Muss das Kind einwilligen?
Ob Kinder oder Jugendliche selbst in die Schutzimpfung einwilligen müssen, kommt auf deren Einwilligungsfähigkeit an. Das bedeutet, dass die minderjährigen Kinder die Bedeutung der Impfung verstehen müssen. Eine feste Altersgrenze dafür gibt es nicht. Je jünger der Patient ist, desto geringer ist aber die Wahrscheinlichkeit, dass er diese Entscheidung alleine treffen kann.
Die Entwicklungspsychologie teilt Kinder und Jugendliche in drei Gruppen ein. „An dieser Unterteilung können sich Ärztinnen und Ärzte orientieren“, rät Ecovis-Rechtsanwältin Heidi Regenfelder in München:
- Ab 16 Jahren können Jugendliche selbst entscheiden. Die Eltern müssen einer Impfung nicht zustimmen. Etwas anderes gilt nur, wenn die Einsichtsfähigkeit nicht vorhanden ist.
- Zwischen 14 und 16 Jahren kommt es auf die konkrete Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen an. Dies muss letztlich der Impfarzt in einem Gespräch mit dem Jugendlichen entscheiden. Wenn ein Jugendlicher dabei zum Beispiel Fragen stellt, sich mit dem Thema auseinandersetzt und im Gespräch nicht überfordert wirkt, dann wäre das ein Beweis dafür, dass er selbst über die Impfung entscheiden kann.
- Vor Vollendung des 14. Lebensjahres ist die Einwilligungsfähigkeit nicht gegeben. Das heißt, die Eltern müssen zustimmen. Doch auch hier kann es im Einzelfall Ausnahmen geben, wenn Jugendliche für ihr Alter schon sehr reif sind. „Entscheidend wird aber in der Regel die Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern sein, insbesondere bei den unter Zwölfjährigen“, sagt Rechtsanwältin Regenfelder.
Eltern, die das gemeinsame Sorgerecht für ihre Kinder haben, entscheiden auch gemeinsam über die Impfung – egal, ob sie zusammen oder getrennt leben. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass es sich bei einer Impfung nicht um eine Angelegenheit der Alltagssorge handelt, die der betreuende Elternteil alleine trifft.
Was passiert, wenn sich Eltern nicht einigen können?
Wenn ein Elternteil die Impfung befürwortet, der andere Elternteil die Impfung aber ablehnt, müssen sich die Eltern versuchen zu verständigen. Gelingt dies nicht, kann jeder Elternteil beim zuständigen Familiengericht einen Antrag stellen, die Entscheidung über die Impfung des Kindes gegen COVID-19 dem Vater oder der Mutter alleine zu übertragen. Das Gericht bestimmt also nicht, ob ein Kind geimpft wird oder nicht, sondern es entscheidet, wer die Entscheidung für das Kind treffen darf. „Für das Gericht ist dabei vor allem das Kindeswohl ausschlaggebend dafür, welchem Elternteil es die Entscheidung über die Impfung überträgt“, so Heidi Regenfelder. Darüber hinaus sind die Argumente der Eltern entscheidend – und deren Grundlage. Die Bewertung durch das Gericht orientiert sich beispielsweise daran, ob die Eltern ärztliche Ratschläge eingeholt haben, sie sich an Wissenschaft und an Fachgremien orientiert haben oder Vorerkrankungen bestehen, die für eine Impfung sprechen.
Die bisherige Rechtsprechung erkennt die Impfempfehlungen der Stiko als medizinischen Standard für das Kindeswohl an. Sind sich die Eltern uneinig, dürfte sich die Entscheidung des Familiengerichts an der Impfempfehlung der Stiko orientieren. Es darf also derjenige Elternteil entscheiden, der die Impfung befürwortet, soweit bei dem Kind keine besonderen Impfrisiken vorliegen. Außerdem muss das Kind selbst die Impfung wollen. So beschloss das Oberlandesgericht Frankfurt am Main im Streit um die Corona-Impfung eines 16-jährigen Kindes: „Liegen eine Stiko-Empfehlung und der Willen des Kindes vor, sich impfen zu lassen, wird die Impfentscheidung dem Elternteil übertragen, das für die Impfung ist“ (Urteil vom 17.08.2021, 6 UF 120/21).“
„Für die Beurteilung, was dem Kindeswohl dient und was nicht, kommt also der Stiko und ihren Empfehlungen eine ganz erhebliche Bedeutung zu“, sagt Heidi Regenfelder.