Expert:innen sehen in der neuen Strategie eine ähnliche Revolution wie durch das Just-in-Time-Konzept oder Lean Manufacturing. Auf Deutsch lässt sich Servitization etwas salopp als Prozess der „Verdienstleistung“ übersetzen. Sinngemäß drückt der Begriff „neue Dienstleistungen“ aus.
WAS IST SERVITIZATION?
Servitization beschreibt einen Geschäftsmodell-Trend weg vom reinen Verkauf eines Produktes hin zum Erbringen von (zusätzlichen) Services. Für Unternehmen bedeutet es, neu zu denken, welchen Mehrwert sie liefern und wie sie ihre Kund:innen an sich binden können. Ein berühmtes Zitat von Harvard-Professor Theodore Levitt führt dieses Umdenken vor Augen:
„People don’t want to buy a quarter-inch drill. They want a quarter-inch hole.“
– Theodore Levitt
Die Leute wollen keinen Viertelzoll-Bohrer kaufen. Sie wollen ein Viertelzoll-Loch. Im Sinne von Servitization würde nun die Frage für einen Hersteller von Bohrmaschinen lauten: Wie bekommt der Kunde, was er will – sein Loch in der Wand? Wie können wir ihm dies ermöglichen? Die Antwort könnte sein, dass das Unternehmen zusätzlich zum Bohrer ein Werkzeug-Training anbietet. Oder es verkauft statt der Maschine einen „Lochbohr“-Service.
DER TREND VOM PRODUKTKAUF ZUM SERVICEABRUF
Dass der Service relevant für den Umsatz ist – besonders im After-Sales-Bereich –, ist längst erkannt worden. In folgendem Bonmot kommt das schön zum Ausdruck:
„Die erste Maschine verkauft der Vertrieb, die zweite der Service.“
– Unbekannt
Servitization geht jedoch weiter als guter Kundenservice und wird in letzter Zeit durch andere Trends befeuert: Verstärkt durch die Digitalisierung und den gesellschaftlichen Wandel verlieren materielle Produkte zunehmend an Wert. Der Besitz tritt für viele Kund:innen in den Hintergrund. Stattdessen suchen sie immer häufiger nach der kostengünstigsten Methode, anfallende Aufgaben zu erfüllen und Probleme zu lösen.
Durch Servitization folgen produzierende Unternehmen dieser Nachfrageveränderung: Anstatt reine Produkte zum Kauf anzubieten, vermarkten sie ein kombiniertes Angebot aus Produkt und Dienstleistung. Für die Kund:innen bedeutet das, dass sie weniger Arbeit bei der Integration des Produkts haben und sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.
Für die Unternehmen bedeutet der kombinierte Ansatz mehr Umsatz pro Kund:in ohne großen Aufwand, da das benötigte Know-how bereits vorhanden ist. In seiner Vollendung wird aus Servitization Product-as-a-Service bzw. eine Solution-as-a-Service.
DIE VERSCHIEDENEN ARTEN VON SERVITIZATION
Expert:innen unterscheiden bei Servitization drei verschiedene Arten von Services mit unterschiedlichem Umfang:
- Base Services: Das sind zu einem Produkt zubuchbare Optionen, zum Beispiel Ersatzteil-Service, Installation und Einrichtung vor Ort oder Anwendungs-Schulungen für das Personal
- Intermediate Services: Hierbei handelt es sich um Dienstleistungen, die sicherstellen, dass das Produkt stets funktions- und einsatzfähig ist, zum Beispiel regelmäßige Inspektionen, Wartung und Instandhaltung
- Advanced Services: Kund:innen kaufen nicht mehr das Produkt an sich, sondern eine bestimmte Leistung, die das Unternehmen mit seinem Service zur Verfügung stellt, zum Beispiel Leasing von Maschinen oder das „Power by the hour“-Modell von Bristol Siddeley bzw. Rolls-Royce (siehe unten)
Im Zusammenhang mit Servitization beschäftigen sich Expert:innen und Unternehmen häufig mit dem sogenannten Produkt-Service-System. Es entsteht, wenn ein Produkt mit passenden Dienstleistungen zu einem neuen Gesamtpaket verknüpft wird. Dabei können beide Anteile unterschiedlich gewichtet sein. Bei zunehmendem Serviceanteil ergeben sich folgende Stufen:
- Produktorientiert: Produkt steht im Vordergrund und wird nur durch einzelne Services wie Installation, Wartung und Reparatur ergänzt
- Integrationsorientiert: Zusätzliche Services wie Finanzierung, Entsorgung von Altgeräten oder Schulungen sollen die Anschaffung und Integration des Produkts erleichtern
- Serviceorientiert: Echtes Produkt-Service-System, bei dem beide Anteile essenziell sind, zum Beispiel Verkauf einer Anlage in Verbindung mit einem Überwachungsdienst; Entspricht den Intermediate Services
- Nutzungsorientiert: Verkauf einer Funktion anstatt eines Produkts, zum Beispiel durch einen Leasing-Service für Maschinen und Geräte
- Ergebnisorientiert: Dienstleistung ersetzt das Produkt vollständig, zum Beispiel durch einen Gärtnerservice anstatt des Verkaufs eines Rasenmähers
Das klingt für Sie alles etwas zu theoretisch? Die folgenden Beispiele für ein aus einem Produkt abgeleiteten Produkt-Service-System verdeutlichen das Potenzial von Servitization für das fertigende Gewerbe:
I. DAS „POWER BY THE HOUR“-ANGEBOT VON ROLLS-ROYCE
Bristol Siddeley, Hersteller von Flugtriebwerken, kam bereits in den 1960er Jahren auf die Idee, seine Antriebe den Fluglinien nicht einfach wie herkömmlich zu verkaufen, sondern für einen Festpreis zur Verfügung zu stellen. Dabei wurde ein fester Preis pro Flugstunde vereinbart. Die Abrechnung per Flugstunde verhalf dem Modell zu seinem Namen: „Power by the hour“. Nachdem Rolls-Royce das Unternehmen 1968 gekauft hatte, geriet diese frühe Innovation im Bereich Servitization jedoch zunächst in Vergessenheit.
Etwa 15 Jahre später griffen die Verantwortlichen den Grundgedanken erneut auf und entwickelten mit „TotalCare“ ein neues auf Servitization beruhendes Konzept. Gegen eine Gebühr erwarben Fluggesellschaften nun die Bereitstellung eines Triebwerkes inklusive Überwachung, Wartung und Reparatur. Abgerechnet wurde auf Grundlage der Betriebsstunden.
Vorteile der Servitization:
- Weniger Schwankungen bei den Umsätzen durch Triebwerke
- Umsatzgewinn durch Integration von Reparatur, Wartung und Ersatzteilen
- Qualität und langlebige Triebwerke mit geringem Wartungsaufwand werden belohnt
- Weniger finanzielle Risiken
- Planbare Betriebskosten
- Bessere Verfügbarkeit für Triebwerke
- Geringere Ausfälle durch Überwachung und regelmäßige Wartungen
II. ICI-NOBEL – EINE SERVITIZATION ERFOLGSGESCHICHTE
Als Hersteller von Sprengstoff für Steinbrüche litt das Unternehmen ICI-Nobel unter intensivem Preisdruck und sprunghaften Kund:innen, die sich nicht binden ließen. Die schwache Wettbewerbsposition hätte das Aus bedeuten können. Stattdessen berief sich das Management auf die Stärken innerhalb der Firma: Kompetenzen für das Durchführen und Optimieren von Sprengungen.
Anstatt weiterhin am umkämpften Markt für Sprengstoffe zu konkurrieren, änderte ICI-Nobel sein Angebot von einem reinen Produkt zu einer Dienstleistung für Inhaber und Betreiber von Steinbrüchen: Die Planung, Vorbereitung und Durchführung von Sprengungen entsprachen genau dem, was diese eigentlich brauchen – der Sprengstoff war bisher nur Mittel zum Zweck.
Durch die nun nahezu perfekte Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Kund:innen erreichte ICI-Nobel nicht nur höhere Gewinne, sondern auch eine bessere Kundenbindung. Die Betreiberfirmen der Steinbrüche schätzten die für Sie entstehenden Vorteile der Servitization: Sie mussten keine Facharbeiter:innen mehr beschäftigen oder gefährliche Sprengstoffe lagern, erzielten aber nach wie vor die gleichen Gewinne.
TIPPS FÜR NEUE GESCHÄFTSMODELLE IN IHREM UNTERNEHMEN
Wenn Sie in Richtung Servitization denken wollen, denken Sie aus der Sicht Ihres Kunden. Vergegenwärtigen Sie sich, was Management-Vordenker Peter Drucker sagte:
„What the customer buys and considers value is never a product. It is always a utility – that is, what a product does for him.“
– Peter Drucker
Das heißt: Kein Kunde kauft jemals ein Erzeugnis. Er kauft immer das, was das Erzeugnis für ihn leistet, den Nutzen. Fragen Sie sich, wie Sie diesen Nutzen auf anderem Wege bringen können als nur durch den Verkauf eines Produktes.
Um Servitization in Ihrem Unternehmen voranzutreiben, beginnen Sie am besten mit der Einführung von Base Services und After-Sales-Services. Durch den stufenweisen Ausbau der Dienstleistungen sammeln Sie Erfahrung auf diesem Gebiet und können Ihren Service stetig verbessern. Wollen Sie hingegen sofort mit Advanced Services starten, benötigen Sie eine umfangreiche Planung. Außerdem müssen Sie Ihre Kund:innen erst von diesem Konzept überzeugen, anstatt sie Schritt für Schritt an die zusätzlichen Services heranzuführen.
Im Maschinen- und Anlagenbau tragen neue Konzepte wie Condition Monitoring und Predictive Maintenance zur Servitization bei. Wichtig ist, dass Sie Ihre Servicetechniker:innen entsprechend qualifizieren. Je mehr sich der Fokus Ihres Geschäftsmodells auf Serviceleistungen verlagert, desto wichtiger wird es zudem, dass Sie Ihren Field Service bestmöglich aufstellen. Hier ist nicht zuletzt eine optimierte Disposition und Tourenplanung gefragt. Eine hohe Servicequalität und schnelle Reaktionsfähigkeit bei Störungen führen zu zufriedenen Kund:innen – und zu weiterem Umsatzpotenzial. Schließlich gilt:
„An Qualität erinnert man sich lange, nachdem der Preis vergessen ist.“
– Aldo Gucci
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