Den immensen Stellenwert funktionierender Lieferketten verdeutlichte Gerald Hirt, Geschäftsführer HVCC GmbH, am Beispiel der jüngst im Suezkanal havarierten Ever Given. Was mit einem einzelnen Schiff begann, führte innerhalb von nur einer Woche zu einem Stau von mehr als 350 Frachtern, dessen Auswirkungen auf den weltweiten Wirtschaftsraum noch bis in die zweite Jahreshälfte hinein zu spüren sein werden. Eine dermaßen gestörte Lieferkette beeinflusst Produktionstermine, verhindert die rechtzeitige Bereitstellung von Saisonware, wirkt sich aus auf Lagerkapazitäten, Import- und Exportaktivitäten. Demzufolge sieht Hirt das Zusammenbringen von Lieferung (Supply) und Bedarf (Demand) als eine der zentralen Herausforderungen bei der Gestaltung von resilienten Supply-Chains.
Dem direkten Impact von Störungen auf die Lieferkette wird laut Professor Stich, Geschäftsführer des FIR, in seiner ganzen Komplexität noch immer nicht genügend Bedeutung beigemessen. Vielfach fehlt das Bewusstsein, dass hinter jeder Bestellung eine eng getaktete, saubere Logistik steht, die mit dem Wandel vom Verkäufer- zum Käufermarkt nochmals an Priorität gewinnt. Zusammen mit diesem Wandel vollzieht sich in der Logistik eine deutlich wahrnehmbare Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit. Schon Ende der 80er Jahre erkannte man, dass die Reduzierung auf rein ökonomische Ziele nach dem Motto „Wohlstand für alle auf Teufel komm raus“ unserer Erde auf Dauer schadet. Das führte in den 2000er Jahren zu einem radikalen Umdenken, das sich u. a. in den Sustainable-Development-Goals (SDG) manifestierte, die heute im Green Deal, dem übergreifenden EU-Klimaziel, ihre Fortsetzung finden. Die Verlagerung des Fokus auf Klima- und weitere Nachhaltigkeitsziele sowie die damit verbundene Zunahme von Verordnungen und Gesetzen führt zu einer Ablösung des Shareholder-Value-Managements durch ein Stakeholder-Management. Die Einflussnahme von Gesetz und Ordnung ist massiv und wird das Geschäft in Zukunft noch stärker als heute schon beeinflussen. Unternehmen sind daher gezwungen, sich intensiv mit dem Stakeholder-Management auseinanderzusetzen.
Auch Klaus Wiesen, sustainabill GmbH und Dr. Alexander Skorna von der Funk Gruppe berichten von ihren Erfahrungen mit den hohen Standards, die das geplante Lieferkettengesetz zum Schutz von Umwelt und Menschenrechten mit sich bringt. Unternehmen müssen dafür die Voraussetzungen und Verantwortlichkeiten durch ein entsprechendes Risikomanagement schaffen. Wie dies in der Praxis umgesetzt werden kann, zeigte Dr. Giovanni Prestifilippo, Geschäftsführer PSI Logistics. Das Risikomanagement muss als kontinuierlicher Prozess des Supply-Chain-Managements etabliert werden, der Produktion und Logistik über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg betrachtet. Ziel ist es, Schwachstellen zu identifizieren und mittel- sowie langfristige Strategien zu deren Optimierung zu erarbeiten.
Die im Lieferkettengesetz verankerte Rechenschaftspflicht entlang der gesamten Lieferkette ist eine große Herausforderung. Sie erweitert die Sorgfaltspflichten über Unternehmensgrenzen hinaus auf die eingebundenen Zulieferer bis in die Grundproduktion. Damit müssen Unternehmen maximale Transparenz über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg gewährleisten – eine lückenlose End-to-End-Beziehung, wie sie auch Professor Stich in seinem Impulsvortrag als eine von vier Key-Messages für das nachhaltige Wertschöpfungsnetzwerk der Zukunft aufzeigte. Jeder Beteiligte sollte nicht nur seine eigene Position, sondern auch seinen Beitrag zur gesamten Wertschöpfung kennen, denn, so Stich: „Wer Kakao als Rohstoff für Schokolade anbaut, sollte auch einmal Schokolade gegessen haben.“
Lieferketten transparent zu machen, ist an sich schon eine schwierige Aufgabe, wie Dr. Christoph Haupenthal, AFTS UG, feststellte. Die Sache wird aber noch kniffliger, stellt man gleichzeitig auch die Nachhaltigkeit in den Fokus. Produkte kommen aus aller Welt, oft überschneiden sich Lieferketten und viele Wettbewerber täuschen mit dem sogenannten „Green Washing“ Nachhaltigkeitsstandards vor, die sie gar nicht einhalten. Transparenz darf auch in diesem komplexen Gefüge nicht auf Kosten der Offenlegung von Geschäftsprozessen herbeigeführt werden. Die AFTS UG bedient sich dazu in Zusammenarbeit mit Planet Now eines ganzheitlichen Ansatzes auf Basis von Blockchain-Technologie. Von der Bestandsaufnahme über die Ziel- und Strategiefindung bis hin zur Definition von Produkten und Lieferwegen können so Datenschutzvorgaben eingehalten und der Schutz der jeweiligen Unternehmen gewährleistet werden.
Auch für INFORM stehen drei Nachhaltigkeitsaspekte (gem. Brundlandt-Bericht) im Vordergrund: Die Unterstützung operativer und strategischer Unternehmensentscheidungen, die Optimierung des gesellschaftlichen und des ökologischen Nutzens sowie die wirtschaftliche Nachhaltigkeit. Wie dies in der Praxis umgesetzt wird, zeigte Jörg Böhme, INFORM GmbH, an Beispielen aus der Lebensmittelindustrie sowie aus dem Maschinen- und Anlagenbau.
„Der heutige Tag hat uns die vielen Facetten von Sustainable-Supply-Chains gezeigt. Wir haben die Herausforderungen und Key-Messages für zukünftig erfolgreiche Supply-Chains erörtert, in Best Practices und Workshops mehr zu Technologien für die leistungsfähige Supply-Chain sowie zur durchgängig nachhaltigen Produkterzeugung erfahren. Das Thema Nachhaltigkeit wird uns auch in den nächsten Jahren weiter umtreiben. Eine große Rolle wird die zunehmende Einflussnahme der Politik spielen, aber auch die Gesellschaft erwartet von den Unternehmen mehr Verantwortung gegenüber Mensch und Natur. Wir freuen uns darauf, diesen Weg weiter zu begleiten und Ihnen in Online-Seminaren, Veranstaltungen und Workshops Impulse für die wertschöpfende Gestaltung Ihrer Supply-Chain zu geben“, schloss Tobias Schröer die Veranstaltung mit einem Ausblick auf kommende Aktivitäten des FIR.
Weitere Informationen:
fir-thementag.de
Thesenpapier FIR-Thementag Sustainable Supply-Chain-Management
Supply-Chain-Management am FIR