In Energie- und Oberflächentechnik, Sensorik, Analytik oder Life Sciences sind elektrochemische Verfahren im Einsatz. Brennstoffzellen zum Beispiel sind elektrochemische Energieerzeuger. Und ohne elektrische Aufladung würde kein Pulverlack auf Fahrzeugblechen haften. Zehn Fraunhofer-Institute schließen sich jetzt zum »Fraunhofer-Netzwerk Elektrochemie« zusammen. Gemeinsam wollen die Institute Forschung und Entwicklung vorantreiben und Fragestellungen von Industriepartnern zu bearbeiten.
»Bedauerlicherweise gibt es in Deutschland immer weniger Elektrochemie-Spezialisten«, beschreibt Dr. Michael Krausa, Abteilungsleiter Angewandte Elektrochemie am Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie ICT in Pfinztal, die derzeitige Situation. »Viele Lehrstühle werden nicht durch Elektrochemiker neu- oder wiederbesetzt – und das obwohl erheblicher Forschungsbedarf besteht.« Ein Beispiel für den Kompetenzschwund sind Batterien und Akkus. »Sie werden kaum noch in Deutschland produziert oder weiterentwickelt. Asien ist hier der große Player.« Doch gerade dieser Markt wächst erheblich – Camcorder, MP3-Player und Handys sind beliebt. Inzwischen signalisieren auch deutsche Autobauer und Zulieferer, dass sie sich in nächster Nachbarschaft Batterieexpertisen wünschen. Für Netzwerk-Koordinator Krausa sind das klare Signale dafür, dass die Elektrochemie hierzulande verstärkt vorangetrieben und gefördert werden muss.
Der Spezialist für Batterien und Brennstoffzellen kennt den Vorteil der klassischen Energiespender. Sie haben eine hohe Leistungsdichte und können auf kleinem Raum viel Energie speichern. Mehr noch: Anders als Brennstoffzellen geben sie hohe Leistungen ab, die zum Beispiel für Akkubohrer oder -schleifgeräte und auch für Hybridfahrzeuge notwendig sind. Die Forscher wollen unter anderem klären, wie sich die handlichen Stromlieferanten weiter verbessern lassen. Sie testen neue Elektrolyte, die die Ionen im Inneren der Batterien und Akkus transportieren. Ein Ziel sind Elektrolyte, die auch bei Hitze nicht verdampfen, Akkus nicht aufblähen und zerstören. Auch an neuen Elektrodenmaterialien wird geforscht. Weitere Einsatzgebiete für künftige Hochleistungs-Akkus sieht Krausa in medizinischen Sensoren für die Patientenbeobachtung. Diese müssen vor allem langlebig und zuverlässig sein.
Auch die optischen Anwendungen sind für Krausa ein riesiger Zukunftsmarkt elektrochemischer Produkte. Ein Beispiel sind selbstabdunkelnde Rückspiegel, die automatisch das grelle Scheinwerferlicht überholender Fahrzeuge dämpfen. Durch einen kleinen Spannungsstoß werden unter der Spiegeloberfläche elektrochemisch gefärbte Verbindungen erzeugt, die das störende Licht schlucken. Rückspiegel dieser Art werden bereits in Serie gefertigt. In Zukunft sollen Folien nach diesem Prinzip auch flexibel formbare Glasdächer oder Frontscheiben angemessen verdunkeln können – etwa um das Blenden bei einer Tunnelausfahrt zu mildern. Auch für den Sonnenschutz an Gebäuden ist ein solches Verfahren denkbar. Noch sind diese elektrochromen Systeme allerdings zu langsam, um innerhalb von Millisekunden große Flächen abzudunkeln. »Solche Beispiele machen klar, dass moderne elektrochemische Verfahren und Produkte ganz neue Märkte erschließen und Umsätze generieren können«, sagt Krausa. Und es gibt noch mehr – OLEDs etwa, leuchtende Kunststoffe. Dabei handelt es sich um flache Lichtquellen mit einem Herz aus langkettigen Polymeren. Die Farbe des Lichts hängt von der chemischen Zusammensetzung ab. Die aktiven Schichten der OLEDs sind mit weniger als 500 Nanometern Dicke extrem flach. Die Leuchtmoleküle werden auf Glas oder durchsichtige, biegsame Trägerfolien zwischen einer durchsichtigen Anode und Kathode aus Metallen aufgebracht. Bildschirme aus OLEDs gelten als besonders zukunftsträchtig: Sie verbrauchen wenig Energie und bieten aus allen Blickwinkeln nahezu das gleiche Bild. Die Ziele der Entwickler reichen von kleinen Handymonitoren bis zu Richtungsanzeigern in der PKW-Frontscheibe. Forscher prognostizieren allein dieser Branche Umsätze in Milliarden-Euro-Höhe.
Die Palette der elektrochemischen Anwendungen und Produktionsverfahren lässt sich beliebig erweitern und zieht sich durch beinahe alle Industriebranchen. Elektrochemie schützt Metalle vor Korrosion, erlaubt kleine DNA-Analysesysteme (Lab-on-Chip), führt zu neuen und preiswerten Sensorsystemen (Blutzuckermessung) oder zur Herstellung von Verschleißschutzschichten auf Werkzeugen. »Wir sehen unsere Aufgabe zum einen darin, als Dienstleister gemeinsam mit Unternehmen herauszufinden, inwieweit die Elektrochemie zur Lösung eines Problems beitragen kann«, resümiert Krausa. Zum anderen will das Kompetenznetzwerk auf die wachsende Bedeutung dieser Disziplin hinweisen und die Ausbildung von Elektrochemie-Fachkräften entscheidend vorantreiben. »Andernfalls könnte es passieren, dass der Forschungs- und Industriestandort Deutschland durch den Wissensverlust entscheidende Trends verschläft,« warnt Krausa.