Einstieg ins EU-Finanzregime
Trotz aller Widerstände „ist der Weg zu einer eigenen Steuerhoheit der EU vorgezeichnet“, meint jedoch Professor Dr. Peter Lüdemann, Ecovis-Vorstand und Experte für internationales Steuerrecht. „Die Maßnahmen zur Bewältigung der Euro-Schuldenkrise sind der Anfang.“ Was Euro-Kritiker befürchtet haben, ist eingetreten: Eine Währungsunion ohne koordinierte Finanz- und Wirtschaftspolitik ist eine Zeitbombe, die irgendwann explodiert.
Jetzt kommt die gemeinsame Fiskalpolitik durch die Hintertür: Die Beschlüsse des Euro-Sondergipfels im Juli laufen nämlich darauf hinaus, dass die Staaten der Euro-Zone gemeinschaftlich für angeschlagene Partnerländer einstehen. So kann der Euro-Krisenfonds EFSF jetzt deren Anleihen zum niedrigen Marktwert zurückkaufen und dafür eigene Papiere ausgeben. „Das kommt den umstrittenen Eurobonds ziemlich nahe“, sagt Professor Lüdemann. Zudem kann der EFSF Mitgliedstaaten, die von der Europäischen Zentralbank (EZB) als gefährdet eingestuft werden, Kreditlinien gewähren, um sie vor dem Druck der Finanzmärkte zu schützen. Voraussetzung für diese Überbrückungskredite ist, dass sich die betroffenen Länder strengen Spar- und Reformprogrammen unterwerfen, wie bisher schon Griechenland oder Portugal.
Versteckte Binnenmarkt-Hürde
„Das ist der erste Schritt in ein gemeinschaftliches Schulden- und Etatmanagement“, erklärt Lüdemann. „Um künftig zu vermeiden, dass sich einzelne Euro-Länder über Gebühr verschulden, reicht das aber nicht aus.“ Das heißt: „Auf Dauer brauchen wir eine Schuldenbremse für alle nach deutschem Vorbild – und eine finanzpolitische Union, die eine Steuerharmonisierung einschließt.“ Die Alternative wäre, so Lüdemann, „dass die Euro-Zone sich wieder auseinanderdividieren würde“ – keine schönen Aussichten für Deutschland, das als Exporteur vom Binnenmarkt mit nahezu einheitlicher Währung profitiert, und für das Gewicht Europas an den Devisenmärkten.
Idealer Kandidat für eine einheitliche EU-Steuer wäre die Umsatzsteuer. „Denn wegen der unterschiedlichen Mehrwertsteuerbelastung in den einzelnen Mitgliedstaaten haben wir immer noch keinen echten Binnenmarkt“, kritisiert Professor Lüdemann. „Zwar sind die Grenzkontrollen abgeschafft, dafür aber wurde die einstige Zollschranke mit komplizierten steuertechnischen Regelungen in die Unternehmen verlegt“, erklärt Rainer Tüchert, Steuerberater bei Ecovis.
Jeder Grenzübertritt einer Ware oder Dienstleistung zwischen zwei EU-Staaten muss genau dokumentiert werden, um zu belegen, dass die Umsatzsteuer auch an den berechtigten Empfängerstaat abgeführt worden ist. „Die Unternehmen haften dabei für kleinste Fehler“, beklagt Tüchert. „Schon wenn bei ansonsten klarer Sachlage der eine oder andere Nachweis den formalen Anforderungen nicht voll genügt, kann das dazu führen, dass für eine Lieferung ins Nachbarland deutsche Umsatzsteuer zu zahlen ist oder Vorsteuererstattungsansprüche versagt werden.“
Ein Befreiungsschlag
Trotzdem ist das System betrugsanfällig, die Staaten bekommen die kriminellen Vorsteuerkarusselle nur schwer in den Griff. „Was zur Folge hat, dass der Fiskus noch detailliertere Formalanforderungen stellt, die einen enormen Aufwand verursachen.“ Bei einer einheitlichen EU-Umsatzsteuer würde eine Lieferung von München nach Lissabon oder Stockholm nicht anders behandelt als eine von Leipzig nach Köln. „Das wäre“, so Tüchert, „eine große Erleichterung für die Unternehmen.“ Damit wäre auch den Vorsteuerbetrügereien der Boden entzogen. „Denn die Frage, wo Umsatzsteuer gezahlt und wo Vorsteuer erstattet wird, stellt sich dann nicht mehr.“ Ganz konsequent und am einfachsten wäre es, wie der Steuerrechtler Professor Dr. Paul Kirchhoff vorgeschlagen hat, die Umsatzsteuer nur noch auf Lieferungen und Leistungen an Endverbraucher zu erheben, nicht aber zwischen Unternehmen.
Freilich gibt es noch eine politische Hürde: Länder mit geringerer Steuerehrlichkeit, die ihre Etats stark auf die leichter abgreifbare und kontrollierbare Umsatzsteuer stützen, haben hier tendenziell höhere Steuersätze, die sie senken müssten. „Das Problem wird sich aber in dem Maße entspannen, wie sie zum Schuldenabbau gezwungen sind, konsequent Einkommen- und Ertragsteuern zu erheben“, meint Professor Lüdemann. „Vor 20 Jahren hätte man zum Beispiel auch nicht gedacht, dass Spanien das mal lernen würde – da war die Steuermoral laxer als heute in Griechenland.“
Langfristige Perspektiven
Natürlich würden Bund und Länder weiter an einer EU-Umsatzsteuer partizipieren. „Aber aus einem angemessenen Anteil könnte sich die EU finanzieren, die Mitgliedstaaten würden dafür bei den Beitragszahlungen entlastet“, erklärt Lüdemann. „Über die Umsatzsteuersätze und den EU-Haushalt würde das EU-Parlament beschließen. Die Gemeinschaft würde demokratischer.“ Als Einstieg wäre die von der Kommission vorgeschlagene EU-weite Finanztransaktionsteuer für Lüdemann „einen Versuch wert“.
Auf längere Sicht wäre auch eine Harmonisierung der Einkommen- und Ertragsteuern wünschenswert, um Verzerrungen im Standortwettbewerb zu vermeiden. „Entscheidend sind dabei nicht die Steuersätze, sondern die Angleichung der Bemessungsgrundlagen“, betont Lüdemann. Denn die Sätze allein sagen noch nichts über die tatsächliche Steuerbelastung aus. „Wenn das geschafft ist, kann man Steuersatzkorridore vorgeben.“
Worüber wir reden sollten
· Welche Nachweise verlangt das Finanzamt, damit innergemeinschaftliche Warenlieferungen an ein Unternehmen in einem anderen EU-Staat umsatzsteuerfrei bleiben?
· Wie bestimmt sich der Leistungsort für sonstige Leistungen an einen Kunden aus einem anderen EU-Staat?
· Wie kann ich dem Finanzamt die Plausibilität der Verrechnungspreise für die Liefer- und Leistungsbeziehungen mit ausländischen Tochtergesellschaften belegen?
· Wer hilft mir, wenn ich in einem anderen EU-Staat Probleme mit der Finanzverwaltung bekomme?
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