Elektroautos, deren Antriebssystem mit 800 statt wie üblich mit 400 Volt arbeitet, können in einer Viertelstunde ausreichend Strom für mehrere Hundert Kilometer tanken. Leistungshalbleiter im Inverter sorgen dafür, dass der im Akku gespeicherte Gleichstrom während der Fahrt in den vom Elektromotor benötigten Wechselstrom gewandelt wird. Diese Leistungselektronik ist häufig direkt über dem Elektromotor angeordnet und wird auch als „Einspritzanlage für den Elektromotor“ bezeichnet. Für 800-Volt-Antriebe, aber auch in anderen Elektro- und Hybridantrieben, kommt dabei zunehmend eine neue Halbleiter-Generation auf Basis von Siliziumkarbid zum Einsatz. Die Leistungshalbleiter schalten hohe Ströme bis zu 20.000 mal in der Sekunde. Bei jedem dieser Schaltvorgänge entstehen kleine Spannungsschwankungen. Die Frequenz dieser Überschwinger beträgt ein bis zwei Megahertz und liegt damit im Band von Mittelwellenradios. Ohne zusätzliche Maßnahmen überträgt sich diese Frequenz auf die Rotorwelle des Elektroantriebs – und erzeugt in der Folge gleich zwei unerwünschte Nebenwirkungen: Einerseits wirkt die Rotorwelle als Stabantenne und strahlt elektromagnetische Störungen aus, andererseits baut sich an der normalerweise elektrisch isolierten Rotorwelle ein elektrisches Potenzial auf, das sich entladen will. Wird ein bestimmter Schwellwert überschritten, erfolgt eine Entladung über die Wellenlager. Dieser lebensdauermindernde Schadensmechanismus ist als Elektrokorrosion bekannt und wird von Ingenieuren gefürchtet.
Mit einer neuen Generation leitfähiger Dichtungen, vermarktet unter dem Namen „eCONevo“, will Freudenberg Sealing Technologies beide Effekte ausschalten. Das Grundprinzip ist bei dem Zulieferer bereits seit 2015 in Serie und kommt unter anderem im meistverkauften Elektroauto Europas zum Einsatz. Ein sehr dünnes leitfähiges Vlies wird auf dem Radialwellen-Dichtring angebracht und sorgt für einen direkten elektrischen Kontakt zwischen Rotorwelle und Motorgehäuse. Die Entwicklung einer neuen Materialmischung erlaubt nun, ein Vlies mit einem sehr geringen Wechselstrom-Widerstand von circa einem Ohm zu verwenden. Die elektrische Leitfähigkeit des Vlieses ist damit hoch genug, nicht nur der Elektrokorrosion vorzubeugen, sondern auch die Abstrahlung elektromagnetischer Wellen zu verhindern.
Schnell einsatzbereit
Die von Freudenberg Sealing Technologies verwendete Lösung hat mehrere Vorteile. Erstens ist das Vlies nur circa einen Millimeter dünn, weshalb im Regelfall keine konstruktiven Änderungen am Motor erforderlich sind. Zweitens ist das Vlies fest auf dem Radialwellendichtring angebracht, sodass im Werk des Motorenherstellers kein zusätzlicher Montageschritt nötig ist. Und drittens verhindert das Bauteil elektromagnetische Störungen direkt am Motor und kann damit aufwändige Abschirmungen an anderen Stellen, etwa den Antriebswellen, ersetzen. Die Wirksamkeit wies der Zulieferer an einem selbst entwickelten Prüfstand nach, auf dem Komponenten für Elektromotoren mit Drehzahlen von bis zu 36.000 Umdrehungen pro Minute getestet werden können. Die Technik des Vlieses ist so weit entwickelt, dass eine Serienproduktion innerhalb weniger Monate gestartet werden könnte.
„Die elektrisch leitfähige Dichtung ist ein kleines, unscheinbares Bauteil“, erläutert Freudenberg-Vorentwickler Stefan Morgenstern. „Aber die Wirkung ist enorm: Wir können Elektroantriebe mit Leistungshalbleitern aus Siliziumkarbid von unerwünschten Nebenwirkungen befreien. Damit leistet diese Dichtung einen Beitrag zu ultraschnellem Laden von Elektroautos und letztlich zur schnelleren Verbreitung der Elektromobilität insgesamt.“