Die Arbeit in Schmiedeunternehmen ist körperlich extrem belastend. Kiloschwere, glühende Metallteile werden mit einer Zange aus dem Ofen entnommen, zur Presse transportiert und in einigen Fällen sogar festgehalten, während sich der Hammer senkt. Die Mitarbeiter müssen also nicht nur schwer heben, sondern auch Stöße und Schwingungen aushalten. Das belastet auf Dauer den Rücken, die Schultern und die Handgelenke und kann außerdem die Gefäße schädigen.
Um die Gesundheit der Arbeiter zu schonen, wollen Ingenieure am Institut für Integrierte Produktion Hannover (IPH) gGmbH eine ergonomische Schmiedezange entwickeln. Sie soll Stöße und Schwingungen dämpfen, beim Greifen unterstützen und Belastungen durch das Bauteilgewicht reduzieren. Das erleichtert nicht nur die Arbeit, sondern bringt Schmiedeunternehmen auch einen klaren wirtschaftlichen Nutzen: Wenn ihre Mitarbeiter länger gesund bleiben, spart dies Kosten. Aufträge werden pünktlich fertiggestellt, ohne dass die Kollegen teure Überstunden machen müssten. Zudem wird der Fachkräftemangel abgefedert: Auch in der Schmiedebranche fehlt der Nachwuchs und das Renteneintrittsalter steigt. Daher müssen Unternehmen zwangsläufig die Gesundheit ihrer Mitarbeiter im Blick haben und die Arbeit so ergonomisch wie möglich gestalten.
Im Forschungsprojekt „ErgoZang“ arbeiten die IPH-Ingenieure eng mit kleinen und mittleren Unternehmen zusammen, insbesondere mit Schmiedeunternehmen und Zangenherstellern. Zunächst wollen sie untersuchen, welche Tätigkeiten körperlich am stärksten belasten. Dafür befragen sie die Mitarbeiter vor Ort und messen objektiv die Belastungen während der Arbeit – etwa mithilfe von Brustgurten, die den Puls und die Atemfrequenz erfassen.
„Wir wollen von Anfang an diejenigen einbeziehen, die die Zange später benutzen“, sagt Projektleiter David Schellenberg. „Ihr Wissen fließt in die Entwicklung ein und gegen Ende des Forschungsprojekts werden sie die ergonomische Zange testen.“ Das ist auch für die Akzeptanz des neuen Werkzeugs unerlässlich – denn die ergonomische Schmiedezange wird voraussichtlich deutlich anders aussehen als jene Werkzeuge, die die Arbeiter bisher gewohnt sind. Um die Belastung beim Tragen von sehr schweren Schmiedeteilen zu reduzieren, könnte beispielsweise ein Exoskelett zum Einsatz kommen. Denkbar ist auch ein Mechanismus, der die Zange auf Knopfdruck geschlossen hält, um Belastungen der Handgelenke zu reduzieren. Stöße könnten sich mit Schwingungsdämpfern abfedern lassen. „Derzeit sammeln wir noch Ideen“, sagt Schellenberg. Im Laufe des Forschungsprojekts wollen die Ingenieure einen Demonstrator fertigen; Praxistests in Schmiedeunternehmen sind für Ende 2020 geplant. Dann messen die Ingenieure erneut die Belastung während der Arbeit und vergleichen sie mit den alten Werten.
Eine einzige, ergonomisch perfekte Schmiedezange zu entwickeln ist allerdings nicht das Ziel der Wissenschaftler. „Je nach Anwendungsfall gibt es unterschiedliche Werkzeuge. Das wird auch so bleiben“, sagt Schellenberg. Denn wenn 20 Kilogramm schwere Schmiedeteile transportiert werden müssen, sind die Belastungen vollkommen anders als bei der Handhabung von relativ leichten Teilen, die jedoch beim Freiformschmieden mit der Zange in Position gehalten werden müssen. „Wir entwickeln deshalb eine Art Baukasten aus vielen verschiedenen Lösungen und halten diese in einem Leitfaden fest“, sagt Schellenberg. Mit diesem Leitfaden könnten Werkzeugbauunternehmen später ergonomische Zangen für unterschiedliche Einsatzfälle entwickeln.
Das Forschungsprojekt „Entwicklung von ergonomisch optimierten Schmiedezangen zum kraftunterstützten und schwingungsgedämpften Handling von Schmiedeteilen (ErgoZang)“ ist am 1. März gestartet und läuft zwei Jahre. Finanziert wird es vom Bundeswirtschaftsministerium. Unternehmen, die sich am Projekt beteiligen möchten, melden sich bei David Schellenberg unter der Telefonnummer (0511) 279 76-336 oder per E-Mail an schellenberg@iph-hannover.de.
Weitere Informationen zum Forschungsprojekt sind unter www.ergozang.iph-hannover.de zu finden.