„Hier setzen sich kreative Leute kritisch mit Technik auseinander und entwickeln völlig neue Ideen“, fasst Dirk Mayer, Leiter der Abteilung Zuverlässige Signalverarbeitung und Strukturüberwachung am Fraunhofer LBF, die innovative Kraft der sog. Maker-Bewegung zusammen. Die Maker-Bewegung entstand in den USA und etabliert sich seit einigen Jahren auch in Deutschland. Tüftler, Programmierer, Forscher entwickeln ihre eigenen, individuellen technischen Systeme und nutzen dafür Open Source-Programmier-, Hardware oder Fertigungssysteme, etwa Arduino-Mikrocontroller oder den 3D-Druck. Interessante Anwendungen liegen dabei in der Kamera- oder Lasertechnik, beispielsweise in Verbindung mit Flugdrohnen. Entsprechend groß ist in diesem Bereich das Interesse für leistungsfähige, flexibel anpassbare und günstige Schwingungstechnologien – die im besten Fall in Eigenregie entwickelt werden können.
Die Darmstädter Wissenschaftler versprechen genau das zu liefern: einen kostenlos verfügbaren Baukasten für anspruchsvolle schwingungstechnische Probleme. Dieser bedient sich kostengünstiger Soft- und Hardware-Komponenten, frei zugänglicher Fertigungstechnik und liefert darüber hinaus maßgeschneiderte Lösungen für individuelle technische Problemstellungen.
Zentrales Element ist die webbasierte Wissensplattform, die im Laufe des Projekts entstehen wird. Dabei unterstreicht Mayer deren interaktiven Charakter: „Wissenschaftler und Nutzer arbeiten über die Wissensplattform gemeinsam am Baukasten – das kennt man beispielsweise aus der Linux- oder der Arduino-Szene.“
So füttern nicht nur die Wissenschaftler die Plattform mit Werkzeugen, Anleitungen und ersten Praxisbeispielen – dieses Sortiment deckt bereits die gesamte Kette von der Problemanalyse bis hin zur Entwicklung angepasster Hardware-Komponenten ab. Denn erst die Beiträge der Nutzer in Form von eigenen Anleitungen und Praxisbeispielen für ganz individuelle Entwicklungen erweckt die Wissensplattform zum Leben. Eine wichtige Säule für den Erfolg der Plattform sieht Mayer im Dialog mit und unter den Nutzern: Ganz im Sinne einer Open Source-Strategie sollen die einzelnen Teile des Baukastens gemeinsam mit Nutzern verbessert werden. Auch der Austausch zwischen Anbietern und potentiellen Kunden von Lösungen und Dienstleistern soll über die Plattform möglich sein.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Projekt „Open Adaptronik“ über drei Jahre im Rahmen der Fördermaßnahme „Open Photonik“. Ziel der Maßnahme ist es, am Beispiel der Photonik neue Formen der Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Wirtschaft mit Bürgern zu ermöglichen und damit zusätzliche Innovationspfade und -potentiale zu erschließen. Die Maßnahme läuft im Rahmen des Programms „Photonik Forschung Deutschland“, sie ist Bestandteil der High-Tech-Strategie der Bundesregierung.
Mit dem Projekt „Open Adaptronik“ gehen die Darmstädter Forscher neue, in der Schwingungstechnik ungekannte Wege. Schwingungsprobleme zuverlässig zu vermessen und zu analysieren erfordert in der Regel Messtechnik im Wert von einigen tausend Euro. Das Konzept der LBF-Wissenschaftler setzt dagegen auf handelsübliche und günstige Sensorik, etwa MEMS-Sensoren, ohnehin vorhandene Geräte zur Datenverarbeitung wie Smartphones und passend angebotene lizenzfreie Software zur Datenanalyse. Damit reduzieren sich die Kosten für eine solche Analyse auf nur noch wenige Euro.
Im Anschluss an die Messung können sich Nutzer mit Hilfe des Baukastens ein Simulationsmodell ihres Schwingungssystems bauen. Dafür bieten die Wissenschaftler über die Wissensplattform eine einfach zu verwendende Model- und Komponentenbibliothek an. Das Simulationsmodell dient dabei zweierlei: dem besseren Verständnis des Schwingungsproblems und als Grundlage für die Auslegung eines adaptronischen Systems. Ein adaptronisches System – das ist eine mechanische Struktur, die nicht nur Lasten trägt, sondern überdies noch über Sensoren und Aktuatoren verfügt. In Verbindung mit einer Regelung können sich adaptronische Systeme selbstständig an verschiedene Betriebsumgebungen anpassen.
Auch hierzu gibt die Wissensplattform Anleitung: Nutzer erhalten von den Wissenschaftlern eine Auswahl geeigneter Sensoren, Aktoren und elektronischer Komponenten für ihre Aufgabe – allesamt kommerziell verfügbar wie etwa Verstärker aus dem Audiobereich oder Regelungen auf Arduino-Basis. Auch mechanische Komponenten werden in diesem Schritt ausgelegt – und zwar so, dass sie günstig produziert werden können, etwa mit 3D-Druckern in öffentlich zugänglichen FabLabs.
Zu den Profiteuren zählt Mayer auch kleine Unternehmen und Beratungsdienstleister. Über die Wissensplattform erhalten Mitarbeiter zunächst einen einfachen Einstieg in die Entwicklung maßgeschneiderter adaptronischer Systeme. Ist die erste Idee geboren oder der erste Prototyp entwickelt, unterstützen die Fraunhofer-Wissenschaftler auf dem Weg bis hin zum kommerziellen Produkt. Das Angebot umfasst dabei Wartung, Garantie, Support und Hilfe bei zeitkritischen und richtlinienkonformen Entwicklungen. Und nicht zuletzt kommen die Maker auf ihre Kosten – jene, die laut Mayer „ihre eigene Zeit investieren und aktiv eigene Technik entwickeln, anstatt fertige Produkte zu konsumieren“. Der Projektpartner „FabLab Darmstadt“ hilft Entwicklern bei der Umsetzung und Fertigung ihrer Ideen, der wirtschaftlichen Verwertung – und bei ihrer Firmengründung.