Eine Woche lang tauschten sich die knapp 110 WissenschaftlerInnen aus 21 Ländern über die neuesten Erkenntnisse der Nano-Umweltforschung und der Nano-Ökotoxikologie aus. Oder besser gesagt darüber, was sie alles noch nicht wissen. Denn das Forschungsgebiet ist noch jung und daher vieles noch unklar.
Das verwundert kaum, geht es dabei doch um äusserst komplexe Zusammenhänge und Fragen: Wie (und in welchen Mengen) werden synthetische Nanopartikel aus "Nano-Produkten" in die Umwelt freigesetzt? Wie hoch ist die zu erwartende Belastung, etwa von Flüssen und Böden? Welche Analysenmethoden eignen sich überhaupt zur Untersuchung von Umweltproben auf Nanopartikel, deren Mengen in vielen Fällen "homöopathisch" sein dürften? Und welche Auswirkungen haben die winzigen Teilchen dann auf Fische, Insekten, Bakterien, Pflanzen und was sonst noch alles kreucht und fleucht?
Synthetischen Nanopartikeln in der Umwelt auf der Spur
"Natürlich ist es noch viel zu früh, um abschliessend zu beurteilen, ob Nanopartikel ein Umweltproblem darstellen oder nicht", sagt Bernd Nowack von der Empa-Abteilung "Technologie und Gesellschaft", der die Konferenz gemeinsam mit KollegInnen der Eawag, des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) und der Duke University im US-amerikanischen Durham organisiert hat. Trotzdem ist der Umweltwissenschaftler mehr als zufrieden mit dem Treffen. Vor allem der Austausch zwischen US-Forschungskreisen und der europäischen Wissenschaftsszene in Workshops und Diskussionsgruppen habe "viele neue Impulse und Ideen geliefert."
Aber auch erste konkrete Ergebnisse wurden bereits präsentiert. Dem Eawag-Forscher Ralf Kägi und seinen Kollegen war es im Rahmen eines Kooperationsprojekts mit der Empa zur Untersuchung des Auswaschverhaltens von Nanopartikeln aus Gebäudematerialien gelungen, erstmals synthetische Titandioxid-Nanopartikel (TiO2) in einer Wasserprobe aus einem Schweizer Fluss nachzuweisen. TiO2 kommt beispielsweise in "selbstreinigenden" Anstrichen zum Einsatz, aber auch als UV-Schutz in Kosmetika. Die TiO2-Partikel werden vermutlich aus den Hausfassaden ausgewaschen - im Fassadenablauf sind sie in relativ hohen Mengen zu finden - und gelangen über die Kanalisation in die Oberflächengewässer, wo sie stark verdünnt werden - und daher recht schwierig nachzuweisen sind. Dass es sich bei den TiO2-Partikeln um künstlich hergestelltes Material handelte (TiO2 kommt auch natürlicherweise in Böden vor), belegte ihre Grösse und gleichmässig sphärische Morphologie, die die Forscher mit Hilfe eines Transmissionselektronenmikroskops untersuchten.
Empa- und Eawag-ForscherInnen sind derzeit daran, gemeinsam ein "Nanopartikel-Labor" mit neuen Analysenverfahren aufzubauen. Ausserdem soll ein Verfahren zur Grössenauftrennung von Nanopartikeln mit einem hochempfindlichen Analysengerät gekoppelt werden, um die nach ihrer Grösse "sortierten" Partikel auch chemisch analysieren zu können. Laut Empa-Forscherin Andrea Ulrich wird im neuen Labor künftig vor allem das Verhalten von Nanopartikeln wie Nano-Silber und nanopartikuläres TiO2 in Abwässern, Flüssen und Seen untersucht.
Mehrere Vorträge am Treffen befassten sich auch mit natürlichen Nanopartikeln. So zeigte der US-Forscher Lawrence Murr von der University of Texas in El Paso, dass in der Umgebung der Stadt Kohlenstoffnanoröhrchen (CNTs, engl. Carbon Nanotubes) und ähnliche Nanopartikel in Luftproben weit verbreitet sind. Auch aus zehntausend Jahre alten Eisbohrkernen aus Grönland haben die US-Forscher CNTs isoliert. Diese Untersuchungen zeigen laut Murr, dass die als anthropogen - vom Menschen verursacht - angesehenen Nanoröhrchen auch natürlichen Ursprungs sein können.
Empa simuliert den Stofffluss von Nanopartikeln in der Umwelt
Um den Analytik-Fachleuten einen ersten Anhaltspunkt zu liefern, in welchen Umweltproben es sich "lohnen" dürfte, nach synthetischen Nanopartikeln zu suchen, haben die wissenschaftlichen Empa- Mitarbeitenden Bernd Nowack und Nicole Müller Stoffflüsse für drei verschiedene Nanopartikel am Computer simuliert: Nano-Silber, Nano-TiO2 und Kohlenstoffnanoröhrchen (CNTs). Nano-Silber hat interessante antimikrobielle (und damit geruchsmindernde) Eigenschaften und wird unter anderem in der Textilindustrie eingesetzt; CNTs kommen derzeit vor allem in der Elektronik- und Polymerindustrie zum Einsatz.
Dazu haben sie das Modell mit den weltweiten Produktionsmengen dieser Partikel und ihrer Verwendung in verschiedenen Produkten "gefüttert" sowie mit den zu erwartenden Lebenszyklen der "Nano-Produkte" - also Gebrauch, Lebensdauer sowie Art der Weiterverwertung oder Entsorgung. In jedem Stadium schätzten die Empa-ForscherInnen die Freisetzung der Partikel in die Umwelt ab und modellierten das Partikelverhalten etwa beim Verbrennen der entsorgten Produkte in einer Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) oder beim Klären der Abwässer in einer Abwasserreinigungsanlage (ARA). Die daraus berechneten Mengen an Nanopartikeln in den verschiedenen Ökosystemen - in der Luft, in Flüssen und Seen und im Boden - verglichen sie mit Konzentrationen, die in toxikologischen Studien keine negativen Auswirkungen auf Organismen zeitigten. Daraus ergab sich dann ein so genannter Risikoquotient für die untersuchten Partikel in den verschiedenen Ökosystemen, ein gängiges Verfahren, dass EU-weit auch bei der Risikoabklärung von Chemikalien angewandt wird.
Die berechneten Risiken für die verschiedenen Nanopartikel unterscheiden sich deutlich, wie Nowack und Müller nun in der Fachzeitschrift "Environmental Science & Technology" berichten. So stellen etwa CNTs gemäss Modellrechnung derzeit kein relevantes Umweltrisiko dar. "Produkte mit CNTs werden meist entweder rezykliert oder enden in einer KVA", erklärt Nowack. Dort würden die Nanoröhrchen zum grossen Teil verbrennen beziehungsweise recht effizient aus den Abgasen gefiltert. Dagegen ergaben die Simulationen, dass TiO2-Nanopartikel in kleinen, stark mit ARA-Einflüssen belasteten Fliessgewässern durchaus in "grösseren" Mengen auftreten könnten. Hier seien nun genauere Analysen gefordert, unter anderem um herauszufinden, ob die Nanopartikel das Flusswasser tatsächlich in den berechneten Mengen belasten. Denn: "In wässriger Umgebung aggregieren viele Nanopartikel sehr leicht zu grösseren Mikropartikeln, die dann ins Sediment sinken", so der Empa-Forscher.
Noch fehlen toxikologische Langzeitstudien an Modellorganismen
Auch verschiedene toxikologische Studien an Zellen und "Modell-Organismen" wie Fischen, Wasserflöhen, Algen und Bakterien wurden präsentiert. "Eine rote Flagge hielt dabei bislang noch niemand hoch, ein gravierendes Umweltproblem mit Nanopartikeln sieht zum jetzigen Zeitpunkt also keiner", fasst Bernd Nowack die Ergebnisse zusammen. Allerdings, so schränkt er ein, seien bislang lediglich akute Effekte untersucht worden. "Ergebnisse aus Langzeitstudien liegen noch nicht vor."
Zudem zeigte der Empa-Forscher Harald Krug eindrücklich, dass die derzeit gängigen Tests zur Bestimmung der Toxizität von Nanopartikeln nicht immer verlässliche Aussagen erlauben. So können diese etwa auch "falsch-positive" Resultate liefern, nach denen ein an sich unschädliches Partikel als giftig eingestuft wird - beispielsweise indem die untersuchten Nanomaterialien wie Kohlenstoffnanoröhrchen direkt mit Chemikalien reagieren, die eingesetzt werden, um die "Fitness" der Zellen zu bestimmen - und somit das Ergebnis verfälschen.