Dienstleistungen, wie zum Beispiel Beratung oder Werbung, die ein Unternehmer gegenüber einem anderen Unternehmer erbringt, werden dort besteuert, wo der Empfänger seinen Sitz hat (Empfängersitzprinzip). Ist der leistende Unternehmer nicht in diesem EU-Land ansässig, geht die Steuerschuld auf den Leistungsempfänger über. Dem leistenden Unternehmer bleibt damit die Registrierung in diesem Land erspart. Wenn zum Beispiel eine in Düsseldorf ansässige Leasinggesellschaft einem belgischen Handwerksbetrieb für drei Jahre ein Auto vermietet, muss der Handwerksbetrieb in Belgien die Umsatzsteuer entrichten. Das gleiche gilt für ein Industrieunternehmen mit Sitz in Brüssel, das eine Maschine von einer deutschen Firma reparieren lässt.
Bei sonstigen Leistungen an Privatpersonen aus dem EU-Ausland gilt dagegen der Sitz des leistenden Unternehmers im Regelfall als Leistungsort. Daher ist zum Beispiel ein freiberuflicher Sprachlehrer aus Aachen, der im nahen Maastricht, also in den Niederlanden, Deutschkurse gibt, für die entsprechenden Honorareinnahmen in Deutschland umsatzsteuerpflichtig. Das gleiche gilt derzeit noch für die im obigen Beispiel genannte Düsseldorfer Leasinggesellschaft, wenn ein in Belgien ansässiger Privatmann das Auto least. Das soll sich aber ändern: Ab 1. Januar 2013 soll die langfristige Vermietung von Fahrzeugen an eine Privatperson an deren Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthaltsort versteuert werden.
Spezialfall Bauleistungen
„Und damit sind wir schon bei den Ausnahmen von den Grundprinzipien, die das auf den ersten Blick so klare Mehrwertsteuer-Regelwerk verkomplizieren und oft anstelle der früheren Schlagbäume neue, bürokratische Hürden im EU-Binnenmarkt errichten“, erklärt Ines Wollweber, Steuerberaterin und Fachberaterin für internationales Steuerrecht bei Ecovis.
Eine abweichende Regelung gilt zum Beispiel für Bauleistungen. Hier ist das Grundstück, auf dem sie ausgeführt werden, der Leistungsort. Wenn zum Beispiel ein deutscher Handwerker an einem Gebäude in einem anderen EU-Staat Reparaturen ausführt oder eine Heizung installiert oder dort im Garten ein Schwimmbecken einbaut, ist die Bauleistung in dem anderen EU-Staat grundsätzlich steuerpflichtig. Jetzt kommt es darauf an, ob das Umsatzsteuerrecht des betreffenden EU-Landes in diesem Fall die Anwendung des so genannten Reverse-Charge-Verfahrens zulässt. Wenn ja, schuldet der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer, wenn er ein dort ansässiger Unternehmer ist. „Das aber sollte man“, so Ines Wollweber, „vorher klären.“ Ist eine Übertragung der Steuerschuld auf den Auftraggeber nicht möglich, ist der leistende Unternehmer (im Beispiel der deutsche Handwerker) grundsätzlich in dem anderen EU-Land registrierungspflichtig – ganz gleich, wo der Auftraggeber ansässig ist.
Umsatzsteuerchaos im Messebau
Ganz kompliziert wird es für den deutschen Messebauer, der für ausländische Auftraggeber tätig wird. Denn wenn er nicht mindestens drei Zusatzleistungen erbringt (zu diesem Leistungspaket muss zwingend die Überlassung von Standflächen gehören), liegt nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung eine Leistung im Zusammenhang mit einem Grundstück vor. Leistungsort ist demnach das Messegelände, obwohl der Stand nur temporär errichtet und genutzt wird. In allen anderen EU-Staaten gilt dem Vernehmen nach auch für einzelne Leistungen im Zusammenhang mit Messen der Empfängersitz als Leistungsort.
Das bedeutet: Im schlimmsten Fall bleibt ein Messebauer aus Rostock, der für einen italienischen Unternehmer in Hannover einen Messestand aufbaut, auf der deutschen Umsatzsteuer, die er dafür abführen muss, sitzen. Denn nach dem Rechtsverständnis des Italieners muss dieser als Leistungsempfänger die Umsatzsteuer in seinem Heimatland anmelden.
Kurioserweise kann aber auch völlige Umsatzsteuerfreiheit winken – zum Beispiel, wenn ein deutscher Messebauer für einen deutschen Auftraggeber in Wien einen Messestand aufbaut, ohne weitere Leistungen zu erbringen. Denn nach österreichischem Recht gilt das Empfängersitzprinzip, die Umsätze wären demnach in Deutschland zu besteuern. Das aber verschmäht der deutsche Fiskus, weil er den grundstücksbezogenen Leistungsort im Nachbarland sieht.
Für Klarheit muss jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) sorgen. Dort ist ein Rechtsstreit zur Frage des Leistungsortes bei Leistungen im Zusammenhang mit Messen und Ausstellungen anhängig (Aktenzeichen: Rs C-530/09). Der Generalanwalt kommt in seinen Schlussanträgen zu dem Ergebnis, dass eine Messeleistung vorliegt, die – so lässt sich schließen – nach der aktuellen Fassung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie als sonstige Leistung einzuordnen wäre, für die das Empfängersitzprinzip gilt. Mit der EuGH-Entscheidung wird in Kürze gerechnet. Abzuwarten bleibt, ob das Gericht dem Generalanwalt folgt.