Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste Erkrankung des zentralen Nervensystems. Weltweit sind schätzungsweise 2,5 Millionen Menschen betroffen. Behandlungserfolge wurden bisher nur mit Interferon-beta, einem körpereigenen Protein, erzielt. Es verlangsamt das Fortschreiten der Krankheit und verringert die Häufigkeit der für MS typischen »Schübe«. Ein Interferon-beta-1a, dessen biotechnische Herstellung am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart in Zusammenarbeit mit der Biotech-Firma CinnaGen bis in den Pilotmaßstab vorangetrieben und optimiert wurde, erhielt nun die Zulassung als Biogenerikum der iranischen Arzneimittelbehörde. Es wird unter dem Namen CinnoVex durch CinnaGen zunächst auf dem iranischen Markt vertrieben.
Das therapeutische Protein wurde vom Fraunhofer IGB erforscht und bis zur Laborreife gebracht. Die Hannoveraner IGB-Projektgruppe »Gentechnik« um Professor Bernd Otto klonierte das Protein in einen geeigneten Expressionsvektor und etablierte die Herstellung des natürlichen Proteins durch eine stabile Transfektion in einer Säugerzelllinie. Das so synthetisierte Interferon-beta-1a ist wie das menschliche Protein glycosyliert. Es weist in vitro eine höhere biologische Aktivität als das in Bakterien produzierte, nicht-glycosylierte Interferon-beta-1b auf. In den Stuttgarter Laboren des Fraunhofer IGB entwickelte eine multidisziplinäre Arbeitsgruppe die Herstellung des Pharmaproteins bis in den Pilotmaßstab weiter. »Wir haben die Fermentation und die Aufarbeitung bis in den 10-Liter-Maßstab vergrößert, das therapeutische Protein über mehrstufige Chromatographie hoch gereinigt, seine Identität über Aminosäuresequenzierung bestätigt und seine antivirale Wirkung nachgewiesen«, erklärt Professor Herwig Brunner, Institutsleiter des Fraunhofer IGB. Danach übernahm die iranische CinnaGen Co. den Nachweis der klinischen Wirksamkeit in klinischen Studien, die nun durch die Zulassung erfolgreichen abgeschlossen wurden.
Die Entwicklung eines Medikaments kostet viel Zeit und Geld. »Das Fraunhofer IGB unterstützt Pharma- und Biotechnologie-Unternehmen bei der Entwicklung und biotechnischen Herstellung von Nachahmerprodukten, aber auch bei der Entwicklung neuer therapeutischer Proteine« erläutert Professor Brunner die Strategie des Fraunhofer IGB. Eine ebenfalls am IGB entwickelte, löslichere Variante des Interferonbeta wird beispielsweise von der Vakzine Projekt Management (VPM) GmbH in Braunschweig klinisch weiterentwickelt. Auch andere Entwicklungslinien haben neue therapeutische Anwendungen zum Ziel. Die am IGB etablierten Technologien zur funktionellen Genom- und Proteomanalyse haben zu einer großen Fülle potenzieller Target- Moleküle für die gezielte Therapie von Infektionen z. B. durch den humanpathogenen Hefepilz Candida albicans geführt und damit Möglichkeiten für neue Medikamente eröffnet. Präklinische Tests von aussichtsreichen Wirkstoffkandidaten können vorab durch am IGB etablierte organoide Testsysteme aus dreidimensionalen humanen Zellstrukturen aussagekräftig unterstützt werden. Tierversuche werden so vermieden. Weitere potenzielle Pharmaprodukte sind am IGB in Bearbeitung. Eine gute Quelle für Firmen, ihre Pipeline zu füllen.