Im Rahmen der Mechatronik Tage vom 15. bis 16. September 2008 im Kongresszentrum Karlsruhe befasst sich eine spezielle medizintechnische Session anhand ausgewählter Vorträge mit dem Potenzial der Bio-Mikrosystemtechnik, d. h. dem Einsatz von mikrotechnisch basierten Systemen in den Life Sciences, der Medizin und der Biomedizintechnik. PD Dr. Andreas Guber, Forschungszentrum Karlsruhe, stellt in einem Einführungsvortrag die wichtigsten Themen der Bio-Mikrosystemtechnik vor, die thematisch von den Biomaterialien über Biosensorik, Tissue Engineering ("Gewebezüchtung") hin zur minimal invasiven Diagnostik und Therapie in der Chirurgie reichen. Diese werden anschließend in einzelnen Fachvorträgen vertieft.
Mikrosystemtechnik für Medizinprodukte - Schnelle schmerzfreie Diagnose und effiziente Medikamentenzuführung
Die Lebenswissenschaften entwickeln sich als wichtigstes Anwendungsgebiet der Mikro-Nano-Technologie. Zukünftig werden eine viel größere Anzahl von Medikamenten für eine kleinere Anzahl von Patienten eingesetzt werden mit dem Vorteil einer sehr spezifischen hohen Wirksamkeit; dies gelingt mit einer genauen Diagnose und Lokalisierung der Krankheit sowie mit einer Klassifizierung des Patienten, um eine hohe Wirksamkeit des Medikamentes zu sichern und gefährliche Nebenwirkungen auszuschließen.
Mikro-Nano-Technologie wird eingesetzt zur Entwicklung neuer Pharmawirkstoffe, neuer Medikamentenzuführungssysteme sowie zur schnellen schmerzfreien Diagnose. Mit heute bereits verfügbaren Bio-Chips können mit kleinsten Mengen Blut oder anderen Körperflüssigkeiten schnelle Diagnosen vor Ort (Point of Care) durchgeführt werden. Mit dem Mikrospektrometer von Boehringer Ingelheim micro Parts kann heute mit Bilirubin der erste Blutwert berührungslos mit optischer Spektroskopie bestimmt werden. Als Beispiel für ein neues Medikamentenzuführungssystem, das erst durch die Mikrosystemtechnik ermöglicht wurde, führt Dr. Reiner Wechsung, Boehringer Ingelheim micro Parts GmbH, den treibgasfreie Zerstäuber Respimat an, der für die Behandlung von Atemwegserkrankungen eingesetzt wird.
Derzeitige Forschungsvorhaben in aller Welt mit Nanopartikeln als Medikamententrägern haben zum Ziel, Krankheitsherde wie z. B. Krebs lokal begrenzt zu behandeln, ohne gesundes Gewebe der Umgebung zu schädigen. Auf diesem Gebiet laufen die ersten klinischen Tests, sodass in einigen Jahren mit einem echten Durchbruch in der Krebstherapie gerechnet wird.
Einsatz von Formgedächtnis- und superelastischen Legierungen in der Medizintechnik
Legierungen, die, wie z. B. Nickel Titan (NiTi), nach einer reversiblen Gittertransformation (martensitische Umwandlung) ihre geometrische Form ändern können, nennt man Formgedächtnislegierungen. Man unterscheidet zwischen dem thermischen Formgedächtniseffekt, einer Legierung, die unterhalb einer bestimmten Temperatur scheinbar plastisch verformt werden kann und sich beim nachfolgenden Erwärmen wieder an ihre Ursprungsform erinnert, und dem mechanischen Formgedächtniseffekt, einer Legierung, die nach Einwirken einer äußeren Spannung eine hohe scheinbar elastische Verformbarkeit aufweist.
Die exzellente Biokompatibilität, Knicksicherheit, Spannungskonstanz und MRI-Kompatibilität haben dazu beigetragen, dass NiTi ein für die Medizintechnik nicht mehr wegzudenkender Werkstoff geworden ist. Aktuell wird die Legierung bei Instrumenten für die Neurochirurgie, Gefäßchirurgie und Herzchirurgie eingesetzt. Bernd Vogel, ENDOSMART GmbH, beschreibt Entwicklungen im Bereich der Medizintechnik, die auf den Eigenschaften der NiTi-Legierung basieren.
Stentsysteme - innovative Technologien und zukünftige Anwendungen
Stents sind filigrane, zylindrische, meist aus Metallen gefertigte Mikropräzisionsimplantate, mit in der Regel maschenförmigen Strukturen, zur Aufweitung bei Gefäßverengungen. Aufgrund ihres minimalen Operationsrisikos verzeichnen diese mikromechanische Bauteile einen großen Erfolg.
Der kontinuierliche Trend zur Miniaturisierung in Verbindung mit minimalinvasiven Applikationstechniken, findet sich in makro- und mikromechatronischen Lösungen während des eigentlichen Entwicklungs- und Herstellungsprozesses dieser Implantate: Eine Vielzahl an biomedizinischen Anforderungen, z. B. hinsichtlich Funktionsprinzipien, Systemkomponenten, Sicherheit und Biokompatibilität sind im finalen Produkt zu integrieren. Bahnbrechende Konzepte für fortschrittliche Stentsysteme werden beispielhaft an koronaren und peripheren Stents, Filtersystemen, herzinternen Verschlusssystemen (PFO) und Herzklappen-Systemen (PAV) charakterisiert. Neben ingenieurstechnischen Produkt-Entwicklungsmethoden beschreibt Gerd Siekmeyer, Admedes Schuessler GmbH, die Komplexität und Umsetzungsstrategie zur Realisierung von medizinischen Ultrapräzisionsimplantaten, die sich aus der Balance zwischen verschiedenen klinischen, designtechnischen und herstellungsbedingten Notwendigkeiten bzw. Zulassungsvorschriften ergeben.
Neue und innovative textile Technologien, meist aus polymereren Monooder Multifilamentfasern, die die klinischen Applikationen reiner metallischer Stentsysteme erweitern, werden kurz erläutert und deren zukünftiges Anwendungspotenzial, wie z. B. bei Stentsystemen für ein abdominales Aortenaneurysma (AAA) dargestellt. Mikromechatronische Trends und Entwicklungen von Stentsystemen (z. B. an metallischen, biodegradierbaren oder polymeren Stentsystemen) werden präsentiert. Neue medizinische Anwendungsgebiete für Mikro-Stentsysteme im neuronalen Bereich runden diesen Vortrag ab.
"Tissue Engineering" - Herstellung funktioneller künstlicher Gewebe für Anwendungen in den Lebenswissenschaften
Die Fähigkeit des menschlichen Körpers Gewebe oder Organfunktionen zu regenerieren nimmt mit zunehmendem Alter ab. Dies führt zu Erkrankungen, die bislang oft nur symptomatisch behandelt werden können. Die vergleichsweise junge Wissenschaftsdisziplin Tissue Engineering (Gewebezüchtung) hat sich zum Ziel gesetzt, funktionelle Gewebe als biologischen Ersatz zu erzeugen. Dies geschieht mit Hilfe von lebenden Zellen, die in speziell dazu entwickelten Bioreaktoren kultiviert werden.
Solche künstliche und langzeitstabile funktionelle Gewebe können außer in einer klinischen Anwendung als humane Gewebe auch in der biologischen Grundlagenforschung, der Toxikologie oder der Pharmaentwicklung außerordentlich nützlich sein.
Nach einer kurzen Einführung in dieses interdisziplinäre Feld wird Dr.-Ing. Giselbrecht, Forschungszentrum Karlsruhe, vorzugsweise die material- und ingenieurwissenschaftlichen Aspekte des Tissue Engineering, in seinem Vortrag vorstellen.
Durch die Miniaturisierung von Bauteilen und die Integration von mikrotechnisch gefertigten Komponenten und Subsystemen gelingt die weitere Optimierung von verfügbaren Gerätschaften sowie Realisierung von gänzlich neuartigen Systemen. Durch den konsequenten Einsatz der Bio-Mikrosystemtechnik sind daher in der Zukunft weitere neuartige technische Innovationen in den oben genannten Gebieten zu erwarten, die der einschlägigen Industrie und/oder den damit zusammenhängenden Forschungs- und Entwicklungsgebieten zugute kommen.
Das aktuelle Konferenzprogramm der Mechatronik Tage können Sie unter wwww.mechatronik-tage.de einsehen.
Die Mechatronik Tage im Überblick:
Teilnahmegebühr:
2-Tagesticket, regulär 330,00 Euro (Frühbucher 235,00 Euro)*
2-Tagesticket, ermäßigt 119,00 Euro (für Hochschulangehörige)
2-Tagesticket, Studierende 20,00 Euro
(alle Preise inkl. 19% MwSt.)
* bis 29.08.2008
Veranstaltungsort:
Kongresszentrum Karlsruhe, Festplatz, 76137 Karlsruhe
Veranstaltungszeiten:
15. bis 16. September 2008, 08:00 bis 18:00 Uhr
Wissenschaftlicher Leiter der Mechatronik Tage:
Prof. Dipl.-Wirtsch.-Ing. Fritz J. Neff
Hochschule Karlsruhe - Technik und Wirtschaft
Fakultät für Maschinenbau und Mechatronik
Moltkestraße 30
76133 Karlsruhe
Weitere Informationen:
Karlsruher Messe- und Kongress-GmbH
Jochen Georg
Projektleiter
Tel.: +49 721 3720-5140
E-Mail: jochen.georg@kmkg.de
www.mechatronik-tage.de