Einer der Fachleute, Dr. Andreas Hönnerscheid, erläuterte, dass zweierlei für einen Antrag auf flexiblen Geltungsbereich wesentlich sei - das Verständnis der zugrunde liegenden Norm DIN EN ISO/IEC 17025 bzw. DIN EN ISO 15189 und das Verständnis des Leitfadens zur Flexibilisierung des Akkreditierungsbereichs von Prüflaboratorien und medizinischen Laboratorien. Der Qualitätsmanager der Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH wies auch darauf hin, dass die DAkkS aktuell nur die Formulierung „Akkreditierung mit flexiblem Geltungsbereich“ verwende und nicht „Flexible Akkreditierung“, um von vornherein Missverständnisse zu vermeiden.
Er betonte außerdem, dass mit einer Flexibilisierung jedem akkreditierten Laboratorium ein „Vertrauensvorschuss“ gewährt wird, indem das Laboratorium innerhalb der festgelegten Grenzen Prüf- bzw. Untersuchungsverfahren in das bestehende Portfolio aufnehmen und diese gegenüber ihren Kunden als akkreditierte Verfahren ausgeben kann. Die flexibel akkreditierten Bereiche bedingten jedoch einen höheren Begutachtungsaufwand. Er charakterisierte das Verhältnis von DAkkS und Kunden hier so:
„Es ist Aufgabe der DAkkS, den Kompetenzbereich möglichst genau zu spezifizieren und das Bedürfnis der Labors, einen möglichst breiten Kompetenzbereich abzudecken und flexibel und schnell auf Anfragen des Marktes reagieren zu können – in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns“. Es stehe der Deutschen Akkreditierungsstelle GmbH frei, einen flexiblen Geltungsbereich anzubieten. „Diese Akkreditierungsweise“, erklärte Dr. Roman Klinkner, Veranstalter und langjähriger QM-Berater, später auf Anfrage, „ist international kaum harmonisiert. Es gibt also Länder mit und ohne Flexibilisierung des Akkreditierungsbereiches“.
Flexibilisierung nur auf Antrag möglich
Ein Labor kann sich nicht erst vor Ort beim Erst- oder Reakkreditierungsaudit für eine Flexibilisierung spontan entscheiden, sonders muss dies bereits vorher entschieden und beantragt haben. Der DAkkS-Qualitätsmanager Dr. Hönnerscheid erklärte außerdem: „Wenn Sie einen Bereich flexibilisieren wollen, können Sie das auch nicht im Rahmen einer Überwachung tun, sondern müssen dazu eine Erweiterung beantragen“.
Akkurate Definition der Prüfbereiche essentiell
„Bei der Flexibilisierung des Akkreditierungsbereiches geht es darum, den Rahmen exakt darzustellen, im Gegensatz zur fixed scope Akkreditierung, bei der der Inhalt exakt beschrieben werden muss“, erklärte Andreas Hönnerscheid weiter. Eine notwendige Voraussetzung zur Flexibilisierung des Geltungsbereichs sei deshalb die akkurate Definition des „Rahmens der Akkreditierung“.
Es würden vorab „Prüfbereiche“ festgelegt, die jeweils durch Prüfart, Matrix und Analyt sowie ggf. Messbereiche exakt zu beschreiben sind. Der Vorteil eines flexible scope seien die enthaltenen Freiheitsgrade innerhalb der festgelegten Grenzen, die dem Prüflabor erlauben, neue validierte / verifizierte Prüfverfahren ohne Begutachtung in diesen Prüfbereich aufzunehmen. Damit erkenne die DAkkS „gleichwertige“ Prüfverfahren innerhalb des Prüf-bereichs an und vertraue der Kompetenz des Labors.
Gleiche Behandlung von gleichwertigen Prüfverfahren im QM-System
Dr. Hönnerscheid betonte, dass im Rahmen des flexiblen Geltungsbereiches neu eingeführte Prüfverfahren nur dann als akkreditiert gelten können, wenn vorab durch das Laboratorium angemessene Validierungs- bzw. Verifizierungsschritte durchgeführt wurden. Weiterhin muss es ein durch das Laboratorium festgelegtes Prozedere zur Aufnahme neuer Verfahren geben, welches mit der internen Freigabe zur Aufnahme in den akkreditierten Bereich endet. Intern muss eine aktuelle Liste der als akkreditiert geltenden Verfahren mit allen Angaben, die für eine „fixed scope“ Akkreditierung erforderlich wären, gepflegt werden.
Abschließend betonte Dr. Hönnerscheid, dass eine Akkreditierung mit flexiblem Geltungsbereich keine Akkreditierung erster Klasse sei, sondern, dass diese Form der Akkreditierung nur dann Sinn macht, wenn die akkreditierte Stelle die gewährte Flexibilität auch anwendet. Es ist keinesfalls ein Beleg für eine höhere Kompetenz oder eine Gewähr für qualitativ hochwertigere Prüfdienstleistungen.
Prüfgegenstand, Prüfparameter und Prüfverfahren
Innerhalb der zu definierenden Prüfbereiche lassen sich als Freiheitsgrade des flexiblen Geltungsbereiches die Prüfgegenstände/Matrices (innerhalb bestimmter Gruppen), die Prüfparameter/Analyten (innerhalb einer Analytgruppe) sowie die Norm-Verfahren bzw. die Leistungskennwerte eines Prüfverfahrens modifizieren. Hier führte die zweite Akkreditie-rungsexpertin, Dr. Regine Schubbe, Begutachterin für die DAkkS und Laborleiterin eines akkreditierten Wasserlabors, folgendes aus:
- Flexibilität bezüglich der Matrix (Prüfgegenstand) innerhalb eines Produktbereiches z.B. Lebensmittel: Hier kann beispielsweise das Prüfverfahren von der Matrix Obst auf Getreide erweitert werden.
- Flexibilität bezüglich des Analyten (Prüfparameter) innerhalb einer Gruppe: Beispielsweise die Ausdehnung der Cadmiumbestimmung auf weitere Spurenmetalle (allerdings mit dem gleichem Gerätetyp).
- Flexibilität bezüglich des Prüfverfahrens, die die Aufnahme von Verfahren erlaubt, die äquivalent zu den bereits akkreditierten Verfahren sind.
Die drei Kategorien der Flexibilisierung
Ein wesentlicher Bestandteil einer Akkreditierung mit flexiblem Geltungsbereich sind die im Leitfaden (71 SD 0 002) definierten drei Kategorien, „wobei deren Verständnis als ein erster Test angesehen wird, ob es sich um ein kompetentes Labor handelt“, erklärte Hönnerscheid schmunzelnd und spielte damit auf die Komplexität des Leitfadens an. Jede Kategorie gewähre ein bestimmtes Maß an Freiheitsgraden, wobei Kategorie III die wenigsten und die Kategorie II die meisten habe. Der Flexibilitätsgrad nimmt also von I bis III weder stetig ab noch zu, was eine erste Verständnishürde für den Anwender sei. Dr. Hönnerscheid berichtete auch, dass bei der gerade laufenden Überarbeitung des Leitfadens DAkkS-intern umstritten sei, ob man deshalb die Kategorienbenennung nicht ändern sollte. Man habe sich aber dagegen entschieden, weil man dadurch eher noch mehr Verwirrung befürchtet hatte.
Kategorie III
Die Kategorie III kann als Einstiegskategorie betrachtet werden, für die - im Gegensatz zu I und II - kein Prüfbereich definiert werden muss. „Sie gewährt eine Flexibilität, die eigentlich selbstverständlich sein sollte, nämlich das Recht, bei Neuausgaben genormter Prüfverfahren die Neuausgabe auch anwenden zu dürfen und nicht nach der alten Normversion weiterarbeiten zu müssen, um im akkreditierten Bereich zu bleiben“, erläuterte Dr. Klinkner, die Flexibilität der Kategorie III. Für die Teilnehmer der Veranstaltung war es unverständlich, dass man diese extra beantragen müsse und es war der Wunsch fast aller, diese grundlegende Flexibilität generell jedem akkreditierten Labor zuzugestehen. „Es bleibt die Hoffnung, dass sich in diesem Punkt künftig noch etwas bewegt“, kommentierte Klinkner diesen Diskussionspunkt am Ende der Veranstaltung.
Kategorie I
Einen höheren Grad an Flexibilität gewährt Kategorie I bei der Anwendung standardisierter Verfahren. Diese Kategorie empfiehlt sich für Laboratorien, bei denen aufgrund der Entwicklung innerhalb der Normung häufig der Bedarf entsteht, neue standardisierte Verfahren anzuwenden. Hier muss das Labor die neuen Verfahren verifizieren, also zeigen, dass es die Verfahren ordnungsgemäß anwendet und beherrscht, indem es beispielsweise qualitätssichernde Maßnahmen wie Qualitätsregelkarten anwendet oder Verfahrenskenndaten ermittelt. Die Kategorie I beinhaltet Kategorie III.
Kategorie II
Kategorie II erlaubt die Entwicklung neuer und die Modifizierung bestehender Verfahren und gewährt in der aktuellen Nomenklatur die größten Freiheitsgrade. Diese Kategorie empfiehlt sich für Laboratorien, die in den Bereichen Forschung und Entwicklung tätig sind bzw. in denen wenig standardisierte Verfahren angewendet werden. Für diese Kategorie muss die Validierung der Verfahren nachgewiesen werden.
Kategorie II beinhaltet I und III bzw. Kategorie I beinhaltet Kategorie III – dies wurde von Dr. Hönnerscheid bestätigt, auch wenn dies im aktuellen Leitfaden nicht explizit beschrieben ist.
Darstellung des flexiblen Geltungsbereiches in der Urkundenanlage
Die Darstellung der Prüfbereiche erfordere keine vollständige und abschließende Listung aller im Geltungsbereich der Akkreditierung angewendeten Prüfverfahren, sondern verlange vielmehr eine klare Beschreibung der Tätigkeits- bzw. Kompetenzbereiche. Die vollständige aktuelle Listung jedes einzelnen spezifischen Prüfverfahrens, welches durch das akkreditierte Laboratorium angewendet wird, erfolgt nicht in der Urkundenanlage, sondern durch das Laboratorium selbst. Diese Liste ist auf Anfrage der DAkkS aber auch Behörden oder den Kunden des Laboratoriums vorzulegen.
Die Darstellung der Urkundenanlage hängt wesentlich von der Strukturierung des flexiblen Geltungsbereiches der Akkreditierung ab. Die Strukturierung kann für bestimmte Fachbereiche durch die DAkkS vorgegeben sein oder für den konkreten Fall vom Labor vorgeschlagen und mit dem Kundenbetreuer der DAkkS abgestimmt werden.
Einige Teilnehmer wiesen auf die Probleme in der Kommunikation mit ihren Kunden hin, die erst „lernen“ und akzeptieren müssten, dass das Labor wirklich für ein Verfahren akkreditiert sein könne, obwohl dieses nicht konkret in der Anlage zur Urkunde auffindbar ist.
Grenzen der Flexible-Scope-Akkreditierung
Von Seiten der DAkkS wurde deutlich darauf hingewiesen, dass auch dem „Flexible Scope“ Grenzen gesetzt sind. Danach sind nicht möglich:
- Eine Änderung des zugrundeliegenden Messprinzips. Dies ist mit keiner Form der Flexibilisierung möglich.
- Ein Verfahren, welches nicht den internen Prozess zur Aufnahme in den Geltungsbereich der Akkreditierung durchlaufen hat, darf gegenüber dem Kunden nicht als akkreditiert „verkauft“ werden.
- Eine Überschreitung der durch die Beschreibung der Prüfbereiche definierten Grenzen ist nicht erlaubt.
Empfehlungen aus Sicht einer Fachbegutachterin
Dr. Regine Schubbe, die als Begutachterin für die DAkkS tätig ist, führte aus, dass ein wesentlicher Punkt bei der Einführung neuer oder modifizierter Prüfverfahren die nachzu-weisende Kompetenz des Personals sei. „Der Mitarbeiter, der das Prüfverfahren entwickelt oder modifiziert, muss mit der Chemie und den verwendeten analytischen Methoden sehr gut vertraut sein. Das leitende technische Personal muss ein einschlägiges wissenschaftliches Studium vorweisen können. Mehrjährige Berufserfahrung im Fachgebiet oder vergleichbare wissenschaftliche Erfahrungen werden erwartet“, fasste Schubbe zusammen.
Anspruchsvolle Verfahren bevorzugt geprüft
„Neue Prüfmethoden werden mit sehr großer Wahrscheinlichkeit vom Fachbegutachter überprüft“, so die langjährige Laborleiterin weiter. Bei vielen Bereichen und Verfahren werde dazu in der Regel mindestens ein Kernverfahren ausgewählt. Zudem werden technisch anspruchsvollere Verfahren bevorzugt geprüft, weil so auf die Beherrschbarkeit von einfacheren Verfahren geschlossen werden könne. Insbesondere Verfahren mit größeren Konsequenzen beispielsweise im medizinischen Bereich würden aufgrund ihrer Auswirkungen besonders geprüft.
Fachbegutachter legen außerdem besonderen Wert darauf, die Validierung neuer oder modifizierter Prüfverfahren zu überprüfen. Dabei sollten die gleichen QM-Standards im Managementsystem wie schon bei akkreditierten Verfahren gelten (Dokumentation, Auditplan, regelmäßige Qualitätssicherung, präzise Beschreibung des Verfahrens, Bestimmung der Verfahrenskenngrößen, Vergleich mit den Qualitätsanforderungen, Nachweis der Erfüllung).
DAkkS-Checklisten verwenden
Weitere Empfehlung von Dr. Schubbe ist die Verwendung des DAkkS-Dokumentes 75 FB 002 1_A, der Checkliste zum flexiblen Geltungsbereich der Akkreditierung. „Bei Abweichungen formulieren und terminieren Sie Maßnahmen. Setzen Sie ein Überwachungsaudit dafür an und beziehen Sie sich auf dieses bei der Managementbewertung“, betonte sie. Im Allgemeinen solle man zur Vorbereitung der Audits die Dokumente der DAkkS, Checklisten und Nachweisblätter – auch die der Gutachter, nutzen.
Und Kalibrierlabore? Leitfaden schon wieder in der Überarbeitung
Abschließend berichtete der DAkkS-Qualitätsmanager Dr. Hönnerscheid: „Auch die Kalibrierlaboratorien werden in die Flexibilisierung aufgenommen - hier aber nur bezüglich der Kategorie III. Der Leitfaden ist diesbezüglich gerade in der Überarbeitung".
Fazit
Der Leitfaden 71 SD 0 002 ist komplex und daher erklärungsbedürftig. Es bleibt empfehlenswert, sich stetig über den (bald überarbeiteten) Leitfaden zu informieren, ihn und die enthaltenen drei Kategorien zu verstehen und dann zu entscheiden, ob Ihr Labor die Flexibilisierung des Akkreditierungsbereiches beantragen sollte. Die Validierung von Prüfverfahren ist Voraussetzung für die Flexibilisierung. Klinkner & Partner wird das Thema weiterhin verfolgen und berichten.
Für 2014 ist geplant, das Thema erneut in einer ganztägigen Veranstaltung „DAkkS Flexibilisierung des Akkreditierungsbereiches“ umfassend aufzugreifen und es soll außerdem auf dem neuen Forum Qualitätsmanager/in (noch in der Programmplanung) im September 2014 angesprochen werden.
Stand vom 15.10.2013