Der Lymphkliniktag wurde mit einem Rückblick auf dessen Entwicklung eingeläutet. Die Veranstaltung hat mal ganz klein mit 30 bis 40 Personen begonnen. Im Laufe der Jahre sei der Bedarf, sich über das Lymphödem und dessen Therapie auszutauschen, kontinuierlich gewachsen. Seit diesem Jahr findet der Lymphkliniktag in den Kongresssprachen Deutsch, Englisch und Französisch statt, so dass Gäste aus insgesamt 12 Ländern begrüßt werden konnten. Jürgen Gold, Geschäftsführer der Firma Juzo, freute sich über die vielen Gäste aus Ärzteschaft, Therapie und Fachhandel.
Das Symposium war in drei Themenschwerpunkte unterteilt. Im Anschluss an das Vortragsprogramm gab es die Möglichkeit, die Lymphklinik Wolfsberg zu besuchen und vor Ort Einblicke in die Praxis zu erhalten.
I. Physikalische, konservative Therapie
Univ.-Prof. Dr. med. Richard Crevenna, MBA, MMSc, Wien, Österreich, hatte seinen Vortrag zu den Möglichkeiten der physikalischen Medizin aus Sicht des Allgemeinen Krankenhauses vorab per Video eingereicht. Der Präsident der österreichischen Lymph-Liga stellte die Bestandteile der Rehabilitation von Empowerment und Psychologie Tele-Rehabilitation vor und forderte eine interdisziplinäre und multiprofessionelle Zusammenarbeit.
Prim. Dr. med. Gert Apich, Klagenfurt, Österreich, zeigte anhand von Messdaten aus Wolfsberg und Klagenfurt die unterschiedlichen Möglichkeiten der ambulanten und der stationären lymphologischen Rehabilitation auf. Im Rahmen einer Lymphstudie wurden Blutwerte vor und nach der manuellen Lymphdrainage (MLD) miteinander verglichen, um die Resultate der Drainage zu
verdeutlichen. Zur Verbesserung der Lymphangiomotorik, Schmerzkontrolle und Lebensqualität kämen neben der MLD auch verschiedene Kompressionsversorgungen, additive physikalische Therapien sowie Mechanotherapie und Bewegungstherapie zum Einsatz.
Prim. Dr. med. Roland Celoud, S.F.E.B.PRM., MSc, Horn, Österreich, zeigte die Vorzüge der neuen ICF-Codierung gegenüber der bisher üblichen ICD-Codierung der WHO. ICD gebe lediglich Aufschluss über die Körperfunktionen und -strukturen. Die International Classification of Functioning, Disability and Health (ICF) berücksichtige hingegen auch die Folgen von Krankheiten in Bezug auf Körperfunktionen, Aktivitäten und Teilhabe. Darum sei die ICF der Schlüssel zur Erfassung und Dokumentation der individuellen Rehabilitations- und Partizipationsziele.
In einer Liveschaltung aus der Charité – Universitätsmedizin Berlin präsentierte PD Dr. med. Anett Reißhauer, Leitung Arbeitsbereich physikalische Medizin, aktuelle Studienergebnisse zu Kompression und Bewegung beim Lymphödem. Im Bereich der Kompressionsbandagierung wurde ein neues Polstermaterial aus Schaumstoff untersucht, welches die Druckverteilung optimiere und gegenüber dem in der Praxis häufig verwendeten Wattematerial sogar ökologischer und ökonomischer sei. Medizinische adaptive Kompressionssysteme (MAK) seien eine sinnvolle Ergänzung der Kompressionstherapie, die eine flexiblere und individuellere Versorgung der Patientinnen und Patienten ermöglichen würde.
Zum Thema „Drücke unter verschiedenen Kompressionsversorgungen“ informierte Prof. Jean-Paul Belgrado, PhD, Brüssel, Belgien, und zeigte Stärken und Schwächen unterschiedlicher Druckmessmethoden auf. Besonders interessant sei der Unterschied im subjektiven Empfinden von Kompressionsdruck und Wasserdruck. Bei einer Wassertiefe von einem Meter entstehe ein nicht spürbarer Druck von bis zu 100 mmHg. Dieser Druck würde bei Kompressionsversorgungen sogar als schmerzhaft und gefährlich eingestuft. Beim Tragen von Kompressionsbekleidung im Wasser addiere sich der Kompressionsdruck der Versorgung und der Wasserdruck.
Prof. Dr. med. Karsten Knobloch, FACS, Hannover, erklärte, dass die Stoßwellentherapie kongenial in der Therapie des sekundären Lymphödems einzusetzen sei, da es das VEGF-C Protein simuliere und damit nebenwirkungsfrei die Lymphangiogenese anrege. Studien zeigten, dass jene Therapieform die klassische Lymphödemtherapie nach lymphmikrochirurgischen Eingriffen ergänzen könne und dadurch Volumenreduktion, positive Auswirkungen auf die Elastizität der Haut sowie eine verbesserte Hautdicke erzielt würden.
Den Zusammenhang zwischen psychischer Belastung und dem Kohärenzsinn, bestehend aus den drei Faktoren Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit, stellte Katharina Loibnegger-Traußing, MSc, Wien, Österreich, vor. Die Psychologin präsentierte zudem eine Studie, die ergab, dass Patientinnen und Patienten ihre eigene körperliche Gesundheit besser einschätzen könnten, je höher ihr Kohärenzsinn sei. Da die psychische und körperliche Gesundheit stark miteinander verbunden seien, sollte in Behandlungsgesprächen der Kohärenzsinn der Betroffenen besonders gestärkt werden.
Das Team des 9. Lymphkliniktages Wolfsberg lud anschließend zum gemeinsamen Abendessen und Austausch ein.
II. Diagnostik und Therapie kindlicher Lymphödeme
Der zweite Tag startete mit der Diagnostik und Therapie kindlicher Lymphödeme unter dem Vorsitz von Dott. Alberto Onorato, PhD, Udine, Italien, und Andrzej Szuba, MD, PhD, Breslau, Polen. Dabei wurde auf die Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis zu Genetik und Malformationen eingegangen. Abschließend kritisierten die Vorsitzenden das Fehlen einheitlicher Standards zur Diagnosestellung und Behandlung von Lymphödemen bei Kindern in vielen Ländern.
Prof. Jean-Paul Belgrado, PhD, Brüssel, Belgien, erörterte die Problematik von konventionellen Diagnosetechniken bei Kindern mit Lymphödem, da jene nicht immer verlässlich seien. Der Referent stellte alternative Untersuchungsmöglichkeiten vor und empfahl, diese zu kombinieren. So könne eine gesicherte Diagnosefindung stattfinden.
In seinem Vortrag zu genetischen Aspekten zeigte Prof. Miikka Vikkula, MD, PhD, Brüssel, Belgien, dass das primäre Lymphödem genetisch heterogen sei und lymphatische Malformationen sporadisch auftreten könnten. Auffällig sei zudem, dass bei 88 % der weiblichen und nur bei 23 % der männlichen Patienten ein Lymphödem entstehe, wenn monogenetische Veranlagungen vorlägen.
Welche Besonderheiten es bei der ambulanten Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit Lymphödem zu beachten gebe, vermittelte Eva-Maria Streicher, München. Dabei hob die Physio- und Ödem-Therapeutin die Relevanz der 5. Säule der komplexen physikalischen Entstauungstherapie (KPE), des Selbstmanagements, hervor, wobei dieses meist von den Eltern ausgeführt würde. Dabei sei die aktive Einbeziehung der Kinder genauso wichtig wie die ausführliche Schulung der Eltern, um die Motivation der kleinen Patientinnen und Patienten zu fördern.
Prof. Laurence M. Boon, MD, PhD, Brüssel, Belgien, präsentierte neue Therapien bei Lymphatischen Malformationen. Dabei sei eine multidisziplinäre Zusammenarbeit notwendig, da konventionelle Behandlungen wie Sklerotherapie, Phlebografie oder chirurgische Eingriffe an ihre Grenzen stößen. Anschließend bestätigte sie die Wirksamkeit des Medikaments Sirolimus anhand einer durchgeführten Studie.
III. Comorbiditäten und Differntialdiagnosen
Den dritten Teil des Symposiums startete Univ. Prof. Dr. med. Lars-Peter Kamolz, MSc, Graz, Österreich, mit seinem Vortrag zur Behandlung von Verbrennungen bei Kindern und Jugendlichen. Hier beschrieb er, dass eine der häufigsten Ursachen für Verbrühungen und Verbrennungen bei Kindern der Kontakt mit Haushaltsgegenständen wie z. B. der Herdplatte oder dem Stromkabel sei. Das Ausmaß der Verletzung sei dabei von der Temperatur, Lokalisation, Ausdehnung, Tiefe und der Verbrennungsart abhängig. Um Problemen bei der Narbenbildung vorgreifen zu können, würden in der Praxis Kompressionstherapie, Kortison-Injektionen, Silikonprodukte etc. zum Einsatz kommen.
Dr. med. Gabriele Faerber, Hamburg, fokussierte sich auf den Lebensstil und die Ernährung. Die Adipositas beeinflusse die lymphatische Funktion und verursache eine Verschlechterung aller Arten von Lymphödemen. Neben der spezifischen Lymphtherapie sei eine Ernährungs- und Lebensstilintervention notwendig, um die Hyperinsulinämie und die chronische Inflammation zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Eine ketogene Ernährung sei laut Dr. med. Faerber einen Versuch wert und könne sowohl bei Lymphödemen als auch bei Adipositas empfohlen werden.
Dr. med. Bianca-Karla Itariu, PhD, Wien, Österreich, erklärte in ihrem Vortrag, dass bei Lymphödem und Adipositas zwei Welten aufeinanderträfen. Bei Patientinnen und Patienten mit beiden Krankheitsbildern würden sich beide reziprok bedingen und den Verlauf verkomplizieren. Die Referentin führte weiter aus, dass trotz neuer Leitlinien zum konservativen Management von Adipositas noch weiterer Forschungsbedarf bestehe, da es noch viele Fragen und Unklarheiten zu den komplexen Hintergründen beider Krankheiten gebe.
In seinem Vortrag „Lymphödem und Comorbiditäten – Diagnostik und Therapiemöglichkeiten bei komplexen Fällen“ stellte Andrzej Szuba, MD, PhD, Breslau, Polen, unterschiedliche Fallbeispiele von Begleiterkrankungen vor. Des Weiteren klärte der Mediziner über Mythen zu Kontraindikationen von Kompressionstherapie auf, da diese tatsächlich, neben der Wundpflege, zu den wichtigsten Behandlungsmethoden gehöre.
In ihrem Vortrag zum transversalen Druck stellten Dr. med. Alfred Obermayer und Ing. Reinhard Bauer, beide aus Melk, Österreich, ihre sogenannte „Sackerl-Theorie“ vor. Hierbei würde der transversale Druck durch Gravitation, welche durch die lymphpflichtige Last entstehe, hervorgerufen. Als konservative Therapieform informierten die beiden Referenten über die Kompressionstherapie mittels Wasser, die durch ein Dynamic Hydrostatic Compression System umgesetzt würde.
Zum Abschluss des dritten Themenblocks präsentierte Assoc.-Prof. Dr. med. Giacomo Rossitto, MD, PhD, Padua, Italien, die „lymphatische Homöostase bei cardio-reno-vaskulären Erkrankungen“. Dabei stellte der Kardiologe Studienergebnisse zum Vorkommen von Natrium im Körper vor und demonstrierte, dass eine klare Differenzierung zwischen Schwellungen bei Herzinsuffizienz und Lymphödemen nicht immer möglich sei.
Die Veranstaltung überzeugte durch namhafte Referentinnen und Referenten aus Deutschland, Österreich, Italien und Belgien. Sie ließen mehr als 250 internationale Teilnehmende aus Österreich, Deutschland, Schweiz, Polen, Belgien, Kroatien, Tschechien, Italien, Slowakei, Slowenien, Spanien und Ungarn den Lymphkliniktag als praxisrelevante Fortbildung erleben. Mit großer Freude kündigten die Kongress-Verantwortlichen den 10. Lymphkliniktag am 25. und 26. April 2025 an. Am nächsten Symposium in Wolfsberg werde der Fokus auf Innovation in Diagnose und Theraphie wie auch auf Informationen zu der neuen Leitlinie Lipödem und der noch in Bearbeitung stehenden S3-Leitlinie Lymphödem liegen.
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