Nicht nur durch das Coronavirus, sondern auch wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine muss sich neben vielen anderen Branchen die Landwirtschaft ebenso mit den Auswirkungen der Krisen beschäftigen. Landwirte verzeichnen starke Preisanstiege unter anderem bei Energie, Düngemittel oder Tierfutter.
Bisher waren langfristige Lieferverträge in der Landwirtschaft aufgrund der Planbarkeit und eines daraus resultierenden stabilen Einkommens beliebt. Durch die erhöhten Produktionskosten ergeben sich jetzt aber Schwierigkeiten. Dabei stellen sich einige Fragen, etwa welche Möglichkeiten Landwirte haben, um diese gestiegenen Kosten an ihre Abnehmer weiterzugeben oder ob sie die Verträge einseitig ändern oder gar kündigen können.
Vertragliche Regelungen haben Vorrang
„Vertragliche Vereinbarungen haben grundsätzlich Vorrang vor gesetzlichen Regelungen“, weiß Stefan Eglseder, Rechtsanwalt bei Ecovis in Landshut, „daher bietet sich zunächst ein Blick in den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag an.“ Dabei lautet der Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda“ – geschlossene Verträge sind grundsätzlich einzuhalten. Haben die Vertragsparteien einen wirksamen Vertrag abgeschlossen, sind die darin enthaltenen Vertragsinhalte bindend und Vertragspartner können die Verträge nicht einseitig ändern. „Verluste oder gesteigerte Produktionskosten sind als mögliche Risiken hinzunehmen. Landwirte können sie in der Regel nicht an den Kunden weitergeben“, sagt Eglseder.
Die Vertragsklauseln genau anschauen
In vielen Lieferverträgen lassen sich jedoch Klauseln finden, die die Rechtsfolgen von unvorhersehbaren Ereignissen regeln. Diese „Force-Majeure“-Klauseln sind aber nur relevant, wenn tatsächlich ein Fall höherer Gewalt vorliegt. „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) handelt es sich dabei um ein von außen kommendes Ereignis, das keinen betrieblichen oder persönlichen Zusammenhang aufweist und auch Vertragspartner durch äußerste Sorgfalt nicht abwenden können“, sagt Ecovis-Rechtsanwältin Adelheid Holme in Landshut.
Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine sind grundsätzlich als Fälle solch höherer Gewalt anzusehen. Für diesen Gegebenheiten ordnen die Force-Majeure-Klauseln meist eine vorübergehende Befreiung der Leistungspflicht der Vertragsparteien oder ein Kündigungs- oder Rücktrittsrecht an. „Ebenso können Preisanpassungsklauseln in Lieferverträgen das Verfahren bei erhöhten Produktionskosten regeln“, weiß Holme.
Vertragsanpassung durch Störung der Geschäftsgrundlage
Liegt zwischen den Vertragsparteien keine individuell vertraglich vereinbarte Regelung vor, sind die gesetzlichen Vorgaben heranzuziehen. Demnach kann der Landwirt aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage vertragliche Regelungen anpassen (Paragraph 313, Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Das gilt dann, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Abschluss des Vertrags schwerwiegend geändert haben und wenn die Parteien den Vertrag mit den geänderten Bestandteilen nicht oder mit einem anderen Inhalt geschlossen hätten.
Darüber hinaus verlangt der Gesetzgeber, dass es für die Parteien unzumutbar sein muss, am unveränderten Vertrag festzuhalten. „An dieser Voraussetzung mangelt es in der Realität oftmals, da Preiskalkulationen in der Regel nicht Geschäftsgrundlage des Vertrags sind und zudem in den Risikobereich des Lieferanten fallen“, erklärt Holme. Selbst gravierende Kostensteigerungen bei Rohstoffen hält die Rechtsprechung im Rahmen des Unternehmerrisikos für zumutbar. Ebenso reicht es nicht aus, sich beispielsweise auf andauernde Lieferschwierigkeiten aufgrund der Corona-Pandemie zu berufen.
Leistungspflicht entfällt wegen höherer Gewalt
Der Verkäufer oder Lieferant hat bei Kauf- und Lieferverträgen grundsätzlich eine Beschaffungspflicht, die er erfüllen muss. Die Leistungspflicht für den Lieferanten entfällt, wenn es ihm unmöglich ist, den Vertrag zu erfüllen. Umgekehrt entfällt auch für den Vertragspartner die Pflicht, den Kaufpreis zu zahlen (Paragraph 326, BGB). Diese Unmöglichkeit unterliegt jedoch strengen Anforderungen: Es genügt nicht, wenn der Lieferant ein Produkt nicht über die gewohnte Quelle beziehen kann. Er hat alle ihm zumutbaren Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Leistung zu erbringen, egal, ob dies für ihn ein zusätzlicher finanzieller Aufwand ist, etwa durch Ersatzware oder alternative Liefermethoden. „Gesteigerte Produktionskosten lassen sich daher für eine Unmöglichkeit der Leistung im Regelfall nicht anführen“, sagt Eglseder.
Möglicherweise schadenersatzpflichtig
Ist die Lieferung für den Landwirt grundsätzlich möglich, erfolgt sie aber zu spät, kann er sich schadenersatzpflichtig machen. Daneben kann der Kunde auch einen Schadenersatz statt der Leistung geltend machen oder vom Liefervertrag zurücktreten.
In diesen Fällen haftet der Lieferant aber nur für vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln. Eine Haftung für unverschuldete Leistungshindernisse oder höhere Gewalt besteht nicht. Der Lieferant muss hier beweisen, dass er die Leistungsstörung nicht verschuldet hat. „Dafür muss er genau notieren, welche Maßnahmen er ergriffen hat, um die Leistungsstörung zu dokumentieren. Damit kann er später auch seiner Beweispflicht nachkommen“, erklärt Eglseder. Zudem trifft den Lieferanten eine Informationspflicht. Verletzt er diese, können ihm Schadenersatzansprüche drohen. Ist für den Lieferanten ersichtlich, dass es zu Leistungshindernissen kommen wird, sollte er seinen Abnehmer unverzüglich darüber unterrichten, um seiner Nebenleistungspflicht nachzukommen und möglichen Schadensersatzansprüchen zu entgehen.
Kündigung des Liefervertrags
Eine außerordentliche Kündigung des Liefervertrags ist nach Paragraph 314 BGB nur aus wichtigem Grund möglich. Ein solcher setzt voraus, dass die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses den Parteien bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist. Nur weil die Rohstoffpreise steigen, ist eine Unzumutbarkeit jedoch nicht anzunehmen. Für von den Kostensteigerungen betroffene Landwirte gibt es nur einen Weg: eine ordentliche Kündigung. Dabei müssen sie die Kündigungsfristen einhalten. Das ist wiederum aber nur möglich, wenn die ordentliche Kündigung nicht vertraglich ausgeschlossen ist und es sich um ein Dauerschuldverhältnis handelt, bei dem das Ende der Vertragsbeziehung nicht vorab bestimmt ist“, sagt Ecovis-Rechtsanwalt Stefan Eglseder.