Voraussetzungen
(Mutmaßlicher) Wille
Die Maßnahme muss dem geäußerten oder (bei äußerungsunfähigen Personen) dem mutmaßlichen Willen des Patienten entsprechen. „Sterbehilfe“ gegen den Willen des Betroffenen ist in Fällen der Nichtweiterführung lebenserhaltender Maßnahmen sowie mit dem Ziel des Schutzes der Würde des Betroffenen problematisch, im Einzelfall aber nicht ausgeschlossen. So ist der Abbruch medizinisch „sinnloser“ lebensverlängernder Maßnahmen auch gegen den Willen des Patienten möglich. Die Willensäußerung – insbesondere durch eine Patientenverfügung – ist verbindlich, wenn der Patient zum Zeitpunkt der anstehenden Entscheidung seinen Willen freiverantwortlich äußern kann. Dies gilt selbst dann, wenn dieser Wille unvernünftig erscheint, und wird auch nicht durch Leidensdruck (aufgrund aktueller oder befürchteter Schmerzen oder Angst vor qualvollem Sterben) ausgeschlossen. Hat sich der Patient im Vorfeld nicht konkret geäußert, ist nach dem mutmaßlichen Willen zu handeln. Dieser ist auch im Falle eines Suizidversuchs verbindlich. Allein eine Entscheidung „in dubio pro vita“ (im Zweifel für das Leben) ist nicht zulässig. Insbesondere bei schwer leidenden Sterbenden gilt, dass der Patient objektiv kein Interesse an einer Verlängerung seines Leidenszustands haben kann. Dies gilt ebenso bei irreversibler Bewusstlosigkeit mangels Lebensinteresses des Betroffenen und angesichts der verbreiteten Angst vor dem Zustand des „Dahinvegetierens“.
Schwere Erkrankung
Voraussetzung ist zudem eine schwere Erkrankung, um Fälle einer Beihilfe zu einem nicht krankheitsbedingten Suizid auszuschließen. Überwiegend wird angenommen, dass es sich um eine unheilbare Erkrankung handeln muss. Dies ist für die Fälle einzuschränken, in denen der Patient die Einwilligung in lebensrettende Maßnahmen wie Amputation oder Bluttransfusion verweigert – also bei einer aus medizinischer Sicht heilbaren Erkrankung. Hier ist die lebensverkürzende Erleichterung des Sterbeprozesses als (indirekte) Sterbehilfe zu werten.
Hilfe beim Sterben – Hilfe zum Sterben
Eine Beschränkung des Sterbehilfebegriffs auf Fälle, in denen der Sterbevorgang bereits eingesetzt hat („Hilfe beim Sterben“ beziehungsweise Sterbehilfe im engeren Sinn), ist nicht angemessen. Laut Bundesgerichtshof (BGH) ist unter bestimmten Voraussetzungen der Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen bereits vor dem Einsetzen des Sterbevorgangs zulässig.
Abgrenzungen
Nicht lebensverkürzende Maßnahmen
Die „Hilfe im Sterben“ beziehungsweise die „reine Sterbehilfe“ sind unproblematisch zulässig, es sei denn, der Wille des Sterbenden steht dem entgegen. Der Arzt ist nicht nur zu einer lebensverkürzenden schmerzlindernden Medikation berechtigt, sondern unter Strafandrohung sogar dazu verpflichtet.
Suizidbeihilfe
Auch die bloße Beihilfe zum Suizid ist unproblematisch. Strafbar ist nur, wenn eine Fremdtötung vorliegen würde. Zu verneinen ist dies zum Beispiel bei ausschließlicher Bereitstellung eines tödlichen Gifts für einen schwerstkranken Patienten, der dieses Gift selbst zu sich nimmt. Selbst wenn der Dritte nach dem eigenverantwortlichen Selbsttötungsakt (nach Eintritt der Bewusstlosigkeit) Hilfe zum Gelingen des Suizids leistet, handelt es sich um straflose Suizidbeihilfe.
Indirekte Sterbehilfe
Medikamentengabe zur Schmerzlinderung ist beim Sterbenden auch nicht als Tötungsdelikt strafbar, wenn sie mit dem Risiko einer lebensverkürzenden Wirkung verbunden ist. Dies gilt auch für tödlich erkrankte Patienten, die an unzumutbaren Schmerzen leiden, es sei denn, es steht der geäußerte oder mutmaßliche Wille des Betroffenen entgegen. Bei einwilligungsfähigen Patienten ist eine tatsächliche Einwilligung zu verlangen, soweit deren Einholung (und die damit einhergehende Aufklärung) therapeutisch kein Problem ist. Die Unterlassung potenziell lebensverkürzender schmerzlindernder Maßnahmen entgegen dem Willen des Betroffenen kann als Körperverletzung durch Unterlassen oder als unterlassene Hilfeleistung strafbar sein.
Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen
Die Verpflichtung des behandelnden Arztes zur Lebenserhaltung beinhaltet nicht die Pflicht, das Leben des Patienten unter allen Umständen bis zur Grenze des Möglichen zu verlängern. Dies hat der BGH (Urteil vom 25. Juni 2010, Az. 2 StR 454/09) deutlich gemacht. Problematisch ist aber das Abstellen auf die „Sinnlosigkeit“ weiterer Lebenserhaltung in Fällen des bewusstlosen sterbenden Patienten. Dies widerspricht dem Prinzip, dass menschliches Leben unabhängig von seiner voraus-sichtlichen Dauer und seinem „Lebenswert“ strafrechtlich geschützt ist. Die Berufung auf die Menschenwürde und das Recht auf menschenwürdiges Sterben reichen nicht aus.
Selbstbestimmungsrecht achten
Mit dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten ist jedoch nicht vereinbar, ihn gegen seinen Willen Maßnahmen einer künstlichen Lebensverlängerung zu unterwerfen (zum Beispiel Ernährung über PEG-Sonde). Jeder Patient hat das „Recht auf seinen natürlichen Tod“. Das bedeutet, dass nicht nur die Nichteinleitung beziehungsweise Fortführung eines ärztlichen Eingriffs der Einwilligung des Patienten bedarf, sondern bereits die Einleitung.
FAZIT:
Es gilt der Grundsatz: Der Wille des Patienten hat Vorrang gegenüber dem Ziel eines durch künstliche Lebens-verlängerung erreichten Lebensschutzes. Das gilt nicht nur bei in Kürze bevorstehendem Todeseintritt, sondern auch in anderen Fällen einer tödlichen Prognose, unter anderem beim apallischen Syndrom (Wachkoma).
Autorin: Melanie Neumann, Rechtsanwältin bei Ecovis in Regensburg, melanie.neumann@ecovis.com