Im Energiesystem der Zukunft werden die Eigenerzeugung von Strom – etwa durch Photovoltaikanlagen – sowie eine damit verbundene vor-Ort-Speicherung und Selbstnutzung elektrischer Energie selbstverständlich sein. Dies bietet sich gerade für größere Gebäude-anlagen wie Unternehmen, Bürogebäude oder Krankenhäuser an, nicht zuletzt, um Autarkiegrad, Versorgungssicherheit und Energiekosten zu optimieren. Im Gegensatz zum etablierten Verbundnetz, das auf Wechselstrom basiert, liefern jedoch Solarzellen wie auch elektrische Speicher Gleichstrom. Ebenso arbeiten viele elektrische Verbraucher und die meisten elektronischen Geräte intern mit Gleichstrom, sodass bislang verlustbehaftete Wandlungsvorgänge zwischen Gleichstrom (DC) und Wechselstrom (AC) unumgänglich sind. Historisch hatte sich nach dem so genannten „Stromkrieg“ Ende des 19. Jahrhunderts der Wechselstrom als Standard etabliert: Mit Erfindung des Transformators war Wechselstrom sicherer und leichter über größere Strecken zu übertragen und universeller einsetzbar. Durch die rasante Entwicklung der auf Halbleitern basierenden Leistungselektronik in den letzten Jahrzehnten konnten jedoch die technologischen Nachteile des Gleichstroms mehr als kompensiert und zusätzliche Vorteile erschlossen werden. Mittlerweile ermöglichen lokale, auch als DC Microgrids bezeichnete Gleichstromnetze die direkte Verbindung von Erzeugern, Speichern und Verbrauchern. Neben einer Effizienzsteigerung von 5 - 10% erlaubt dieser Ansatz auch Materialeinsparungen von bis zu 30%. Gleichstromnetze erleben damit eine Renaissance und die Thematik gewinnt in jüngster Zeit erhebliche an Dynamik.
Als europäisches Zentrum für Energietechnik und Leistungselektronik könnte insbesondere die Metropolregion Nürnberg von der aktuellen Entwicklung profitieren. Vor diesem Hintergrund ist es nur umso erfreulicher, dass die noch junge IEEE International Conference on DC Microgrids in diesem Jahr in Nürnberg stattfindet. Auf der 2nd IEEE ICDCM 2017 treffen sich vom 27. bis zum 29. Juni rund 200 Fachleute aus Forschung und Industrie, um über Netztechnik, Speicher und Versorgungssicherheit in privaten oder industriellen Gebäuden, Flugzeugen, Schiffen oder Bahnen zu diskutieren.
Leiter des technischen Programmkomitees der ICDCM 2017 ist Bernd Wunder, Gruppenleiter für DC-Netze am Fraunhofer-Institut für Integrierte Systeme und Bauelementetechnologie IISB in Erlangen. Wunder hat die Konferenz in Nürnberg maßgeblich mitorganisiert und arbeitet auch in internationalen Normungsgremien (IEEE, IEC, DKE) zur Standardisierung der DC-Technik. In der Gleichstromtechnik sieht er großes Potenzial: „Lokale Gleichstromnetze können ihre Vorteile auf verschiedenen Spannungsebenen ausspielen. Beispielsweise lassen sich im Bereich bis 48 Volt bei der Versorgung von Büroanwendungen und IT-Equipment wie Laptops, Bildschirme oder Server die vielen klobigen und ineffizienten Netzteile vermeiden. Auf 380 Volt sind Gleichstromnetze für LED-basierte Beleuchtungssysteme oder Kühlsysteme interessant. Auch der Mittelspannungsbereich bis 20 kV – übrigens ein diesjähriger Schwerpunkt auf der ICDCM – gewinnt immer mehr an Bedeutung. Ein ideales Anwendungsfeld für Gleichstromnetze sind autarke Netze, etwa Insellösungen auf Schiffen oder für entlegene Siedlungen in Entwicklungsländern, die noch nicht an ein öffentliches Stromnetz angeschlossen sind und selbst erzeugte Solarenergie nutzen. Damit reduziert sich auch die Abhängigkeit von der Übertragung über lange Strecken und von komplexen Verteilnetzen.“
Das Fraunhofer IISB forscht seit vielen Jahren auf dem Gebiet der lokalen Gleichstromnetze, speziell der dazu nötigen Leistungselektronik, und hat die Entwicklung von Anfang an begleitet. Das Institut beschäftigt sich unter anderem mit speziellen Gleichstrom-Schutzorganen oder hoch effizienten DC-Management-Systemen. So genannte DC-Grid Manager verknüpfen dabei komfortabel alle Komponenten eines lokalen Gleichstromsystems, wie Photovoltaikstränge, Batteriespeicher oder verschiedene Netzebenen, und sorgen für eine Schnittstelle zum parallel immer noch vorhandenen Wechselstromnetz. Auch die Möglichkeiten der Digitalisierung werden zunehmend genutzt, um verschiedene Systeme und Komponenten zu vernetzen: „Cognitive Power Electronics 4.0“ verfügt über intelligente Informationstechnik und umfangreiche Sensorik, um detaillierte Aussagen über den Zustand des Stromnetzes zu treffen und jederzeit Stabilität, Sicherheit und Versorgungsqualität zu gewährleisten. Mit der steigenden Anzahl an regenerativen und dezentralen Energieerzeugern werden auch die heutigen Verteilnetze großen Belastungen unterworfen. Neue intelligente Netzstrukturen in Verbindung mit elektrochemischen Energiespeichern bieten die Möglichkeit, negative Effekte – beispielsweise durch ein Über- oder Unterangebot – schon in den lokalen Netzen abzufangen und damit das Verbundnetz zu entlasten. Jedoch ist die Integration in ein gemeinsames Netz sehr komplex und es gibt noch vergleichsweise geringe Erfahrungen mit dem praktischen Betrieb. Im Leistungszentrum Elektroniksysteme (LZE), einer gemeinsamen Initiative der Erlanger Fraunhofer-Institute IIS und IISB und der Universität Erlangen-Nürnberg, wird deshalb unter anderem die Verknüpfung von Gleichstromnetzen mit organischen Wasserstoffspeichern untersucht, die auch große Energiemengen aufnehmen und saisonale Schwankungen ausgleichen können.