Inzwischen wissen die Mediziner, dass COVID-19 nicht nur eine schwerwiegende Erkrankung der Atemorgane ist, sondern die Gefäßinnenwände im gesamten Körper betrifft. In der Folge wird die Blutgerinnung gestört und das Risiko für eine Lungenembolie oder einen Schlaganfall steigt rapide. „Da wir trotz aller Fortschritte im Umgang mit COVID-19 noch über keine spezifische Therapie oder eine zugelassene Impfung verfügen, suchen wir gerade bei den jetzt wieder steigenden Infektionszahlen nach Hinweisen, die uns einen schweren Verlauf frühzeitig anzeigen können“, erklärt Dr. Daniel Vilser, leitender Oberarzt in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKJ. „Die Funktionsanalyse der gut zugänglichen Netzhautgefäße ist ein etabliertes Verfahren, das uns wertvolle Informationen über einsetzende Störungen der Gefäßfunktion geben könnte.“
Kontaktloser Blick ins Auge
Der Kinderkardiologe leitet deshalb eine klinische Studie mit stationär im UKJ betreuten COVID-19-Patienten, bei der die Teilnehmer mit einem speziellen Gefäßanalyseverfahren untersucht werden. Die eingesetzte Technologie des Jenaer Medizintechnikunternehmens Imedos Systems GmbH ermöglicht über einen kontaktlosen Blick ins Auge und mithilfe von Flickerlicht eine detaillierte Analyse der Funktion und Regulation der Netzhautgefäße, insbesondere deren Innenseiten, des sogenannten Endothels. Diese innere Zellschicht in den Gefäßen ist unter anderem an der Regulation von Durchblutungs-, Gerinnungs- und Entzündungsprozessen maßgeblich beteiligt.
“Wir gehen davon aus, dass sich die Messergebnisse für das Endothel der Mikrogefäße im Auge auf den gesamten Körper übertragen lassen, wir also einen detaillierten Befund für die Endothelfunktion der COVID-19-Patienten erhalten“, so Daniel Vilser. In der Studie wollen die Wissenschaftler erfassen, ob die retinale Endothelfunktion bei COVID-19 beeinträchtigt ist. Von besonderem Interesse ist dabei, ob sich ein Zusammenhang der Parameter der statischen und dynamischen Netzhautgefäßanalyse mit der Schwere des Krankheitsverlaufs erkennen lässt. „Damit böte sich eine Möglichkeit, Risikopatienten, die intensivmedizinisch betreut werden müssen, frühzeitig zu identifizieren und deren Behandlung entsprechend anzupassen“, betont Daniel Vilser. Bisher nahmen etwa 30 COVID-19-Patienten an der Beobachtungsstudie teil. Bei der Mehrzahl von ihnen stellten die Studienärzte eine Störung der Endothelfunktion fest.
Universitätsklinikum Jena
Das Universitätsklinikum Jena (UKJ) ist die einzige Hochschulmedizin Thüringens und mit mehr als 5.600 Mitarbeitern der größte Arbeitgeber der Region. An der Medizinischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität werden 2600 Medizin-, Zahnmedizin- und Masterstudierende ausgebildet, Wissenschaftler aus über 50 Nationen forschen hier an der Weiterentwicklung der Medizin. Die Schwerpunkte liegen dabei auf der Sepsis- und Infektionsforschung, dem Altern und alternsassoziierten Erkrankungen sowie der Medizinischen Optik und Photonik. In den Kliniken und Polikliniken des UKJ werden jährlich mehr als 300.000 Patienten stationär und ambulant versorgt. www.uniklinikum-jena.de