Die aktuelle, durch das Coronavirus ausgelöste Krise zeigt, wie radikal sich Mobilität und Kommunikation von dem einen auf den anderen Tag ändert: Grenzen werden geschlossen, Veranstaltungen abgesagt und Teammitglieder sind zuhause isoliert. „Dabei ist es in der arbeitsteiligen Welt gerade in Krisenzeiten wichtig, internationale Verbindungen zu pflegen, um weltweit verfügbare Kompetenzen zu nutzen und dann gestärkt aus der Krise hervorzugehen“, so Björn P. Jacobsen, Professor für Internationales Management an der Hochschule Stralsund.
Viele Unternehmen machen aus der Not eine Tugend und nutzen für die internationale Kommunikation verstärkt E-Mails sowie Telefon- und Videokonferenzen. Unabhängig von den damit verbundenen technischen Herausforderungen verläuft die Umstellung der Kommunikation nicht immer reibungslos – und sie wird komplexer, wenn Partner unterschiedlicher Kulturen unvermittelt virtuell zusammenarbeiten müssen.
Jacobsen hat dazu in der Praxis drei Herausforderungen identifiziert und gibt Tipps, wie damit umzugehen ist, denn er ist überzeugt: „In der Corona-Krise steckt auch eine riesige Chance für die internationale Zusammenarbeit.“ Zu den drei häufigsten Herausforderungen gehören seiner Ansicht nach:
- Ein mangelndes Wissen und Verständnis zu den kulturellen Besonderheiten der internationalen Kommunikation,
- technische Herausforderungen bei Telefon- und Videokonferenzen sowie
- praktische Herausforderungen bei der Organisation virtueller Treffen über unterschiedliche Zeitzonen hinweg.
Die Zusammenarbeit von räumlich getrennten Teams ist schon unter normalen Bedingungen herausfordernd, denn die Kommunikationsgewohnheiten, das Verständnis von Aufgabenerledigung und die Organisation von Arbeitsabläufen ist kulturell bedingt sehr unterschiedlich.
Viele, auch erfahrene Manager denken zum Beispiel, dass amerikanische Gesprächspartner ihre Meinung sehr direkt zum Ausdruck bringen, während französische Partner ihre Meinung eher indirekt äußern. Was generell richtig ist, verkehrt sich zum Beispiel bei Kritik des Vorgesetzten an seine Teammitglieder genau in das Gegenteil: Franzosen sind bei negativer Kritik sehr direkt und bei positiver Kritik eher implizit. Amerikaner hingegen äußern positive Kritik direkt und reden bei negativer Kritik um den berühmten „heißen Brei“ herum, was bei Gesprächspartnern oftmals den Eindruck einer positiven Kritik erweckt. „Wir nennen das den ‚three positives for every negative‘ Effekt. Alles ist awesome, great, fantastic und dann folgt die versteckte Kritik“, so Jacobsen.
Die Liste der Beispiele – die in ähnlicher Form für reale wie virtuelle Treffen gilt – ließe sich beliebig fortsetzen. Wichtig ist, dass die daraus in virtuellen Teams entstehenden Missverständnisse minimiert werden. Jacobsen weist dazu auf zwei Punkte hin:
In internationalen Teams hat die informelle Kommunikation einen besonderen Stellenwert. Nur so können Wissenslücken geschlossen und das Verständnis für unterschiedliche Geschäftsabläufe geweckt werden. Die Partner müssen sich gegenseitig darüber informieren, wie in ihrem Umfeld „normalerweise“ Geschäfte abwickelt werden und welche Prozesse dafür vorgesehen sind. Und wichtig: reden, reden, reden. Konflikte in virtuellen Teams sind schwieriger zu bewältigen, als in Teams, die in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander arbeiten. Der Grund: In virtuellen Teams lässt sich Vertrauen nur sehr langsam aufbauen.
Vertrauen lässt sich über einen regelmäßigen Austausch von Informationen aufbauen – auch außerhalb planmäßiger Videokonferenzen. Dazu sollten im Team Regeln beschrieben werden, wann, wie und aus welchen Anlässen Informationen ausgetauscht werden: zum Beispiel Informationen aus Kundenkontakten, kürzlich gelöste Probleme oder Lehren, die aus Fehlern gezogen wurden.
Technische Herausforderungen kennen und meistern
Dank der technischen Möglichkeiten ist die virtuelle Kommunikation heute einfacher als je zuvor. So versprechen es die Hersteller von Videokonferenz-Systemen. „Ich stimme dem grundsätzlich zu, wer aber mit unterschiedlichen Partnern kommunizieren muss, steht vor Herausforderungen. Ich selbst habe derzeit sechs unterschiedliche Systeme auf meinem Rechner. Das sind mindestens drei zu viel.“, so Jacobsen. Der Grund liegt in Unternehmensrichtlinien oder Firewalls, die dazu führen, dass bestimmte Systeme nicht genutzt werden dürfen und/oder können.
Davon abgesehen gibt es auch ganz praktische Herausforderungen. So kann eine schlechte Tonqualität dazu führen, dass Informationen verloren gehen und speziell Nicht-Muttersprachler sich oftmals – nicht nur aufgrund schlechter Übertragungsqualität – überfordert fühlen, dem Gesprächsfluss zu folgen.
Eine weitere Erfahrung, die viele Teilnehmer dieser Tage machen, ist herauszufinden, wer denn an der Reihe ist. Dies ist speziell bei Telefonkonferenzen, wo visuelle Hinweise fehlen, eine Herausforderung.
Aber auch die vermeintliche gut eingeübte E-Mail-Praxis führt im internationalen Kontext zu Herausforderungen. Werden zum Beispiel zu bearbeitende Dokumente versandt, muss über eine Versionskontrolle sichergestellt werden, dass alle Teammitglieder an dem gleichen Dokument in der aktuellen Version arbeiten.
Darüber hinaus haben kulturelle Hintergründe einen Einfluss auf die Bearbeitung von E-Mails: Während das amerikanische Teammitglied den Eingang der E-Mail und die Einhaltung der Frist zur Bearbeitung unmittelbar bestätigt, meldet sich der spanische Kollege nicht zurück. Der Eindruck entsteht: Der ignoriert mich. Nach drei Tagen kommt – wie gewünscht – die Zuarbeit des spanischen Kollegen. Und er ist sich keiner Schuld bewusst, denn er hat die Frist doch eingehalten.
Und was sonst schon in normalen Zeiten für Verdruss sorgt, bereitet in Krisenzeiten zusätzliche Herausforderungen: Überlaufende Posteingangsfächer. Jeder wird in jede E-Mail reinkopiert und am Ende löscht der Empfänger diese einfach ungelesen. Andererseits soll niemand von den Informationen ausgeschlossen werden. Es gilt, speziell in virtuellen Teams, eine Balance zwischen Informationsbedürfnis und Informationsüberflutung zu finden.
Um diese Herausforderungen anzugehen, bietet sich für virtuelle Teams die Einrichtung gemeinsamer, virtueller Arbeitsbereiche („shared groups“) an, in denen die zu bearbeitenden Dokumente abgelegt werden. Diese sind rund um die Uhr zugänglich, erlauben den Teammitgliedern jeweils an der aktuellsten Version zu arbeiten, und alle Beteiligten haben in Vorbereitung der virtuellen Teammeetings den gleichen Informationsstand.
Deutschland ist nicht der (zeitliche) Nabel der Welt
Im Osten geht die Sonne auf, das heißt, es gibt Teammitglieder, die stehen früher auf und es gibt Teammitglieder, die arbeiten wesentlich länger, denn im Westen geht die Sonne unter.
Wenn virtuelle Teams in unterschiedlichen Zeitzonen arbeiten, kann es schwierig sein, einen Zeitpunkt zu finden, an dem jedes Mitglied an einer Telefonkonferenz teilnehmen kann. Regelmäßig am frühen Morgen oder am späten Abend anberaumte Telefon- oder Videokonferenzen können Teammitglieder frustrieren.
Hier sollten Regeln für die virtuellen Teammeetings gemeinsam festgelegt werden: Welche Zeiten sind für wen akzeptabel? Ist es üblich, abends oder am Wochenende Kollegen in den USA anzurufen, um Projekte zu besprechen? Sinn und Zweck dieser Regeln ist es, dass jedes Teammitglied versteht, wann der Arbeitstag der Kollegen endet: in Dänemark ist dies um 16.00 Uhr, in den USA ist es nicht unüblich, um 20.00 Uhr noch Meetings abzuhalten. Darüber hinaus sind nationale und/oder religiöse Feiertage zu berücksichtigen.
Das Ziel ist eine faire Lastenverteilung zwischen den Teammitgliedern, so dass nicht die Kollegen in Asien immer bis in die späten Abendstunden arbeiten müssen, während die amerikanischen Kollegen schon am frühen Morgen aufstehen müssen, damit der deutsche Kollege das virtuelle Teammeeting um die Mittagszeit abhalten kann. Um zu vermeiden, dass ein Teammitglied mehr als alle anderen seine normalen Arbeitszeiten anpassen muss, können die Besprechungen jede Woche zu unterschiedlichen Zeiten organisiert und somit die Unannehmlichkeiten auf alle Schultern verteilt werden.
Vollkommen unabhängig von der aktuellen Krise und den hier geschilderten praktischen Herausforderungen, haben Forschungen schon vor vielen Jahren gezeigt, dass virtuelle Teams teilweise effektiver arbeiten können, als Teams, die in unmittelbarer räumlicher Nähe zueinander arbeiten. Um das zu erreichen, müssen diese Teams jedoch anders geführt und organisiert werden. Insofern bietet die durch das Corona-Virus ausgelöste Krise auch ungeahnte Chancen.