Nein. Freiberuflichkeit ist nämlich eine einkommenssteuerliche Kategorie, Mehrwertsteuerfreiheit richtet sich nach dem Umsatzsteuergesetz:
• Ärztliche Tätigkeit ist freiberuflich. Sie wird definiert als selbständige Ausübung, der Heilkunde.
• Von der Mehrwertsteuer (Umsatzsteuer) befreit ist diese ärztliche Tätigkeit, wenn sie unmittelbar therapeutische Ziele verfolgt, sei es als Kassenleistung, als zusätzliches Selbstzahler-Angebot (im Fachjargon: individuelle Gesundheitsleistung, kurz IGeL) oder als Leistung an einem Privatpatienten.
Die umsatzsteuerliche Definition ist also enger (therapeutische Zielsetzung). Daher gibt es eine ganze Reihe ärztlicher Leistungen, die mehrwertsteuerpflichtig sind. Dessen ungeachtet ist der Arzt auch dann freiberuflich tätig.
2) Wann wird eine Praxis gewerblich?
Gewerblichkeit ist immer dann gegeben, wenn das Gepräge nicht mehr das einer reinen Arztpraxis ist.
Die Rechtsprechung hat einzelne Fälle danach entschieden, wie hoch der gewerbliche Anteil der Praxiseinnahmen ist. Dabei ist sie relativ großzügig: Weniger als drei bis vier Prozent seien in der Regel noch unschädlich. Aber der Eindruck in der Öffentlichkeit kann auch durch qualitative Faktoren bestimmt werden. Zum Beispiel, wenn das Erscheinungsbild der Praxis trotz geringer Umsätze daraus durch den Verkauf oder die Anpassung außerärztlicher Artikel geprägt wird: Hörgeräte, Kontaktlinsen oder Brillen, orthopädische Hilfsmittel oder Sanitätshaus-Artikel können damit zum Fallstrick werden, ohne dass auch nur ein Artikel verkauft wird. Gewerblichkeit wäre die Folge – die Praxis müsste also Gewerbesteuer zahlen.
Wesentliches Merkmal der Freiberuflichkeit ist auch, dass die Leistung persönlich erbracht wird. Voraussetzung ist daher, dass der berufsausübende Einzelarzt oder Praxispartner (Gesellschafter einer Gemeinschaftspraxis) jedem einzelnen Behandlungsfall sein persönliches Gepräge gibt. Was darunter genau zu verstehen ist hängt vom Einzelfall ab.
Die Grenzen der freiberuflichen Tätigkeit werden überschritten, wenn durch Delegation, die der Arzt mengenmäßig nicht mehr überwachen kann, durch Anstellung von Berufsangehörigen anderer Fachgebiete oder durch allzu viele Filialen der Arzt praktisch kaum noch persönlichen Einfluss ausüben kann.. Krasse Beispiele sind Großlabore und Dialysepraxen, aber so extrem müssen die Fälle gar nicht liegen.
3) Die Gemeinschaftspraxis ist besonders gefährdet. Warum?
Bei der Gemeinschaftspraxis können zusätzlich noch andere Faktoren Gewerblichkeit auslösen:
a) Selbst wenn die originär gewerbliche Tätigkeit nur einen sehr geringen Umsatzanteil erreicht, kann eine Gemeinschaftspraxis schon gewerblich infiziert werden. In manchen Urteilen wurde die Grenze bei knapp über einem Prozent Umsatzanteil gezogen. Wird sie überschritten, kommt es bei der Gemeinschaftspraxis auf das Erscheinungsbild gar nicht mehr an, sondern es liegt stets insgesamt ein Gewerbebetrieb vor.
b) Gewerblich in diesem Sinne sind auch Honoraranteile aus Integrierte-Versorgungs-Verträgen, wenn damit zum Beispiel Medikamenteneinkauf, Krankenhausunterbringung oder Ähnliches abgegolten werden, auch wenn daran gar nichts verdient wird. Auch jedes Kick-back – eine ohnehin strafrechtlich unzulässige Einkommensform – wird zusätzlich mit Gewerbesteuer auf den gesamten Praxisertrag bestraft.
c) Wenn einer der Gesellschafter weniger Umsatz macht als sein Gewinnanteil beträgt und auch keine andere messbare Tätigkeit dieses Manko aufwiegt, liegt immer Gewerblichkeit vor. Gefährlich werden kann insbesondere die Beteiligung nur noch kapitalmäßig involvierter Altgesellschafter und ist insoweit zu hinterfragen.
d) Wenn einer der Gesellschafter (bei einem ansonsten von Ärzten getragenen Medizinischen Versorgungszentrum) eine Kapitalgesellschaft ist oder eine Personengesellschaft, an der ihrerseits eine Kapitalgesellschaft beteiligt ist, liegt ebenfalls Gewerblichkeit vor. Schädlich ist es auch, wenn eine beteiligte Personengesellschaft zwar nur natürliche Personen als Gesellschafter hat, aber geschäftsleitende Funktionen ausübt (Holding-Gesellschaft).
4) Was passiert, wenn ...
Die Höhe der Gewerbesteuer richtet sich nach den Hebesätzen der Gemeinden. Die Spannweite ist groß; erfahrungsgemäß liegen alle Ballungsräume im oberen Bereich.
Bis zu einem Satz von etwa vier Fünfteln der Bandbreite der üblichen Hebesätze wird die gezahlte Gewerbesteuer grundsätzlich (also nicht immer) voll auf die Einkommenssteuer der Gesellschafter angerechnet. In den Ballungsräume liegen die Hebesätze allerdings über dieser Marke. Daher wird dort unter dem Strich regelmäßig eine Mehrbelastung bleiben, die bis zu drei Prozentpunkte vom gesamten Praxisertrag ausmachen kann. Bei rückwirkender Korrektur kann es auch vorkommen, dass Jahre mit Gewerbesteuer (bis zu 18 Prozent) belastet werden, bei denen eine Anrechnung niedriger war oder aus verfahrensrechtlichen Gründen ganz ausscheidet.
Fazit: Bei jeder Gestaltung und bei jeder Planung ist neben der arztrechtlichen Zulässigkeit auch die Gewerblichkeit zu beachten. Das Arztrecht schützt nämlich nicht vor dem Steuerrecht!
Autor: Dr. Ruprecht Müller-Kern, Rechtsanwalt, Steuerberater und Fachanwalt
für Steuerrecht