„Prüfen mit System“ ist das Motto des Fraunhofer-Instituts für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF bei der „Automotive Testing Expo Europe 2016“ vom 31.5. bis 2.6.2016 in Stuttgart (Stand 1375). Die Darmstädter Forschungseinrichtung zeigt ihr systemisches Leistungsangebot anhand ausgewählter Beispiele. So veranschaulicht ein neues Fahrwerksmodul die speziellen Dienstleistungen vor dem Hintergrund prozessoptimierter und effizienter Automobilkonstruktion. Dazu gehören unter anderem schnelle funktionsintegrierte Leichtbaukomponenten, Drive-file-Iteration, moderne Messtechnik, beschleunigte Fahrwerksprüfung, Ableitung vereinfachter Prüfprozeduren und spezielle Prüfverfahren für Kunststoffe und Elastomere.
Bevor Bauteile ins Automobil kommen und dort eingesetzt werden, müssen diese, durch dynamische Kräfte beanspruchten Systeme, auf ihre Betriebsfestigkeit hin untersucht werden. Das Problem: Bei den üblichen mehrkanaligen servohydraulischen Prüfständen ist es vor Beginn der eigentlichen Prüfung oft sehr aufwändig, die Ansteuerungssignale („Drive-Files“) für den Prüfstand zu bestimmen. Anstatt, wie bisher üblich, die Systemdynamik abzubilden, haben Wissenschaftler des Fraunhofer LBF ein physikalisches, nichtlineares Modell von Prüfstand und Prüfling erstellt. Es erfasst die Effekte der nichtlinearen Systemdynamik und ist außerdem in der Lage, das dynamische Verhalten (semi-)aktiver Komponenten, wie beispielsweise von Dämpfern, abzubilden.
Prüfkonzept für effizientere Betriebsfestigkeitserprobung
Numerische Studien mit dem Modell eines dreikanaligen servohydraulischen Prüfstands und dem einer Halbachsenbaugruppe mit nichtlinearem (semi-)aktivem/adaptivem Dämpfer ergaben mehrere Vorteile: Die iterative Optimierung des Drive-Files konvergiert wesentlich schneller als bei Verwendung der bisher üblichen linearen Übertragungsmatrix. Es besteht erhebliches Potential zur Zeit- und Kostenersparnis in der Prüfvorbereitung. Beispiele zeigen eine Abweichung unter einem Prozent nach drei Iterationen, anstatt einer Abweichung von 3,6 Prozent nach zehn Iterationen. Darüber hinaus erfasst das Modell ohne besondere Schwierigkeiten sich kontinuierlich verstellende Eigenschaften (semi-)aktiver/adaptiver Komponenten, die sich nun in der Drive-File-Generierung darstellen lassen.
Adaptiver Fahrwerksdämpfer für höchsten Fahrkomfort
Um den Einfluss der beim Einsatz von Radnabenmotoren erhöhten reifengefederten Massen zu reduzieren und um den höchsten Fahrkomfort zu erreichen, hat das Fraunhofer LBF einen magnetorheologischen Dämpfer mit einer neuartigen und energieeffizienten Magnetfeldführung entwickelt. Magnetorheologische Flüssigkeiten (MRF) sind Suspensionen aus einer Trägerflüssigkeit und ferromagnetischen Partikeln. Unter Einfluss eines Magnetfeldes bilden sich Festkörperbrücken, die zu einer Erhöhung der übertragbaren Schubspannung führen. Der hybride magnetorheologische Dämpfer nutzt diesen Effekt, um die Dämpferhärte in einem Fahrzeug anzupassen: je stärker das Magnetfeld desto höher die Dämpfungskraft. Wenn beim Einsatz im Fahrzeug die Dämpferhärte langfristig angepasst werden soll, lässt sich hierfür der Permanentmagnet verstellen. Soll dies kurzfristig und schnell geschehen, kann der Spulenstrom geändert werden.
Leichtbau: Kühlluftoptimierte Felge
Das Fraunhofer LBF hat den Einfluss des Radscheibendesigns untersucht, um den Luftstrom und die damit verbundene erzwungene Konvektion am Rad zu verbessern. Entscheidende Kriterien waren für die Wissenschaftler neben dem Kühleffekt und der besseren Durchströmung auch das Ergebnis der numerischen Betriebsfestigkeitsberechnung und das mögliche Gewicht. Die Felge entwickelten sie entsprechend den Anforderungen, die sich durch die erhöhte reifengefederte Masse ergeben. Untersuchungen im Windkanal ergaben einen deutlichen Einfluss des Raddesigns auf das Abkühlverhalten. Als vorteilhaft für die Unterstützung der radseitigen Konvektion zeigte sich, je nach Auslegungsziel, ein Design mit Propeller-Speichen. Auf der Basis dieser Ergebnisse designten und bauten die LBF-Wissenschaftler eine Leichtbau-Felge in 20 Zoll, die sich beispielsweise für den Einsatz von Radnabenmotoren eignet. Sie verbessert die Kühlluftführung um fünf Prozent und wiegt nur 11,3 Kilogramm.
Neue Entwicklungsmöglichkeiten für Elastomere im Automobilbau
Etablierte und beschleunigte Ermüdungstests, Modellbildung und numerische Analyse sowie die ganzheitliche Simulation und Auslegung von Systemen mit Elastomerkomponenten ermöglichen es, Alterungs- und Versagensmechanismen besser zu verstehen. Das Fraunhofer LBF unterstützt Kunden auch im Rahmen der Produktentwicklung und bei der Erstellung von Lastenheften für Elastomerbauteile.
Ganzheitliche FuE-Angebote
Das Fraunhofer LBF unterstützt Produktentwicklungsprozesse bei OEM und Zulieferern mit ganzheitlichen Angeboten in den Leistungsfeldern Schwingungstechnik, Leichtbau, Zuverlässigkeit und Polymertechnik sowohl bei konventionell als auch bei elektrisch angetriebenen Fahrzeugen. Von der Fahrbetriebsanalyse und Ableitung relevanter Anforderungen für Werkstoffe, für die Auslegung von Bauteilen und Systemen, über die Optimierung und prototypische Umsetzung mechanischer, elektromechanischer und signalverarbeitungstechnischer Komponenten bis hin zu Systemintegration, Inbetriebnahme und Bewertung. Mit spezieller Prüftechnik im Zentrum für Systemzuverlässigkeit / Elektromobilität ZSZ-e trägt das Fraunhofer LBF auch den Erfordernissen einer nachhaltigen Mobilität Rechnung.