Die IHK-Positionen im Wortlaut:
IHK-Positionen zur Schulpolitik im Saarland
Das Saarland braucht eine nachhaltige wirtschafts-, standort- und bildungspolitische Offensive, um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich meistern zu können. Angesichts der demografischen Herausforderungen kommt dabei der Bildungspolitik eine Schlüsselrolle zu: In den kommenden Jahrzehnten wird die Zahl der Einwohner im Saarland deutlich stärker sinken und das Durchschnittsalter der Bevölkerung stärker steigen als im Schnitt Deutschlands. Zurückgehen wird insbesondere auch die Zahl der Schulabgänger. Allein bis Ende des Jahrzehnts ist hier mit einem Minus von rund 20 Prozent zu rechnen. Zugleich werden ältere Menschen in großer Zahl aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Das bedeutet: Der aktuell schon spürbare Mangel an Fachkräften wird weiter dramatisch zunehmen.
Sorge bereitet in diesem Kontext auch, dass immer noch zu viele Schüler die allgemein bildenden Schulen ohne Abschluss verlassen. Und: Fast jeder siebte Schulabgänger ist im Saarland nicht oder nur eingeschränkt ausbildungsfähig.
Nur wenn es gelingt, dem zahlenmäßigen Jugendschwund durch mehr und bessere Bildung qualitativ entgegen zu wirken, lassen sich die Folgen dieser Entwicklung noch begrenzen. Die IHK erwartet, dass die Landesregierung ihre Anstrengungen in diese Richtung weiter verstärkt; schließlich gehört die Bildungspolitik zu den Handlungsfeldern, in denen unser Land die größten Handlungsspielräume hat.
1) Qualitätsoffensive an den Schulen fortsetzen
Das Saarland hat diesen Spielraum in den vergangenen Jahren durchaus genutzt - durch mehr und besseren Unterricht vor allem an den Grundschulen, durch Leistungstests in allen Klassenstufen, die Verkürzung der Gymnasialzeit und den quantitativen und qualitativen Ausbau der Vorschulerziehung. Diesen Kurs gilt es, in den kommenden Jahren verstärkt fortzusetzen - alleine schon, um die Auswirkungen des demografischen Wandels abzumildern. Die größte Chance zum Gegensteuern besteht darin, das Potenzial in den Köpfen unserer Menschen bestmöglich zur Entfaltung zu bringen.
Auf diesem Weg sind die folgenden Maßnahmen vorrangig:
- Ein früherer Lernbeginn schon in den Kindergärten - auch mit dem Ziel, Bildungsunterschiede möglichst frühzeitig auszugleichen. Vor allem geht es darum, Defizite im Sprachverständnis und der Ausdrucksfähigkeit in der deutschen Sprache zu beseitigen. Die von der Landesregierung geplante Weiterentwicklung des dritten Kindergartenjahres zu einem verpflichtenden Schulvorbereitungsjahr wird deshalb von der IHK ausdrücklich begrüßt.
- Die Herabsetzung des Einschulungsalters. Hier liegt Deutschland gegenüber den europäischen Nachbarländern um rund ein Jahr zurück. Die IHK schlägt deshalb vor, innerhalb der nächsten zwölf Schuljahre in jedem Jahr die Altersgrenze der Schulpflicht um einen Monat nach vorne zu verlegen.
- Eine bessere Lehrerfortbildung und eine bessere personelle Ausstattung vor allem in den Grundschulen. Ziel muss es sein, die noch immer viel zu hohe Zahl von Ausfallstunden drastisch zu reduzieren und feste Betreuungszeiten zu garantieren ("verlässliche Grundschule"). Ein wesentlicher Bestandteil dieser Qualitätsoffensive muss auch die Einführung einer klar definierten Fortbildungspflicht für Lehrkräfte sein.
- Ein höheres Bildungsniveau lässt sich, insbesondere für Kinder aus bildungsfernen Schichten, am besten durch den Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten erreichen. Auch dem Anspruch schwächere Kinder zu fördern und besonders Begabte stärker zu fordern, werden Ganztagseinrichtungen in besonderer Weise gerecht. Gleichzeitig sorgt ein besseres Angebot an Ganztagseinrichtungen dafür, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
- Fremdsprachenkenntnisse gewinnen auch in der beruflichen Ausbildung zunehmend an Bedeutung - gerade in einer Grenzregion wie dem Saarland. Die gemeinsam von Land und Kammern entwickelten "Abiturientenmodelle" (Zusatzangebote für Auszubildende mit Hochschulreife) tragen diesem Umstand mit zusätzlichem Sprachunterricht in Englisch oder Französisch Rechnung. Wegen des Mangels an Fachlehrern werden sie jedoch an vielen Standorten gar nicht mehr angeboten oder sind durch zahlreiche Unterrichtsausfälle nahezu wirkungslos geworden. Die IHK fordert deshalb, mit zusätzlichen Lehrern dem Fremdsprachenunterricht in der beruflichen Ausbildung wieder den notwendigen Stellenwert zu geben.
- Immer weniger Berufsschullehrer verfügen über ausreichende Kenntnisse der betrieblichen Praxis. Obwohl viele saarländische Unternehmen dazu kostenlose Praktika anbieten, werden diese nur wenig genutzt. Die IHK regt deshalb an, dem Beispiel Rheinland-Pfalz zu folgen und angehende Berufsschullehrer zu verpflichten, im Rahmen ihres Studiums zwei Betriebspraktika zu absolvieren. Ferner sollten Betriebspraktika auch in die Weiterbildungsprogramme einbezogen werden. Die IHK ist auch bereit, weitere Praktikantenplätze einzuwerben und auch dazu selbst Praktikantenplätze zur Verfügung zu stellen.
- Mehr Qualität entsteht dauerhaft vor allem durch höhere Motivation und mehr Eigenverantwortung. Konkret: durch mehr Freiheit für die Schulen und mehr Wettbewerb zwischen ihnen. Auf Anregung der IHK gibt es dazu im Saarland einen Modellversuch. Die richtigen Ansätze gilt es jetzt, möglichst umgehend in voller Breite umzusetzen.
Zur Finanzierung der Qualitätsoffensive schlägt die IHK vor, den finanziellen Spielraum, der sich durch den starken Rückgang der Schülerzahlen ergibt, mindestens zur Hälfte im Bildungssystem zu belassen.
Mit Blick auf einen reibungslosen Übergang vom Schulsystem in die berufliche Ausbildung empfiehlt die IHK,
- den Pakt für Ausbildung mit neuen Inhalten zu füllen und auch für die kommenden Jahre abzuschließen;
- theorieschwache Jugendliche und Jugendliche mit schulischen Defiziten gezielt für eine Ausbildung im dualen System fit zu machen sowie den Übergang von der Schule zu Ausbildung oder Beruf besser vorzubereiten und zu managen. Das gemeinsame Projekt von Landesregierung, Kammern und Arbeitsagentur "Anschluss direkt" leistet dazu einen wertvollen Beitrag.
2. Behutsame Strukturveränderungen - keine Experimente
Der starke Rückgang der Schülerzahlen im Saarland verlangt Antworten, die auch Zahl und Struktur der Schulstandorte betreffen. Wohnortnähe, hohe Ausbildungsqualität und eine Vielzahl an Wahlmöglichkeiten lassen sich immer weniger miteinander vereinbaren. Deshalb kann es sinnvoll sein, Erweiterte Realschulen und Gesamtschulen zu einer Gemeinschaftsschule zusammenzufassen. Das Vorhaben, diese generell mit einer eigenen Oberstufe zu versehen, hält die IHK allerdings für verfehlt. Die bisherigen positiven Erfahrungen mit den erst kürzlich in allen Landkreisen eingerichteten "Oberstufengymnasien" (auch als Alternative zu G8) sprechen jedenfalls dafür, an diesem Ansatz festzuhalten.
Die IHK begrüßt die Entscheidung der Landesregierung, die Verlängerung der Grundschulzeit auf fünf Jahre vorerst nicht umzusetzen. Denn gegen dieses Vorhaben sprechen mindestens drei gewichtige Gründe:
- Die Fremdsprachenkompetenz saarländischer Schüler würde erheblich geschwächt. Bislang beginnt der Unterricht in der ersten Fremdsprache für Gymnasien und ERS in Klassenstufe 5 - mit ausgebildeten Fachlehrern und auf Sekundarstufenniveau. Eine bis zwei (ERS) Klassenstufen danach beginnt bereits die zweite Fremdsprache. Eine Verschiebung oder ein Nachholen in späteren Schuljahren ist praktisch ausgeschlossen.
- Das gilt in besonderem Maße für die Schüler, die auf ein Gymnasium wechseln. Hier war die Verkürzung der Gymnasialzeit auf acht Jahre (G8) schon anspruchsvoll. Künftig müssten Gymnasiasten nicht nur zwei Sprachen, sondern auch nahezu den gesamtem übrigen Lehrstoff in sieben statt acht Jahren bewältigen. Das ist ohne nachhaltige Absenkung des Anspruchsniveaus nicht möglich.
- Mit der Einführung einer fünfjährigen Grundschulzeit würde sich das Saarland von den übrigen Bundesländern isolieren - in 14 von 16 Ländern besteht eine vierjährige Grundschulzeit. Umzüge zwischen dem Saarland und den übrigen Teilen der Republik würden für Familien mit Kindern massiv erschwert. Für saarländische Unternehmen wäre es weitaus schwieriger, qualifizierte Führungskräfte zu akquirieren.