Denn jetzt bekommt die Versicherung die Rechnung. Gerade kleinere Firmen haben in der Regel keine Schnittstellen, über die sie das Dokument digital und standardisiert übermitteln. Sie schicken Rechnungen aus Papier, gern mit doppeltem Durchschlag und in ihrer eigenen Fachsprache formuliert. Das Schriftstück kann von der Versicherung zwar gescannt und digital gelesen werden. Das ist schon mal nicht schlecht. Aber „gelesen“ heißt in diesem Fall keinesfalls „verstanden“.
Normale Texterkennungssoftware? Reicht nicht aus
Ein Beispiel: Die Firma listet als Leistungen etwa „Installation Ansaugschläuche“, „Aufstellen Kondenstrockner“ und „Kondensateimer leeren“ auf. Normale Texterkennungssoftware erfasst diese Leistungen als Einzelposten, und das auch nicht immer zu 100 Prozent korrekt. Technisch ausgedrückt: Die unstrukturierten Daten bleiben unstrukturiert und damit für die angeschlossenen Versicherungssysteme unverständlich. Benötigt werden für die Bearbeitung aber nicht nur präzise Informationen, sondern auch eine Gesamtsumme für die Leistungsart „Trocknungskosten“. Was also passiert? Ein:e Sachbearbeiter:in kramt den Taschenrechner hervor, rechnet per Hand die drei Positionen zusammen, trägt sie ein und prüft mittels einer Tabelle, ob Leistung und Summe gedeckt sind. Dann erst kann die Zahlung freigegeben und angestoßen werden.
Ganz klar: Diese manuelle Bearbeitung ist zeit- und ressourcenintensiv, manch eine Fachkraft könnte sich derweil etwas Spannenderem widmen. Genau da kann spezialisierte KI für Versicherungen sehr nützlich sein – gerade in Zeiten steigender Schadenaufwände. Denn künstliche Intelligenz kann Tätigkeiten übernehmen, die nicht wertschöpfend sind. Damit trägt sie dazu bei, Bearbeitungsrückstände abzutragen, Mitarbeiter:innen zu entlasten, dem Fachkräftemangel etwas entgegensetzen und die Datenqualität zu erhöhen. Darüber hinaus macht KI faktisch weniger Fehler: Sie verliert nie die Konzentration.
KI-Modell übersetzt Rechnungen in Versicherungssprache
Faktor Zehn hat einen Use Case dafür geschaffen, wie man Schadenprozesse mithilfe von KI verschlanken kann. Seit 2017 kooperieren wir als Softwarehersteller und Implementierungspartner mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Das Ergebnis der Zusammenarbeit: eine Lösung, die den gesamten Schadenprozess automatisiert. Es ist das letzte Puzzleteil zu einer 100-prozentigen Dunkelverarbeitung.
Angedockt ist die Lösung an Faktor-ICS, das Schadenmodul von Faktor Zehn. Die Künstliche Intelligenz, die Faktor Zehn und das Fraunhofer IAO dafür einsetzen, geht wesentlich weiter als übliche regelbasierte KI wie etwa ChatGPT, das über Wahrscheinlichkeiten von Wortkombinationen funktioniert. Denn das zugrundeliegende Sprachmodell ist speziell auf Versicherungsfälle trainiert – eine echte KI für Versicherungen eben. Sie halluziniert nicht, sondern „weiß“ um den Kontext, in dem sie Informationen vorfindet.
Das bedeutet im Fall der Wasserschaden-Rechnung: Einzelleistungen – wie Schlauchinstallation, Aufstellen und Leeren der Trockner – werden von der KI strukturiert. Sie fasst sie sinnvoll zusammen und übersetzt sie in die Sprache der Versicherungen („Trocknungskosten“). Dabei erkennt sie auch Synonyme und Bilder. Anschließend werden die Informationen automatisiert geprüft: Ein Regelwerk checkt, ob die Leistung erstattungsfähig ist, orientiert sich unter anderem an Preisgrenzen, erkennt, ob die Rechnung kongruent ist und ob es sich um schlüssige Werte handelt.
KI für Versicherungen in den Sparten Hausrat, KFZ, Unfall und vielen mehr
Ist alles in Ordnung, kann Faktor-ICS die Zahlung freigeben, den Kund:innen eine schriftliche Information schicken, die Abschlussrechnung erstellen und den Schadenfall schließen. Bei Bedarf funktioniert das rund um die Uhr. Braucht es für diesen Prozess noch einen Menschen? Nur, wenn man ihn brauchen möchte: für Stichproben etwa. Das Regelwerk ermöglicht es der Versicherung beispielsweise, jeden siebten Fall von Sachbearbeiter:innen prüfen zu lassen oder besonders hohe Summen gesondert unter die Lupe zu nehmen – je nachdem, was festgelegt wird.
Papierrechnungen von Handwerker:innen im klassischen Hausrat-Fall sind nur ein Feld, wo KI für Versicherungen nützlich sein kann. Die gleiche Technologie funktioniert auch in vielen anderen Sparten wie Unfall oder KFZ. Die sprachmodellbasierte KI hilft überall, wo es gilt, unstrukturierte Daten zu verarbeiten – ganz gleich, ob das Belege für die Auszahlung von Krankenhaustagegeld oder Gutachten für kaputte Windschutzscheiben sind.
Der Zeitpunkt, sich dafür zu entscheiden, ist aktuell denkbar günstig. Die Praxisreife der Modelle fällt in eine Phase, in der die Versicherungsbranche mitten in der Transformation steckt, Unternehmen Prozesse digitalisieren und ihre Altsysteme durch schlanke Lösungen ersetzen. Bei der Auswahl des neuen Systems empfiehlt es sich, gleich darauf zu achten, dass es KI-kompatibel ist.
Unersetzlich: der Mensch als Trainer:in und Kontrollinstanz
Ein verlässlicher Rechtsrahmen und die kontinuierliche Schulung des Sprachmodells – diese beiden Dinge sind entscheidend für den Erfolg von KI in der Versicherungsbranche. Letzteres schafft eine neue Art der Arbeit. Nur wenn menschliche Expert:innen die Ergebnisse validieren, kann sich das Modell gewinnbringend weiterentwickeln und so funktionieren, wie es soll. An dieser Stelle liegt auch ein wesentlicher Knackpunkt: Die Qualität der KI-Ergebnisse steht und fällt mit der Güte der Datenbasis.
Was die Regulatorik angeht, gibt es seit dem AI-Act der EU 2023 grünes Licht für den Einsatz von KI bei Versicherungen. Die einzige Ausnahme: Beiträge für Lebens- und Krankenversicherungen dürfen nicht von Künstlicher Intelligenz berechnet werden. Was einmal mehr beweist: KI kann und wird den Menschen nicht ersetzen. Aber sie wird sehr wohl schon in naher Zukunft noch größeren Einfluss auf die Arbeit in der Versicherungsbranche haben.