Anwenderseminar 8.10.2003
Wiederverwendung der generischen
Werkzeuge fuer neue Anwendungen
Ein neuartiges Archivsystem wird gegenwaertig im EU-Projekt
"Collate" unter Federfuehrung des Fraunhofer-Instituts fuer
integrierte Publikations- und Informationssysteme IPSI
entwickelt: "Collate" bietet zum einen eine webbasierte
Wissens- und Arbeitsumgebung fuer - beispielhaft -
Filmhistoriker und untersucht zum anderen parallel, wie diese
damit umgehen und wie ihnen das Archivsystem bei ihrer
Forschungsarbeit hilft. Dieser interdisziplinaere Ansatz
spiegelt sich in der gemeinsamen Projektarbeit von
Informatikern, Informationswissenschaftlern, Historikern,
Filmwissenschaftlern, Archivaren und Medienexperten aus
diversen europaeischen Institutionen, Firmen und
Forschungseinrichtungen wieder. Die Konzentration auf eine
filmhistorische Anwendung ist dabei nur beispielhaft; die
entwickelten Systeme sollen auch fuer andere
Forschungsgebiete einsetzbar sein.
Ueber den Stand des Projektes und die
Anwendungsmoeglichkeiten des gesamten Systems sowie einzelner
Elemente auch ueber Filmforschung hinaus informiert das
Fraunhofer IPSI auf einem Workshop vom 6. bis 8. Oktober in
Darmstadt. Der Workshop bietet zwei komplementaere
Veranstaltungen fuer unterschiedliche Zielgruppen. Das
Forschungssymposium an den ersten beiden Tagen wendet sich
vor allem an IT-Wissenschaftler und Softwareentwickler sowie
Vertreter aus Einrichtungen, die an strategischen Aspekten
der Weiterentwicklung solcher Systeme und Technologien
interessiert sind, waehrend sich das Anwenderseminar am 8.
Oktober an Anwender, IT-Praktiker und IT-Entscheider richtet,
die sich in ihrer beruflichen Taetigkeit mit der Erfassung,
Verwaltung und Nutzung multimedialer Daten befassen (Digital
Asset Management - DAM). Beide Teile sind getrennt buchbar,
ergaenzen sich nach Meinung von Projektleiterin Dr. Adelheit
Stein aber durchaus. Das vollstaendige Programm,
Anmeldemoeglichkeiten und weitergehende Informationen finden
sich online unter http://www.collate.de.
Ueber Filmarchive hinaus
Die grundsaetzlichen Erkenntnisse aus dem Collate-Projekt
sollen in die sinnvolle Weiterentwicklung solcher
Archivsysteme einfliessen. Denn angesichts rasant
anwachsender Medienproduktion auf allen Gebieten wird es
taeglich wichtiger, den Zugriff auf das Wissen der Welt
zielgerichtet zu strukturieren. Das ist Ziel des von der
Europaeischen Kommission gefoerderten Forschungs- und
Entwicklungsprojekts, an dem unter Federfuehrung des IPSI
neben den beteiligten Filmarchiven auch die Universitaet
Bari, Italien und die Firma Sword ICT in Bari, sowie das
daenische Risø National Laboratory in Roskilde beteiligt
sind. Nutzer sind gegenwaertig Filmwissenschaftler,
Archivare, Forscher und Endnutzer, die mit digitalisiertem
historischen Archivmaterial arbeiten. Der Abschluss des
Projekts ist fuer Ende 2003 geplant.
Der Collate-Prototyp enthaelt eine vollstaendige Integration
der Middleware (XML Content Manager), Retrievalfunktionen,
innovative Komponenten zum automatischen Indexieren von
Bildmaterial (IPSI), Erkennung von Text-Dokumentenstrukturen
(Uni Bari) und Digital Watermarking (IPSI).
Die bisher eingesetzten filmhistorischen Dokumente, die sich
auf Filme der 20er und 30er Jahre des 20. Jahrhunderts
beziehen und von drei grossen europaeischen Filmarchiven zur
Verfuegung gestellt wurden (Deutsches Filminstitut - DIF,
Frankfurt a. M., Filmarchiv Austria, Wien, Národní Filmový
Archiv, Prag), sind dabei kein Spielmaterial; mit ihnen wird
tatsaechlich gearbeitet und geforscht. Wissenschaftliche
Mitarbeiter der Archive sind zugleich Pilotanwender des
Collate-Systems.
Surrogate von verschollenen Filmen
Als Teil des Projektes ist es bereits gelungen, zwei
sogenannte "Surrogate" von verschollenen Filmen herzustellen.
Aus vorhandenen Textdokumenten, wie Zensurentscheide und
Pressematerial, kann der Ablauf eines Filmes, beispielsweise
ein fehlender Akt, rekonstruiert, und mit Hilfe erhaltener
Fotos sogar mit Standbildern illustriert werden.
Der technische Zustand und die raeumliche Verteilung der
Quellen war ein weiteres Motiv fuer das Projekt: Viele
wichtige historische und kulturelle Dokumente sind
empfindlich und ueber verschiedene nationale und
internationale Archive verstreut, so dass es sehr schwierig
ist, sie in ihrer Gesamtheit zu kennen und zu nutzen. "In den
90er Jahren gab es zwar zahlreiche Anstrengungen und
Initiativen, diese Situation auf nationaler und
internationaler Ebene insbesondere durch den Aufbau
wissenschaftlicher und technischer digitaler Fachbibliotheken
zu verbessern", weiss die Projektleiterin Dr. Adelheit Stein.
Doch wurde wenig in den Aufbau digitaler Archive investiert,
die den Zugang zu seltenen und fragilen Quellen wie
historische Papierdokumente (vom Drehbuch ueber Briefe,
Programmzettel, Plakate, Eintrittskarten oder
Zensurentscheide), Fotos oder Filme vor allem in den
Kulturwissenschaften gewaehrleisten.
Hinzu kommt, dass ein unmittelbarer Zugriff auf die vielen
reichhaltigen Sammlungen von historischem Archivmaterial
schwierig ist, weil die Quellen nur kompliziert zu nutzen
oder elektronisch nicht verfuegbar sind. Auch fehlen bisher
auf den Inhalt bezogene Suchhilfen, die die Benutzer bei der
Identifizierung der Dokumente unterstuetzen, die sie wirklich
benoetigen.
Collate-Archiv: Mehr als nur Filmstreifen
Die Dokumente des Collate-Projekts umfassen grosse Mengen von
digitalisiertem Material zur Filmzensur, Presseartikel,
Fotos, Plakate und Filmfragmente. Als eine virtuelle Wissens-
und Arbeitsumgebung fuer verteilte Benutzergruppen stellt
Collate einen inhaltsbasierten Zugriff auf die gespeicherten
Datenbestaende und entsprechende aufgabenbasierte
Schnittstellen zur Verfuegung, um das Material zu
analysieren, zu vergleichen, zu indexieren und zu annotieren.
Recherchierbare Datenbanken im zukunftssicheren XML-Format
erfassen die Dokumente und fuehren weiter zu hochaufloesenden
Abbildern, die ueber das Internet angezeigt oder auch
ausgedruckt werden koennen. Neben einer manuellen
Inhaltserschliessung der digitalen Dokumente mit Hilfe eines
eigens entwickelten Vokabular oder mittels freier Anmerkungen
("Annotationen") durch die Filmexperten setzt das IPSI auch
Verfahren der automatischen Indexierung von Bildmaterial ein,
um den Bestand an Metadaten anzureichern. Digitale
Wasserzeichen schliesslich - auch das ein
Forschungsschwerpunkt des IPSI - sollen den Missbrauch von
Daten verhindern und die Authentizitaet von Bilddaten
sicherstellen.
Wiederverwendung der generischen Werkzeuge fuer neue
Anwendungen
Die weitere Anwendung in anderen Bereichen ausserhalb der
Filmforschung ist sichergestellt: Die entwickelten Werkzeuge
und Schnittstellen sind weitgehend generisch, d.h. leicht auf
andere Bereiche, Anwendungs- und Benutzertypen uebertragbar.
Die innovativen Wissensmanagement-Techniken der Endversion
des Systems werden die dokumentenzentrierte Arbeit auch
anderer verteilter Nutzergruppen unterstuetzen.
Die tatsaechlichen Arbeitsweisen und Erfahrungen der
Filmexperten mit dem System werden im Rahmen des Projekts
methodisch-empirisch genau erforscht, z.B. durch detaillierte
Feldexperimente mit teilnehmender Beobachtung von Nutzern des
Systems. Dieser Ansatz ermoeglicht eine schrittweise
Systementwicklung, die engagierte Nutzer und ihre praktische
Erfahrung direkt einbezieht.
Bis zum Ende des Projektes wird das System hauptsaechlich
intern durch die Collate- Partner genutzt. Mit dem fuer Ende
2003 geplanten Prototyp 3 soll dann auch der Oeffentlichkeit
im Web der Zugriff auf das System ermoeglicht werden.
Ansprechpartner: Dr. Adelheit Stein, Fraunhofer IPSI,
Dolivostr. 15, 64293 Darmstadt, Tel. +49 (0)6151 869-841,
Fax: +49 (0)6151 869-989, Email: mailto:stein@ipsi.fraunhofer.de,
http://www.collate.de