Die kurzatmige Hektik des zunehmend von Krisenmeldungen geprägten Alltags zu durchbrechen und innezuhalten, um Standpunkte zu reflektieren und neue Perspektiven zu erkennen, das sei derzeit besonders notwendig, sagte IKV-Institutsleiter Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann bei der Begrüßung. Dazu bot das Kolloquium auf den verschiedensten Ebenen reichlich Gelegenheit: bei der Präsentation neuester Forschungsergebnisse in den 15 Vortragssessions, bei Führungen durch Technika und Labore des IKV, in der Industrieausstellung im Foyer des Eurogress, beim Recruiting Speeddating und nicht zuletzt in den Pausen zwischen den einzelnen Programmpunkten beim Essen oder einer Tasse Kaffee.
Zukunftsfähigkeit durch neue Technologien und gut ausgebildeten Nachwuchs
Viele wertvolle Denkanstöße kamen von den Keynote-Speakern, die sich den Zukunftsthemen der Branche aus unterschiedlichen Blickwinkeln näherten. VDI-Präsident Prof. Dr.-Ing. Lutz Eckstein machte deutlich, wie wichtig der Berufsstand der Ingenieure für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands ist. Es sei Konsens, dass technische Innovationen für Wirtschaft, Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands wichtig seien. Gleichzeitig seien Ingenieure und Ingenieurinnen trotz ihrer guten Ausbildung und dem, was sie für die Gesellschaft leisteten, im öffentlichen Bewusstsein wenig präsent. Er ermutigte dazu, sich selbstbewusst zu engagieren, die Menschen mitzunehmen und für Innovationen zu begeistern und sich dabei nicht allein auf Politik und Medien zu verlassen. Um Zukunftsfähigkeit zu erreichen, müssten Fakten klar kommuniziert und Fiktionen als solche erkennbar werden. So ließe sich Vertrauen in Technologie und Fortschritt festigen.
IKV-Institutsleiter Prof. Christian Hopmann zeigte auf, wie die Kunststofftechnik mit neuen Entwicklungen vor allem in den Bereichen Nachhaltigkeit und Digitalisierung einer befürchteten Deindustrialisierung entgegentreten kann. Beide Themen stehen im Mittelpunkt zahlreicher Forschungsprojekte am IKV, über die er einen Überblick gab. Er thematisierte aber auch die große Skepsis der Gesellschaft gegenüber neuen Technologien sowie die Nachwuchssorgen, die die ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen umtreiben, und erklärte, was das IKV unternimmt, um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu sichern.
Prof. Hopmann stellte außerdem Prof. Dr.-Ing. Achim Grefenstein vor, der seit Januar 2024 in der neu geschaffenen Position eines wissenschaftlichen Direktors für Kreislaufwirtschaft für das IKV tätig ist. Prof. Grefenstein ist Absolvent des IKV und seit 1998 neben seiner Tätigkeit in der Industrie Dozent für Compoundiertechnik und Recycling an der RWTH und dem IKV. Seine Zeit wird er künftig zwischen der R&D-Leitung bei Constantia Flexibles und der neuen Aufgabe am IKV aufteilen. Damit unterstreicht das IKV die Bedeutung des Themas Nachhaltigkeit für die eigene Forschung und schafft eine weitere wichtige Verbindung zur Industrie.
Denkanstöße zum Potenzial von Kunststoffen auf Basis nachwachsender Rohstoffe lieferte der Plenarvortrag von Dr.-Ing. Martin Bussmann (Neste SE). Er ordnete den Themenkomplex sehr übersichtlich ein, von der Unterscheidung zwischen biobasierten und bioabbaubaren Kunststoffen über verschiedene Quellen bis zur kommerziellen Verfügbarkeit von Biokunststoffen. Er wies auf zahlreiche verschiedene Normen für die Abbaubarkeit und Anwendung hin und deckte Widersprüche zwischen Erwartungen und Möglichkeiten auf. Sowohl für biobasierte als auch für bioabbaubare Kunststoffe gibt es bereits sinnvolle Einsatzbereiche und Ansätze, die es lohnen, weiterverfolgt zu werden.
Dr. Alexander Kronimus, Geschäftsführer und Leiter Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft von PlasticsEurope Deutschland e. V., beschrieb die Aufgaben der Kunststoffindustrie bei der Gestaltung eines klimaneutralen Europas 2050. Nach einer Analyse des Status-quo in Europa kam er zu dem Schluss, dass sich das Ziel mit einer ausschließlichen Klimaoptimierung des Kunststoffsystems nicht erreichen lässt. Nötig sei vielmehr eine Integration der Basischemie in die Kreislaufwirtschaft, sodass Plastikabfall nicht nur als Rohstoffquelle für die Kunststoffkreislaufwirtschaft dient, sondern für die Herstellung von Grundchemikalien genutzt werden kann.
Aktuelle Forschung am IKV und in der Industrie
Die insgesamt 15 Vortragssessions, in denen jeweils aktuelle Forschungsergebnisse des IKV zu Themen aus der Industrieforschung in Bezug gesetzt wurden, bildeten das Rückgrat des 32. Kolloquiums. Die Diskussionsrunden am Ende jeder Session wurden intensiv zum Austausch genutzt. Im Einklang mit der Zielsetzung des IKV „Forschung für die Praxis“ widmeten sie sich besonders den Perspektiven und Anforderungen der Industrie. Neben der übergreifenden Rolle von Nachhaltigkeit und Digitalisierung ging es unter anderem um neue Prozesstechnologien im Spritzgießen, in der Extrusion und in der Fügetechnik sowie um Simulationen und Modelle für Materialien und Verfahren.
Die Sessiontitel waren:
- Prozesstechnik für das Spritzgießen von Leichtbauteilen
- KI-getriebene Methoden zur Steigerung der PCR Nutzung
- Fortschritte beim Ultraschall- und Laserstrahlschweißen
- Neue Prozessregelungsstrategien für das Spritzgießen
- Mehrskalensimulation von mehrphasigen Werkstoffen
- Materialcharakterisierung und Prozessüberwachung für Polyurethane
- Produktspezifische Prozesstechnik für das Spritzgießen
- Plasmabasierte Barrierebeschichtung für nachhaltige Verpackungen
- Structural Health Monitoring von Wasserstoff-Druckspeichern
- Assistenzsysteme im Spritzgießen
- Ressourceneffizienz für Elastomeranwendungen
- Verbesserung der Vorhersage der Ermüdungslebensdauer von faserverstärkten Bauteilen
- Herausforderungen bei der Verarbeitung von PCR
- Kosteneffiziente Auslegung von Tape-verstärkten Großserien-Bauteilen
- Intelligente Werkzeuge zur Design- und Prozessverbesserung in der Additiven Fertigung
Im Rahmen von IKV 360° hatten die Besucher am Nachmittag des ersten Konferenztages die Gelegenheit, die in den 15 Sessions vorgestellten Themen in der Praxis zu erleben und darüber hinaus weitere Einblicke in die aktuelle Forschung am IKV zu gewinnen. Auf der Tour durch sämtliche Hallen und Labore des IKV standen die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an rund 80 Stationen bereit, um ihre Arbeit mit den Gästen zu diskutieren und Fragen zu beantworten. Laufende Maschinen und Prozesse aus den Bereichen Additive Fertigung, Analyse und Prüfung, Digitalisierung, Extrusion, Faserverstärkte Kunststoffe, Fügetechnik, Industrie 4.0, Kautschuktechnologie, Kreislaufwirtschaft, Leichtbau, Oberflächentechnik, Plasmatechnik, Polyurethantechnik, Produktentwicklung, Simulation, Spritzgießen, Wasserstofftechnologien und Werkstofftechnik vermittelten anschaulich Bandbreite und Praxisbezug der IKV-Forschung.
Dem Nachwuchsmangel entgegenwirken: Recruiting Speeddating
Die Kunststoffindustrie und junge Talente zusammenzubringen, war das Anliegen des bereits bewährten Recruiting Speeddating. In kurzen, prägnanten Gesprächen konnten Studierende und Absolventen mit potenziellen Arbeitgebern in Kontakt treten und sich über ihre Zukunftschancen informieren. Gleichzeitig konnten sich die rund 20 teilnehmenden Unternehmen als Arbeitgeber präsentieren, ihre (künftigen) Bewerber kennenlernen und passende Kandidaten für Praktika, Abschlussarbeiten und Einstiegspositionen in der Kunststoffindustrie finden. Das Feedback war durchweg positiv und sowohl Bewerber als auch Unternehmen waren sowohl mit der Qualität als auch der Quantität mehr als zufrieden.
Kontakte knüpfen und pflegen: Industrieausstellung
Während des gesamten Kolloquiums hatten die Besucher in der 400 Quadratmeter umfassenden Industrieausstellung die Gelegenheit, professionelle Netzwerke zu pflegen und intensiven Austausch mit Experten, Entscheidungsträgern und Geschäftspartnern betreiben. Unter den rund 40 Ausstellern war die gesamte Wertschöpfungskette der Kunststoffbranche vertreten, von Maschinen- und Anlagenherstellern über Verarbeiter und Rohstofflieferanten bis hin zu Herstellern von Analyse- und Prüftechnik sowie Consultingunternehmen. Viele der Aussteller sind bereits seit Jahren dabei – wie in jedem Jahr konnte das IKV aber auch viele Neuausteller gewinnen. Besonderes Interesse erregten die beiden aus dem IKV hervorgegangenen Start-ups IonKraft und OSPHIM, die jeweils mit einem eigenen Stand vertreten waren. Die Eröffnung der Ausstellung am Vorabend des Kolloquiums war gut frequentiert. Zahlreiche Teilnehmer nutzten die Chance, sich bei Currywurst, Sandwiches und kalten Getränken auf die kommenden Tage einzustimmen, erste Kontakte zu knüpfen und bereits mit den jungen Forschenden des IKV ins Gespräch zu kommen.
Nächstes Kolloquium
Das 33. Internationale Kolloquium Kunststofftechnik des Instituts für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen findet am 4. und 5. März 2026 in Aachen statt.
www.ikv-kolloquium.de
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www.ikv-aachen.de
Über das IKV
Das Institut für Kunststoffverarbeitung (IKV) in Industrie und Handwerk an der RWTH Aachen ist europaweit das führende Forschungs- und Ausbildungsinstitut auf dem Gebiet der Kunststofftechnik. Mehr als 300 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beantworten hier Fragestellungen rund um die Verarbeitung, Werkstofftechnik und Bauteilauslegung von Kunststoffen und Kautschuken. Die enge Verbindung mit Industrie und Wissenschaft sowie die exzellente Ausstattung des IKV ermöglichen den Studierenden eine praxisnahe und umfassende Ausbildung. Die Aachener Kunststoffwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sind deshalb begehrte Spezialisten in der Industrie. Etwa 50 Prozent der deutschen Kunststoffingenieurinnen und -ingenieure mit Universitätsabschluss wurden am IKV ausgebildet. Träger des Instituts ist eine gemeinnützige Fördervereinigung, der heute rund 300 Unternehmen aus der Kunststoffbranche weltweit angehören. Leiter des Instituts und Geschäftsführer der Fördervereinigung ist Univ.-Prof. Dr.-Ing. Christian Hopmann. Er ist gleichzeitig Inhaber des Lehrstuhls für Kunststoffverarbeitung der Fakultät für Maschinenwesen der RWTH Aachen.
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