Thomas Mayrhofer: Eine Haus- oder Seminararbeit an einer Hochschule ist eine schriftliche Auseinandersetzung mit einer klar definierten Forschungsfrage. Die Studierenden sollen z.B. die Struktur, Methodik sowie das wissenschaftliche Argumentieren lernen. Auch richtiges Zitieren gehört dazu. In diesem Lernprozess werden sie durch die Dozenten wie z.B. Professoren unterstützt. Die Studierenden haben meist mehrere Monate innerhalb des Semesters Zeit für das Erstellen der Hausarbeit. Natürlich haben die Studierenden in dieser Zeit auch noch andere Kurse, die sie belegen müssen. Der Umfang sowie die inhaltliche Tiefe sind somit meist deutlich geringer, als man dies von einer wissenschaftlichen Arbeit erwartet.
Gibt es einen Unterschied zwischen einer Hausarbeit und einem wissenschaftlichen Artikel?
Thomas Mayrhofer: Die Hausarbeit folgt dem Aufbau von wissenschaftlichen Arbeiten. Sie kann der erste Schritt zu einer wissenschaftlichen Veröffentlichung sein. Zunächst muss die Hausarbeit jedoch geprüft werden. Dies erfolgt als erstes hochschulintern, d.h. der Dozent oder die Dozentin überprüft und benotet die Hausarbeit. Bei herausragenden Hausarbeiten besteht eventuell die Möglichkeit, diese zu einem wissenschaftlichen Fachartikel weiterzuentwickeln. In der Regel muss dafür jedoch selbst bei hervorragenden Hausarbeiten die Argumentation geschärft und die inhaltliche Tiefe ausgebaut werden. Ist dies geschehen, kann die externe Diskussion erfolgen. In der Gesundheitsökonomie stellt man das so genannte Papier auf verschiedenen wissenschaftlichen Forschungsseminaren, Workshops sowie Konferenzen vor. Hier wird der Artikel diskutiert und andere Wissenschaftler zeigen Schwachstellen auf und geben Verbesserungsvorschläge. Nach jeder Vorstellung wird das Paper überarbeitet und weiter verbessert.
Wird der Artikel dann veröffentlicht?
Thomas Mayrhofer: Nein, die Kür kommt erst noch. Das vermeintlich fertige Paper wird bei einer Fachzeitschrift eingereicht. Hier wird es nochmals von mehreren wissenschaftlichen Fachexperten intensiv geprüft und erhält teils seitenlange Gutachten, die wiederum Kritikpunkte und Verbesserungsvorschläge beinhalten. Häufig wird das Papier von der Fachzeitschrift daraufhin abgelehnt. Das bedeutet, dass die wissenschaftliche Arbeit nochmals intensiv überarbeitet werden muss, bevor man den Artikel bei der gleichen oder einer anderen Fachzeitschrift wieder einreichen kann. Dieser Prozess kann sich mehrfach wiederholen bis der Artikel die Qualität erreicht hat, dass er veröffentlichungswürdig ist. Es kann aber auch sein, dass das Papier bei diesem Prozess auf der Strecke bleibt, d.h. es stellt sich raus, dass eine Veröffentlichung nicht realistisch ist. Erst wenn all diese Hürden mit Erfolg genommen sind, erfolgt die Publikation des wissenschaftlichen Artikels.
Wie geht es dann weiter mit dem Artikel und dem Thema?
Thomas Mayrhofer: Es könnte zu einer Empfehlung für die Politik kommen. Eine wissenschaftlich fundierte Politikempfehlung basiert zumeist auf Veröffentlichungen in Fachzeitschriften, also den Artikeln, die alle Hürden genommen haben. Nun ist es jedoch so, dass sich auch Fachzeitschriften hinsichtlich ihrer Qualität (bzw. der Qualität ihrer Fachartikel) unterscheiden. Hier gibt es verschiedene Rankings, die eine grobe Einordnung der Fachzeitschriften durchführen. Bei den deutschsprachigen Ökonomen ist das z.B. das Handelsblattranking. Bei den Medizinern wird mehr auf den Impact Factor geschaut, einen Index, der zeigt wie oft ein Artikel aus der Zeitschrift von Wissenschaftlern durchschnittlich zitiert wurde.
Das dauert ja ziemlich lange, bis Forschungsergebnisse in der Politik ankommen. Geht es auch schneller?
Thomas Mayrhofer: Der Weg von einer Hausarbeit zur wissenschaftlich fundierten Politikempfehlung ist lang und berechtigterweise aufwendig. Dennoch ist es wichtig diesen Prozess einzuhalten. Das Vertrauen in die Wissenschaft basiert auf den strengen Regeln des Peer-Review Verfahrens, also des Prüfens und Begutachtens durch andere Wissenschaftler. Und nur so ist die wissenschaftliche Qualität einer Politikempfehlung gewährleistet. Die Einhaltung des Peer-Review-Standards gilt auch bei Aussagen im Hinblick auf die Corona-Pandemie. Hier gibt es spezielle „expedited reviews“ d.h. beschleunigte Verfahren. Auch in diesen werden die Papiere intensiv begutachtet, bevor sie veröffentlicht werden und somit als Ausgangspunkt für eine Politikempfehlung dienen können.
Gerade bei der derzeitigen Diskussion über etwaige Corona-Maßnahmen (oder deren Abschaffung) sollten sich Wissenschaftler sowie die Medien ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein und Politikempfehlungen auf Grundlage von wissenschaftlich fundierten Ergebnissen treffen.