Der politische Riese beugt sich der ökonomischen Realität Europas und hält Schritt: Europa und mit ihr insbesondere die Energiewende in der Bundesrepublik, schwenken auf Wasserstoff als Energieträger um. Russland steht schlicht vor der Wahl, denn als größter Öl- und Gasimporteur des Kontinents gilt es, die Vormachtstellung auf dem Energiemarkt für die nächsten Jahre zu behaupten. Bis 2035 sollen zwei Millionen Tonnen der natürlichen Ressource an Abnehmer im Ausland exportiert werden.
Bis 2024 stellt die Russische Föderation fortan sukzessiv auf die Produktion von Wasserstoff um, eine vollkommen neue Branche soll wachsen – selbstredend ganz vorn an der Spitze der „grünen Revolution“: die Staatskonzerne Gazprom und Rosatom, bisher prominent vornehmlich in der Rolle der russischen Giganten konventioneller Energieversorgung, die aus Moskau Atomenergie durchaus als alternierend und umweltfreundlich ausriefen.
Fortan aber wird Energie sauber: Gazprom setzt auf die Produktion von „türkisem Wasserstoff“, dessen Abfallprodukte (fester Kohlenstoff) als Dünger weiterverwendet werden können. Aktuell sondiert das Unternehmen Projekte in der EU. Pipelines wie Nord Stream 2, derzeit im Bau für 8,5 Milliarden Euro, würden sich nach ca. zehn Jahren bei voller Auslastung rentieren. Für das Jahr 2050 veranschlagt Gazprom das Volumen des europäischen Marktes auf 153 Milliarden Euro. Doch die Konkurrenz ist nicht weit: Rosatom baut bei der Herstellung auf den „gelben Wasserstoff“, der durch die Elektrolyse von Wasser entsteht – einer der saubersten Methoden, allerdings soll die Elektrolyse wiederum mit Atomstrom realisiert werden, was insbesondere in Europa auf weitreichende Skepsis stoßen wird.
Es steht nicht schlecht um die Neuaufstellung Russlands in der Energiepolitik, denn das größte Land der Erde hat sein Potential bei weitem noch nicht vollends ausgeschöpft: Vorhandene Rohstoffe, bereits vorhandene Herstellungskapazitäten, eine stabile Infrastruktur in Gestalt von Pipelines sowie die geographische Nähe potentieller Absatzmärkte wie Europa und Asien, verleihen der Entwicklung von Wasserstofftechnologien einen enormen Schub. In abgelegenen Regionen des Hohen Nordens und Fernen Ostens könnte zudem als weiteres Plus Diesel als bisher wichtigster Energieträger abgelöst werden.
Deutschland als Absatzmarkt im Fokus
Die Welt als Bühne: Obwohl die außenpolitische Strahlkraft der vorgerückten Putin-Jahre stark mit der Bilanz der eigenen Wirtschafts- und Sozialpolitik kontrastiert, scheint die Atom- und Rohstoffmacht, angesichts ihrer schier unermesslichen Energievorräte, für die Rolle des natürlichen Energielieferanten Europas begnadet zu sein. Nach den USA ist Russland der zweitgrößte Förderer von Erdgas. Das Land hat laut des BP Statistical Review of World Energy die Hoheit über 20 Prozent der weltweiten Reservefonds. Auch die sechstgrößten Ölreserven der Welt nennt die Russische Föderation mit 106,2 Milliarden Barrel ihr Eigen, besitzen die USA dazu im Vergleich nur 61,2 Milliarden Barrel.
„Nicht nur aus wirtschaftlicher Warte gesehen, sondern insbesondere mit Blick auf das strategische Vorgehen, ist es für Russland sinnvoll, ausgehend von günstigem und beständig verfügbarem Gas, Wasserstoff zu produzieren und zu exportieren, um sich vor einem Rückgang in der Nachfrage „grauen Wasserstoffs“ fossiler Energieträger bestmöglich zu immunisieren. Ein weiterer wichtiger Schritt der Stärkung deutsch-russischer Wertegemeinschaft“, so Peter Nußbaum, Vorstand des Internationalen Wirtschaftssenats e.V. (IWS).