Wir haben den Sohn von Helmut Bradl (er war 1991 auf einer Honda 250 Vizeweltmeister) nach dem Brünn-GP zu Hause besucht und einige Fragen gestellt: zur sportlichen Karriere, zur Zukunft wie auch zum Motorradfahren auf der Straße.
Springen wir gleich in die aktuelle Saison. Nach all den Siegen am laufenden Band und dem Riesen-Vorsprung: Kneifst Dich manchmal und denkst, hey, ich bin ein Glückspilz?
Stefan Bradl: „Ich sehe es eher so, dass ich ein paar Rennen lang nicht gewonnen habe. Das würde ich gerne wieder ändern. Natürlich hat mich der Erfolg überwältigt. Ich bin überglücklich über den Saisonverlauf bisher, die Siege, die Podestplätze. Noch mehr stellt mich aber die Art und Weise zufrieden, wie stark ich momentan fahre, in jedem Zeittraining, und auch dass ich sehr wenige Fehler mache. Das ist schon etwas Besonderes.“
Dein möglicher Aufstieg in die Königsklasse ist immer wieder ein Thema. Wie ist der Stand der Dinge für die Saison 2012?
Stefan Bradl: „Fix ist, dass es nächstes Jahr mit Honda in die MotoGP-Klasse geht. Wir warten aber noch auf die finale Bestätigung. Ein großer Teil der Finanzierung ist gesichert, aber es fehlen noch etwa 20 Prozent des Budgets. Wir sind jedoch optimistisch, dass es klappt. Das Team hofft, dass bis Ende August die notwendigen Zusagen vorliegen, denn bis dahin sollte dann auch das Motorrad für kommendes Jahr, eine neue 1000er V4, die RC213V, geordert werden.“
In der Moto2-Klasse wird mit 600er Honda-Einheitsmotoren gefahren. Du fährst mit einem deutschen Kalex-Chassis, das Dir offenbar sehr taugt. Kannst Du die Nuancen erklären, die ein gutes Chassis ausmachen?
Stefan Bradl: „Mein Gesamtpaket ist sicher sehr gut, die Kalex-Betreuung klappt ganz hervorragend. In der Moto2 sind die Bikes aller Fahrwerkshersteller recht ähnlich. Ich denke, ich habe mich gesteigert und auch das Team agiert professioneller. Wir sind alle zusammen besser geworden, das wurde bereits ab den Testfahrten im Frühjahr deutlich.“
Welche Zutaten sind notwendig, um im Motorrad-Rennsport erfolgreich zu sein?
Stefan Bradl: „Fahrerisches Talent ist wichtig, konkurrenzfähiges Material und ein gutes Team. Ebenso gute Beratung auf dem Weg nach oben. Man sollte Ehrgeiz mitbringen, Durchsetzungsvermögen auf der Strecke beweisen und bereit sein, sein Leben am Rennsport auszurichten.“
Stichwort Konditions- und Fitnesstraining – wie sieht das bei Dir aus?
Stefan Bradl: „Ich habe einen eigenen Konditionstrainer, trainiere täglich eineinhalb bis zwei Stunden. Kraft und Ausdauertraining, dazu spezielle Übungen mit Medizinbällen etwa, um das Gleichgewicht zu trainieren. Ohne die entsprechende Fitness ist es undenkbar, ein GP-Rennen durchzustehen. Nur dann kann man in der letzten Runde so schnell fahren wie in der ersten, vorausgesetzt natürlich die Reifen und die Technik lassen es zu. Zuletzt in Brünn z.B. war meine letzte Runde meine allerschnellste.“
Du hast 2003 mit Honda im ”Red Bull Rookies to MotoGP Cup“ angefangen, dessen Ziel es war, ein deutschen Fahrer auf den Weg zu bringen, idealerweise bis an die GP-Weltspitze. Du bist der Einzige, der es so weit geschafft hat und aus einer Reihe vielversprechender Talente übrig blieb.
Stefan Bradl: „Das stimmt, darüber habe ich auch schon oft nachgedacht. Die Förderung danach ist aber auch ein wichtiger Punkt. Ich hatte das Glück, dass mein Vater mich damals in einem Top-Team untergebracht hat, ein Jahr darauf gewann ich den 125er Titel in der Deutschen Meisterschaft. Danach ging es weiter, wenn auch mit einigen Hindernissen und Umwegen. Sich in der WM durchzukämpfen, ist ein hartes Brot. Die treibende Kraft der Rookie-Idee – Norbert Köpcke, er ist inzwischen im Ruhestand – war zuletzt am Sachsenring-GP als Gast bei unserem Team. Ich denke, es hat ihm Freude bereitet, zu sehen, dass seine Talentförderung am Ende bei mir so funktioniert hat.“
Welchen Anteil hat Dein Vater als ehemaliger GP-Fahrer an Deiner Karriere?
Stefan Bradl: „Ohne ihn wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin. Seine Erfahrung und sein Kontakte waren nicht nur wertvoll, sondern haben mich auch vor Fehlern und Fehlentscheidungen bewahrt. Welche Maschine, in welcher Klasse, die Gespräche mit wichtigen Personen und Sponsoren – alles muss richtig entschieden werden. Ich war 13 Jahre alt, als ich angefangen habe. Wie hätte das sonst klappen sollen? Er steht mir bis heute zur Seite. Nur Gas geben muss ich ganz alleine.“
Ende 2006, Anfang 2007 war eine schwierige Karrierephase, zwischenzeitlich war sogar von Rücktritt die Rede. Warum?
Stefan Bradl: „2006 war mein erstes GP-Jahr. Ich musste viel lernen, dann kam eine Beinverletzung dazu, weil ein anderer Fahrer mich bei einem Startversuch am Ende eines Trainings von hinten torpediert hatte. Es bestand zwar ein Vierjahresvertrag mit dem Team, aber der wurde am Jahresende aufgelöst, weil ich nicht unter den Top-15 rangierte.
Darauf haben sich einige Leute bei Honda dafür eingesetzt, dass ich 2007 im Nachwuchs-Team des Talentförderers Alberto Puig starten durfte. Dafür gab es im Frühjahr einen mehrwöchigen Lehrgang in Barcelona. Nur taugte der Trainingsplan mehr für die Armee, war extrem hart und streng. Ich hatte jedenfalls null Spaß, habe mich auch bei den ersten Testfahrten überhaupt nicht wohl gefühlt. Dazu gab es praktisch eine Kontaktsperre zu den Eltern.
Diese Umstände haben mir extrem missfallen. Ich dachte: Wenn das der Weg ist, Rennfahrer zu werden, vielen Dank, dann ohne mich. Also habe ich mich entschlossen, nach Hause zu fahren und aufzuhören. Natürlich hagelte es danach Kritik von außen, mein Vater stand zu mir, wie immer. Aber es gab auch Leute, einen verständnisvollen Teamchef in Spanien, und einen großzügigen Sponsor aus Österreich, die meine Entscheidung als 17-jähriger couragiert fanden, sich bei uns meldeten und mir halfen, 2007 doch weiter Rennen zu fahren. Zum Glück.“
Danach ging es 2008 beim deutschen Kiefer-Team weiter?
Stefan Bradl: „Ja, die Brüder Jochen und Stefan Kiefer waren zuvor in der 250er Klasse und sind mit mir dann in der 125er Klasse durchgestartet. Die Energy Drink-Marke Grizzly blieb als Sponsor dabei, also konnten wir 125er Werksmaterial einsetzen, damit gelang der erste GP-Sieg. 2009 kam bereits Viessmann, eine erfolgreiche Firma für Heizungstechnik, an Bord, die dann später auch den Aufstieg in die Moto2-Klasse finanzierte und uns bis heute begleitet.“
Viele Rennfahrer fahren nicht auf der Straße Motorrad. Du schon?
Stefan Bradl: „Wenn ich Zeit habe, gerne. Am liebsten schöne Touren, meistens mit dem Papa, oder dessen Brüdern Max und Edwin, im Allgäu oder durch den Kraichgau. Jeder besitzt eine Honda VFR1200F, eine weiße, eine rote und eine silberne. Die von Max ist eine VFR mit DCT-Doppelkupplungsgetriebe, die automatisch die Gänge einlegt oder über Schaltwippen am Lenker geschaltet werden kann. Ich steuere eine Honda Fireblade mit ABS, seit Anfang des Jahres sind 2.000 Kilometer zusammen gekommen.
Für kurze Distanzen, etwa zum Fitnesstraining, greife ich am oft zum Roller, einem Honda SH300i. Auf langen Strecken fahre ich lieber Auto, einen Honda Accord 2.2 iCTDi Diesel und höre dabei genüsslich Radio.
Ich bin auch mit dabei, wenn Sponsor Viessmann Kunden und Händler zu organisierten Ausfahrten einlädt. Einmal waren wir in den Schweizer Alpen, vier Tage lang Pässe fahren, das hat enorm viel Spaß
bereitet. Der Firmenchef, Dr. Martin Viessmann, ist ein großer Motorrad-Enthusiast, er besitzt selbst mehrere Maschinen und ist auch oft an der Rennstrecke mit dabei.“
Was ist das Tolle am Profi-Rennfahrer-Dasein?
Stefan Bradl: „Ich suche den Erfolg, möchte mich permanent verbessern und noch schneller fahren. Es ist etwas Besonderes, wenn man seinen Sport zum Beruf machen und damit Geld verdienen kann. In Deutschland gab schon länger keinen GP-Spitzenfahrer mehr; dass die Aufmerksamkeit mehr und mehr wird, merke ich natürlich schon.“
Wie fühlt sich ein GP-Sieg an?
Stefan Bradl: „Großartig. Man wird immer routinierter und kann es dann noch mehr genießen. Es ist ein unglaubliches Gefühl, die anderen zu besiegen und der Beste zu sein, eigentlich unbeschreiblich schön.“
Gibt es auch eine Kehrseite der Medaille?
Stefan Bradl: „Die Erwartungshaltung wächst natürlich. Auch nach dem Brünn-GP gab es Fragen: Du hast doch schon einen kleinen Vorsprung gehabt? Warum hast Du nicht gewonnen? Manche sind mit Platz 2 oder 3 schon nicht mehr so zufrieden. Damit muss man umgehen.
Im Moment führe ich in der WM-Tabelle. Trotzdem fühle ich mich nicht als Platzfahrer, der auf Rang 5 oder 6 ins Ziel kommen will, nur damit der Punktevorsprung erhalten bleibt. Ich fahre Rennen, um zu gewinnen und entscheide aus der jeweiligen Situation, ob es besser ist voll anzugreifen oder maximale Punkte mitzunehmen, bevor ich mit zuviel Risiko alles verliere.“
Wie reagiert die Öffentlichkeit in Zahling und Umgebung?
Stefan Bradl: „Man wird mehr und mehr erkannt. Die Leute in der Umgebung drücken mir jetzt mehr die Daumen und fiebern mit. Auch ein Fanclub ist jetzt gegründet worden, schon mit dreistelligen Mitgliedszahlen.“
Bitte zum Schluss noch einen Tipp für Motorrad-Straßenfahrer?
Stefan Bradl: „Zwischen Straße und Rennstrecke ist ein riesiger Unterschied. Im Straßenverkehr gilt es immer gewisse Reserve einhalten, möglichst vorausschauend fahren. Wenn man das Motorrad gut im Griff hat, ist es einfacher, auf andere zu achten. Mein Vater, der schon seit jeher auch auf der Straße Motorrad fährt, hat mir eingetrichtert: Immer aufpassen und mit den Fehlern der anderen rechnen.“