Finanzierung.com: Herr Rembor, Sie haben als Interimsmanager einen detaillierten Einblick in viele Unternehmen. Ist das traditionelle Geschäftsmodell in Deutschland ein Auslaufmodell? Angesichts von Werksschließungen, Standortverlagerungen und Restrukturierungen, die uns in diesem Jahr bevorstehen2024?
Uwe Rembor: Es besteht wirklich die Gefahr, dass dem so sein könnte. Dieses Jahr, und es ist noch jung, sind die Hälfte meiner Anfragen für die Abwicklung einer Standortschließung oder einer Verlagerung ins Ausland, die andere Hälfte für die Durchführung von Restrukturierungen. Und das nur bei mir. Rechnen Sie das mal hoch! Wir haben hohe Energie- und Personalkosten, eine unternehmerunfreundliche Regierung, Personalnotstand, Bürokratie und etliche Hürden, die es Unternehmen immer schwieriger machen das Geschäftsmodell Deutschland aufrecht zu erhalten. Traditionell bestand dieses darin, Rohstoffe und Teile nach Deutschland zu bringen, sie hier zu veredeln und dann zu exportieren.
Welche Herausforderungen sehen Unternehmen in Deutschland hinsichtlich hoher Energiekosten, Personalmangel und Bürokratie?
Rembor: Die Herausforderung besteht darin mit immer höheren Kosten, gleichzeitig mit immer weniger Personal, das immer kürzer arbeiten will, erfolgreich gegen die fleißigen und günstigen Asiaten anzutreten. Das können Unternehmen nur über zwei Hebel: Die Kosten müssen runter und die Umsätze gleichzeitig rauf. Das wiederum erfordert Investitionskapital für Digitalisierung, Automatisierung und Restrukturierung. Und genau da setzen wir ja mit unserer Kooperation an: Wir organisieren Unternehmen das Kapital und gleichzeitig das Knowhow, das sie brauchen.
Welche Lösungen werden benötigt, was muss die Politik tun?
Rembor: Im Grunde ist es ganz einfach. Die Politik muss sich doch nur einmal anschauen, was uns das Ausland erfolgreich vormacht: Wir müssten Free Zones einrichten in denen Investitionen für 20 Jahre steuerfrei sind, das schafft Arbeitsplätze und bringt Investitionen nach Deutschland, anstatt dass sie abwandern. Es macht Unternehmen auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähig und das Geld, das verdient wird, das wird in Deutschland ausgegeben und kommt so wieder herein. In Irland sind Spitzenverdiener wie internationale Musiker sowie Spitzensportler steuerbefreit. Die Rechnung ist einfach: Werden die besteuert, wandern sie ins Steuer-Exil nach Monaco, aber so, sagt die irische Regierung ganz pragmatisch, geben Sie ihre Millionen zu Hause aus, kaufen Luxusvillen, Autos, Kleidung. Das mag auf den ersten Blick Sozialneid erregen, ist aber einfach nur vernünftig. Das Geld bleibt so im Land. Was nicht an die Steuer geht, geht in den Konsum und schafft Arbeitsplätze und höhere Mehrwertsteuereinnahmen. Auch die Energiepolitik kann leicht geändert werden. Wir sind Preisweltmeister bei Energie, aber importieren Billigstrom aus Frankreich und Belgien, der, kaum über der Grenze, auf magische Weise in Deutschland wieder teuer wird. Warum? Weil das Gesetz es so will, denn der Strompreis muss sich am Preis des Inlandstrompreises orientieren, und solche dummen Gesetze können ebenso einfach geändert oder abgeschafft werden, wie sie erlassen wurden.
Wie kann der Mittelstand dem Nachfolgenotstand entgegenwirken?
Rembor: Es gibt mehrere Möglichkeiten: Den Verkauf an eine Private Equity Gesellschaft oder eine Gruppe die ein buy-and-build Modell verfolgt. Da gibt es von beiden genügend. Noch besser: Sich sehr frühzeitig kümmern und loslassen können. Das fällt vielen Inhabern schwer. Ich kennen genug Patriarchen in ihren 70er die sich verdammt schwer tun das Ruder zu übergeben und loszulassen. Entwickeln Sie frühzeitig Talente – es gibt viele ambitionierte Nachwuchskräfte die liebend gerne einen Management-Buy-Out machen würden, wenn sich die Gelegenheit bietet. Halten Se nach solchen Talenten Ausschau und fördern Sie sie. Beratungsexperten für Nachfolgeplanung können ebenfalls gute Dienste leisten.
"Internationalisierung spielt eine Schlüsselrolle"
In welcher Verfassung finden Sie solche Unternehmen vor? Warum haben Gründer Schwierigkeiten, loszulassen, und wie beeinflusst dies die nächste Generation?
Rembor: Meist haben diese Unternehmen eines gemeinsam: Sie haben eine Struktur und eine Belegschaft die ganz auf den Inhaber fixiert sind. Die Belegschaft hat nie gelernt Entscheidungen delegiert zu bekommen, die Strukturen sind verkrustet, die Prozesse veraltet. Das liegt ganz einfach daran, dass man sich schwer tut loszulassen oder etwas zu verändern, wenn es so aussieht das man es Jahrzehnte lang richtig gemacht hat. Aber es sieht eben oft nur so aus. Weil man sieht, was man erreicht hat, aber nicht wie es hätte sein können. Die Folgen für die nächste Generation sind logisch: Nachfolger sind nicht bereit so lange zu warten bis der Senior abtritt und dann selbst schon alt zu sein, sie möchten Verantwortung übernehmen und sich entfalten, und tun das dann anderswo aber nicht mehr im eigenen Unternehmen.
Welche Rolle spielt die Internationalisierung für deutsche Unternehmen angesichts von Investitionsstau und zurückhaltenden Banken?
Rembor: Eine Schlüsselrolle. Diversifizierung war schon immer überlebenswichtig. Wenn Sie nur auf den einheimischen deutschen Markt setzen und ihnen bricht aus irgendwelchen Gründen der Umsatz weg, dann haben Sie ein Problem. Wenn Sie in 70 Länder verkaufen und Ihnen bricht in dreien der Umsatz weg, haben Sie ein weit kleineres Problem. Wenn Sie gar über eine Produktion, sei es eine Neugründung oder eine Verlagerung ins Ausland nachdenken, wird das Problem noch viel deutlicher: Viele ausländische Standorte locken mit Free Zones, Steuererleichterung oder fast kostenlosen Baugrundstücken, um steuerzahlende und arbeitsplatzschaffende Unternehmen anzulocken. Während sie als Unternehmer in Deutschland noch Formulare für einen Bankkredit ausfüllen stellt ihnen ihn Dubai die Regierung voll erschlossene Gewerbeimmobilien mit 15 Jahren Steuerfreiheit zu günstigen Mieten zur Verfügung. Aber auch wenn Sie lediglich über die Internationalisierung des Vertriebs nachdenken, kostet das Geld. Produkte und Verpackungen müssen angepasst werden, ein Vertrieb aufgebaut.
"Asiaten kennen keine Stechuhr"
Sie haben aufgrund Ihrer internationalen Erfahrung gute Vergleichsmöglichkeiten: Wie sehen Sie den derzeitigen Streit um Arbeitszeitmodelle, insbesondere im Vergleich zwischen der 4-Tage-Woche und Remote Work versus traditionellen Arbeitsmodellen in Asien und im arabischen Raum?
Rembor: Wir sägen uns gerade den Ast ab, auf dem wir sitzen. Deutschland war immer bekannt und erfolgreich wegen seiner Leistungsfähigkeit, sprich seinem Fleiß. Jetzt haben wir mit die höchsten Lohnkosten der Welt und wollen gleichzeitig immer weniger arbeiten. Die 4 statt 5 Tage Woche bedeutet eine Produktivitätseinbuße von 20 Prozent. Unternehmen können 20% weniger produzierten, verkaufen, ausliefern wenn plötzlich 20% der verfügbaren Arbeitszeit fehlt. Das muss entweder geschluckt oder über die Preise weitergegeben werden. Aber welches Unternehmen hat eine Marge, die mal eben einen Schnitt von 20 Prozent verträgt und wer ist bereit 20% höhere Preise zu bezahlen? Unternehmen müssten dann 20 Prozent mehr Personal überhaupt einmal finden und einstellen, um diese Lücke zu füllen, und das wird dann noch teurer. Wer allen Ernstes glaubt die 4 Tage Woche sei ohne Einbußen für die Volkswirtschaft zu haben sollte Nachhilfeunterricht in Wirtschaft nehmen. Die fleißigen Asiaten, die keine Stechuhr kenne,n und die muslemische Welt mit ihrer 6 Tage Woche lachen sich ins Fäustchen und graben uns das Wasser ab, während deutsche Gewerkschaften und Arbeitnehmer ihren Luxusproblemen frönen.
Inwiefern können deutsche Unternehmen von Benchmarking in der Wirtschaftspolitik profitieren? Welche Lektionen können aus Ländern wie Irland, Singapur und Dubai gezogen werden?
Rembor: Von Irland können wir in Sachen Steuerpolitik etwas lernen, von Singapur über Bürokratie-Vereinfachung und von Dubai über Pragmatismus und das Anziehen von Auslandsinvestitionen. Das ganze Land ist praktisch eine Auslandsinvestition.
Warum ist es für deutsche Unternehmen zunehmend wichtig, sich zu internationalisieren? Welche Grenzen des Wachstums in etablierten Märkten werden erreicht?
Rembor: Wohin wollen Sie wachsen, wenn der heimische Markt penetriert ist? Und was, wenn man alles auf den heimischen Markt setzt und der wegbricht? Das Problem ist, mit den sog. Etablierten Märkten, die relativ einfach zu bedienen sind, ist, dass sie da alle tummeln. Nehmen Sie die afrikanischen Märkte. Dort gibt es Potentiale ohne Ende, aber der durchschnittliche deutsche Mittelständler will sich das nicht antun, weil man sich da eben mehr anstrengen muss. Dazu kommt, dass unsere berühmtes „Export Weltmeister“ Etikett von einer Handvoll Großunternehmen getrieben wird, die das Volumen bringen, wie Mercedes, Bosch, BASF oder Boehringer, aber der durchschnittliche Mittelständler lediglich opportunistisch mal auf einer Messe den ein oder anderen Container in den Export verkauft, aber kein strategisches, systematisches Globalgeschäft betreibt. Wenn ich frage „Kennen Sie den größten Kunde der Erde für Ihr Produkt?“ wissen das die meisten nicht.
Welche Risiken birgt die politische Homogenität Europas für deutsche Unternehmen?
Rembor: Wenn überall die gleiche Gesetzgebung herrscht und sich ändert, verlieren Sie eventuell über Nach nicht nur einen Markt, sondern alle Europäischen Märkte.
"Viele M&A-Deals werden Opfer der Bürokratie"
Warum scheitert die Hälfte aller Unternehmensübernahmen, und welche Schritte können unternommen werden, um diese Misserfolgsquote zu senken?
Rembor: Dass M&A scheitern hat nichts mit der Größe zu tun. Nachdem sogar der Merger Daimler-Chrysler spektakulär scheiterte, ist es kein Wunder, dass auch kleinerer mit weniger Due Diligence und Strategie-Ressourcen ausgestattet Unternehmen hier oft scheitern. Oft scheitert es daran, dass man das Geschäftsmodell oder den Marlt des Übernahmekandidaten nicht richtig versteht und dann von falschen oder nicht vorhandenen Synergiepotentialen ausgeht. Oder die Post-Merger-Integration gelingt nicht, weil man nicht die richtigen Leute mit der speziell nötigen Erfahrung auf dem Projekt hat. Oder der Deal wird Opfer der Bürokratie, weil der Käufer seine Kultur auf das andere Unternehmen stülpen will, was scheitert. Feindliche Übernahme sind hier noch viel risikoreicher als freundliche, weil bei der feindlichen Übernahme nicht ungewöhnlich ist, dass absichtlich noch Sand ins Getriebe geworfen wird.
Welche Rolle spielen kulturelle Unterschiede und das Verständnis für lokale Märkte bei internationalen Geschäftsübernahmen, und wie können Unternehmen diese Herausforderungen bewältigen?
Rembor: Die spielen eine ganz massive Rolle. Ohne dass man weiß, was der andere sagt wird die eigene Reaktion unmöglich. Ein japanisches Nein hört sich für uns oft an wie ein ja, und wer als Papierprodzent auf den japanischen Markt will, muss wissen dass Toiletten-papier dort an der Haustür verkauft wird, weil es als peinlich gilt, damit in der Öffentlichkeit gesehen zu werden. Dass in Australien grün die warnende Bedeutung hat wie bei uns rot und nicht als „ok to use“ gilt, muss man ebenso wissen als dass in Israel von rechts nach links gelesen wird, damit die Vorher- / Nachher Werbung für Waschmittel in der Zeitschrift nicht zur Lachnummer wird. Interkulturelle Kompetenzen werden in einer globalen Welt immer wichtiger. Unternehmen können sie hier Experten bedienen, die sich mit dem jeweiligen Markt gut auskennen, spezialisierte Interim Manager sind hier ein Paradebeispiel..
Zur Person:
Uwe Rembor ist Partner einer der größten Sozietäten für Restrukturierungen und hilft seit 35 Jahren Unternehmen als Interim CEO, CRO oder CSO bei der Restrukturierung und der Vertriebs-Optimierung. Dafür wurde der Interim Manager mehrfach international ausgezeichnet: unter anderem als Exzellenzberater für den Mittelstand der Deutschen Wirtschaft 2023, Sanierungsmanager des Jahres (WKÖ), Top-3-Führungskraft Vertrieb (VCR) und für Project Management Excellence (TESCO). Er erhielt den Thames-Gateway-Business-Growth Award und wurde für den Constantinus Award nominiert. Seine Branchenschwerpunkte liegen in der produzierenden Industrie und im Life Science Sektor (Krankenhäuser, Medizintechnik, Pharma-Herstellung und Biotechnologie). Rembor ist emeritierter Dozent der FH Kufstein und Uni Wien und Fachbuchautor zum Thema internationales Turnaround-Management und arbeitet regelmäßig für Private Equity Portfolio-Unternehmen, inhabergeführte Mittelständler und Konzerne.