Um die CO2-Emissionen aus dem Straßenverkehr zu verringern, setzt die Automobilindustrie nicht allein auf elektrische Antriebe. Auch konventionelle Verbrennungsmotoren sollen durch den Einsatz von synthetischen Kraftstoffen klimafreundlicher werden. Dabei handelt es sich um flüssige oder gasförmige Treibstoffe, die nicht auf Basis fossilen Rohöls, sondern mit Hilfe von Sonnen- und Windenergie aus Kohlen- und Wasserstoff hergestellt werden. Sie können konventionell erzeugten Kraftstoffen beigemischt werden und erzielen dadurch sofort eine Minderung der CO2-Emissionen, sofern der verwendete Kohlenstoff entweder zuvor aus der Luft abgeschieden oder aus unvermeidbaren Industrieabgasen gewonnen wurde. Bislang liegen allerdings nur wenige Erfahrungen dazu vor, welchen Einfluss die neuen Kraftstoffe auf die Langzeitstabilität von Dichtungen in Kraftstoffsystemen haben.
In ausführlichen Versuchen hat der Zulieferer Freudenberg Sealing Technologies nun erstmals das Verhalten von Dichtungsmaterialien untersucht, die längere Zeit OME („Oxymethylenether“), einem der meistdiskutierten synthetischen Kraftstoffe, ausgesetzt waren. Die Versuchskraftstoffe bestanden aus einem Standard-Diesel, dem OME in Konzentrationen von 10 bis 30 Prozent Volumenanteil zugemischt wurde. Weitere Versuche erfolgten mit reinem OME und als Referenz mit 100 Prozent fossilem Diesel. Gemessen wurde die Volumenausdehnung sowie die Veränderung der mechanischen Festigkeit verschiedener Dichtungswerkstoffe, nämlich FKM mit unterschiedlichem Fluorgehalt, FFKM, NBR und EPDM, die normgerecht über einen Zeitraum von 168 Stunden bei einer Temperatur von 125 Grad Celsius in den Versuchsmedien gelagert wurden. Mit einzelnen Kraftstoffkombinationen wurden zusätzlich Auslagerungsversuche über einen Zeitraum von 1.000 Stunden durchgeführt, um Langzeiteffekte zu studieren. Je stärker der Werkstoff während dieser Zeit aufquillt, desto mehr sinkt die Festigkeit, was sich besonders deutlich in einem Abfall der Bruchdehnung bemerkbar macht.
Warum greift der Fachmann bei der Bewertung dieses neuen Kraftstoffsystems gleich zu einem verhältnismäßig teurem Polymer wie FKM? Dr. Boris Traber, Leiter der weltweiten Werkstoffentwicklung von Freudenberg Sealing Technologies, erklärt die Auswahl so: „Fluoratome sind bedeutend größer als Kohlenstoffatome und bilden so eine Art Schutzschild für den Grundwerkstoff der Dichtung. Zudem sind Fluor-Kohlenstoffverbindungen in hohem Maß symmetrisch, wodurch sich die Ladungsschwerpunkte neutralisieren. Der Effekt, den wir beobachten konnten, weist Ähnlichkeiten mit einer beschichteten Pfanne auf, an der sowohl Wasser als auch Fett abperlen.“ Übertragen auf die Kraftstoffe bedeutet dies, dass nicht nur unpolare Anteile wie Kohlenwasserstoffe sondern auch polare Anteile wie Wasser und Ether abgeschirmt werden und somit nur zu geringem Aufquellen führen.
Die Ergebnisse überraschten selbst die erfahrenen Werkstoffspezialisten von Freudenberg Sealing Technologies: Reines OME führte bei nahezu allen getesteten Dichtungswerkstoffen zu einer Volumenausdehnung, die weit über den üblichen Quellwerten lag. Überraschend war das Bild, das sich bei den FKM-Mischungen ergab. Man hätte erwarten können, dass mit steigendem Fluorgehalt die Volumenquellung sinkt. Das war aber nicht der Fall, die Volumenausdehnung verhält sich also nicht linear zum Fluorgehalt. Zurückzuführen ist diese Anomalie auf die Korrelation zum Wasserstoffgehalt in dem FKM-Typen: Ein hoher Wasserstoffanteil führt auch zu hohen Quellwerten. Demzufolge wies das ebenfalls getestete Perfluorkautschuk (FFKM) sehr gute Werte auf, das allerdings deutlich teurer ist. In reinem OME zeigt auch ein EPDM geringe Quellungen.
Die Testreihe zeigte zudem, dass bei einer OME-Beimischung bis zu 30 Prozent Volumenanteil alle getesteten FKM-Werkstoffe eine Quellung auf deutlich niedrigerem Niveau aufwiesen. Dahinter sieht Traber eine positive Botschaft: „Wir könnten mit heute verfügbaren Werkstoffen sofort einen gewissen Anteil des fossilen Dieselkraftstoffs durch OME ersetzen.“ Gleichzeitig warnt der Experte: „Unsere Erfahrung zeigt, dass – vor allem außerhalb Europas – die tatsächliche Kraftstoffqualität durch nicht kontrollierte Beimengungen stark schwanken kann. Deshalb sollte die Auswahl von Dichtungswerkstoffen immer in Zusammenarbeit mit Spezialisten erfolgen.“
Bereits seit mehr als zehn Jahren führt Freudenberg Sealing Technologies Testreihen durch, um zu erforschen, wie sich schwankende Kraftstoffzusammensetzungen auf Dichtungswerkstoffe auswirken. In den eigenen Laboren wurde das Quellverhalten unter anderem in Sojamethylester und hydrierten Pflanzenölen untersucht. Zudem haben die Freudenberg-Forscher ein eigenes Prüfstandskonzept entwickelt, mit dem sich die Durchlässigkeit der Kraftstoffe durch das Dichtungsmaterial untersuchen lässt, die längere Zeit kontinuierlich einem bestimmten Kraftstoff ausgesetzt sind. Dabei wurde der Türöffner-Effekt beobachtet, den kleine polare Moleküle wie Methanol auf ansonsten undurchlässige Kohlenwasserstoffe haben: Die Durchlässigkeit verändert sich mit der Zeit.
In Summe zeigten sich FKM-Werkstoffe in allen Testreihen als überlegen, wobei nicht allein der Fluorgehalt, sondern die gesamte Werkstoffstruktur über Festigkeit und Dichtheit entschieden. Traber sieht daher kein grundsätzliches Hindernis für die Einführung regenerativer Kraftstoffe: „Bei richtiger Auslegung stehen bereits heute geeignete Werkstoffe zur Verfügung.“