktuellen Entwurfsstand vor. Mit diesen Stellungnahmen als Grundlage wird das Technical Committee einen internationalen Schlussentwurf erstellen, der bis Juli 2015 an die Mitglieder der ISO-Organisation zur Entscheidung gehen soll“, so der QM-Experte weiter. Damit ergäbe sich ein möglicher Veröffentlichungstermin der neuen Revision der Norm ISO 9001 ab September 2015.
High-Level-Structure
Aufgrund der anstehenden Kommentierungs- und Überarbeitungsschleifen sei zum heutigen Zeitpunkt nur schwer vorauszusagen, welche Änderungen definitiv in die Revision einfließen werden. Als sicher gelte aber die neue Struktur, die als sogenannte „High-Level-Structure“ umgesetzt werden soll. Sie bilde eine einheitliche Kapitelstruktur für ISO-Normen, um gleichbedeutende Textabschnitte für verschiedenste Normen darzustellen und somit Kombi-Zertifizierungen zu vereinfachen.
Der risikobasierte Ansatz
Weiterhin gelte als sicher, dass in der neuen Revision ein stärkerer Schwerpunkt auf den risikobasierten Ansatz gelegt wird. „Damit ist nicht gemeint, dass Organisationen jetzt ein Risikomanagementsystem implementieren müssen. Es geht darum, dass die Organisationen - und hierbei zuallererst die Führungsebenen, die Risiken im eigenen Unternehmen kennen und entsprechend auf die erkannten Risiken reagieren müssen“, erklärt Jan Schuboth, der nicht nur QM-Trainer ist, sondern auch die Abteilung für Verfahrenstechnik eines Unternehmens leitet. Es sei davon auszugehen, dass die Ursachen der Finanzkrise 2007/2008 ein entscheidender Faktor für diese Priorisierung in der Revision waren.
Fokus Prozessorientierung
Im sogenannten Committee Draft (CD) des zuständigen Norm-Komitee ISO/TC 176 wurde außerdem ein Schwerpunkt auf die Prozessorientierung gelegt. Es werden zwar mit der Revision 2015 keine grundlegende Änderungen wie im Jahr 2000 kommen. Dennoch wird zukünftig im Text noch expliziter auf die Prozessorientierung verwiesen und diese ebenfalls noch expliziter gefordert. Mit diesem stärkeren Fokus hinsichtlich der Prozessorientierung sei der Schwerpunkt auf den risikobasierten Ansatz besser nachzuvollziehen. Grundsätzlich gehöre die Risikobetrachtung schon indirekt in der aktuellen Version ISO9001:2008 mit zur Prozessbetrachtung, dennoch werde diese in der neuen Revision stärker herausgestellt.
Der Dienstleistungssektor
Aufgrund der Rückmeldungen aus dem Anwendungsfeld und basierend auf den steigenden Anzahlen von Zertifizierungen im Dienstleistungssektor wird es wahrscheinlich eine deutlichere Hervorhebung von Dienstleistungen parallel zu dem Begriff „Produkte“ geben. Wahrscheinlich werde im Text der neuen Revision jeweils von „Produkten und Dienstleistungen“ gesprochen.
Plötzlich sind es nur noch sieben
Eine der größten Überraschungen wird es wohl bei den Grundprinzipien des Qualitätsmanagements geben, denn die aktuellen Marktentwicklungen und die Rückmeldungen aus der Praxis werden wohl mitberücksichtigt. Im Committee Draft jedenfalls werden nur noch sieben Prinzipien genannt. Es sei jedoch davon auszugehen, dass weiterhin „Kunden“, „Führung“, „Personen“, „Prozesse“ und „Verbesserung“ integrale Bestandteile der Grundprinzipien bleiben werden.
Kein QM-Handbuch mehr?
Ein weiterer Aspekt, der in der zu verabschiedenden Norm mit Spannung erwartet wird, ist die Ausführung im Committee Draft, dass ein Qualitätsmanagementhandbuch und die sechs dokumentierten Verfahren nicht mehr explizit gefordert werden. „Das bleibt abzuwarten, aber die Spannung und die Diskussionen rund um die Revision 2015 der ISO 9001 werden in den kommenden Wochen und Monaten wohl noch weiter zunehmen“, kommentierte Jan Schuboth die Erwartungen der Laborbranche.
Fraglich bleibe zum jetzigen Zeitpunkt, wie genau die Ausführungen in der offiziellen Norm sein werden.
Jens Schuboth ist Dozent der Seminare "Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001" und "Werkzeuge der Qualitätssteigerung" von Klinkner & Partner. Er ist Leiter der Verfahrenstechnik der Südbadischen Gummiwerke GmbH und unterrichtet u.a. in der Ausbildung von Qualitätsassistenten und Qualitätsmanagementbeauftragten sowie von internen Auditoren. Darüber hinaus ist er als Trainer für die Ausbildung von Qualitätsmanagementbeauftragten der Deutschen Gesellschaft für Qualität tätig.
Das Interview führte Dr. Christian Scherling.
Veranstaltungen mit dem Thema Revision der DIN ISO 9001:2015:
Zertifizierung nach DIN EN ISO 9001, 12. bis 13. Mai 2014, München-Freising
Neu: Forum Qualitätsmanager/in, 9. bis 10. September 2014, Potsdam