Als Arzt stehe ich immer wieder vor der paradoxen Situation, dass die gängigen wissenschaftlichen Leitlinien zwar für die Behandlung einer Erkrankung ein bestimmtes Arzneimittel empfehlen. Halte ich mich aber daran, wird diese Verschreibungspraxis häufig im Rahmen der Prüfung der Verordnungsweise als unwirtschaftlich eingestuft. Ignoriere ich dagegen die Leitlinien, riskiere ich Haftungsverfahren, sollte sich herausstellen, dass eine bestimmte schwerwiegende Nebenwirkung bei leitlinienkonformer Verordnung mit großer Wahrscheinlichkeit nicht aufgetreten wäre. Eine adäquate Therapie nach wissenschaftlichen Maßstäben ist mit den Vorgaben des Prüfverfahrens nicht zu vereinbaren.
Sie behandeln in Ihrer Praxis auch Schizophrenie-Patienten, die besonders hohe Arzneimittelkosten verursachen. Deshalb wurden bereits Regresse in beträchtlicher Höhe ausgesprochen. Was bedeutet das für Sie persönlich?
Die Erlasse belasten mich enorm. Zum einen fehlt im Praxisalltag oft die Zeit, den Überblick über die laufenden Verfahren und Fristen zu behalten und immer wieder schriftlich zu begründen, warum diese oder jene Verordnung richtig war. Zum anderen fühle ich mich mittlerweile aufgrund des drohenden Regresses in meiner Existenz bedroht. Angesichts der Dauer der einzelnen Prüfverfahren kann ich mir nicht mehr sicher sein, ob es meine Praxis noch lange geben wird. Diese Angst wirkt sich natürlich auch auf meine Gesundheit und mein Familienleben aus.
Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung werden die Arzneimittelkosten des geprüften Arztes mit denen der Facharztgruppe verglichen. Halten Sie dieses Vorgehen für sachgerecht?
Nein, denn es gibt erhebliche Unterschiede zwischen psychiatrischen Praxen, insbesondere bezüglich der dort behandelten Patienten. Psychiater, die sich auf die Psychotherapie spezialisiert haben, verschreiben naturgemäß weniger Arzneimittel als Psychiater, die – wie ich – viele psychisch schwer kranke Patienten mit entsprechend hohem Medikamentenbedarf behandeln. Außerdem gibt es regionale Unterschiede: In Großstädten werden psychisch Schwerkranke häufig in Institutsambulanzen geschickt und seltener von niedergelassenen Ärzten behandelt. Psychiater, die aufgrund der regionalen Gegebenheiten keine Möglichkeit haben, diese Patienten zu überweisen, schneiden im Vergleich dementsprechend schlechter ab. Diese Aspekte werden im Rahmen der Praxisbesonderheiten nicht ausreichend berücksichtigt.
Was raten Sie Kollegen, die zum ersten Mal von einem Regress betroffen sind?
Besonders wichtig: schnell reagieren! Bei kritischen Arzneimittel-Trendmeldungen können Beratungsgespräche mit dem Beratungsapotheker der KV und mit fachgleichen Prüf- bzw. Beratungsärzten helfen. Ist ein Prüfverfahren eingeleitet, sollten die Praxisbesonderheiten im Detail dargestellt werden. Auf jeden Fall müssen Kollegen fristgemäß gegen jeden Regressbescheid Widerspruch einlegen. Mit einem Antrag auf persönliche Anhörung stellt man außerdem sicher, dass man bei der Sitzung des Beschwerdeausschusses seine Argumente vortragen kann.