Suhrkamp begab sich in der Folge auf die Suche nach einem Raumkonzept, das die Identität des Verlages widerspiegeln sollte. Gebraucht wurde ein Maßanzug, der schlicht und elegant mit einem geringen Budget anzufer- tigen war und der, obwohl enger geschnitten als der alte, den etwa 135 Mitarbeitenden wie angegossen passen sollte.
Natürlich war den Planern von Kinzo der Hauptprotagonist des Innenraums klar: Das Buch. Oder vielmehr die Bücher. Oder noch treffender: die abertausenden von Büchern! Unsere Vision war ein Haus, das anstatt auf Wänden und Stützen auf geschosshoch gestapelten Bänden ruht. Die Bücher sollten als emotionaler und atmosphärischer Baustein das Tragwerk bilden und zugleich das tägliche Arbeitsinstrument sein. Entsprechend mussten Regale her, viele Regale, die beinahe jede freie Fläche an den Wänden auszufüllen hatten und diese gleichsam ersetzen. Doch wie sollten die gewaltigen Buchbestände des Suhrkamp Verlags überhaupt ausreichend Platz in Wandregalen finden? Eine Überarbeitung des gesamten Grundrisses brachte die Antwort: Kinzo fächerte den Grundriss auf und ließ die Wände, einer inneren Fassade gleich, durch die 6 Geschosse des Gebäu- des in Form eines Zickzacks meandern. Durch diesen Kniff wurden nicht nur mehr Wandfläche und damit laufende Regalmeter geschaffen, sondern zugleich konnte die Fläche der Zimmer optimiert und kleine Nischen geschaffen werden – für alle Mitarbeitenden nutzbar als Rückzugräume für spontane Meetings, Kommunikationsinseln, Think Tanks oder Telefonkabinen.
Die Bühne gehört selbstverständlich aber ebenso den Mitarbeiter*innen des Suhrkamp Verlags, die neben den Büchern die zweite Hauptrolle spielen. Mit einem heterogenen Angebot, das sich auch im Grund- riss wiederfindet, geht Kinzo auf alle räumlichen Bedürfnisse der unterschiedlichen Mitarbeitenden ein, so auch auf die Lektor*innen. Zunächst war es eine große Herausforderung, alle gewünschten Lektoratszimmer unterzubringen. Nicht nur stand weniger Fläche als im alten Verlagssitz zur Verfügung, auch die Verteilung der Fläche über sechs anstelle von zuvor zwei Geschossen führte zu Raumknappheit, denn immerhin waren bei jedem einzelnen Stockwerk Flächen für die Erschließungskerne, Flure und Toiletten vorzusehen. Die konische, spitz zulaufende Form des Gebäudes machte es den Planern von Kinzo auch nicht leichter. Früh war klar, dass die Zimmer für die Lektorierenden klein und maximal effizient geplant werden mussten. Das Ergebnis sind durchschnittlich 9m2 große Räume mit beinahe bodentiefen Fenstern, durch die viel Tageslicht hereinströmt.
Anstelle von Enge vermitteln die Zimmer eine Geborgenheit und Konzentriertheit. Die Tür jedes Lektoratszimmers ist so geplant, dass wenn sie geöffnet ist, ein bündiger Abschluss mit dem Regal entsteht und beinahe in diesem zu verschwinden scheint. Dadurch öffnet sich der Raum zum benachbarten Open Space des gro- ßen Büros und wird, einer natürlichen Ausbuchtung gleich, zu dessen Erweiterung. Die große Ausgleichsfläche des Büros wirkt nicht nur als Gegengewicht zu den kleinen Zimmern, durch die fließenden Übergange bei geöffneter Tür wird zugleich eine raumübergreifende Arbeit mit Kommunikation auf Augenhöhe räumlich gefördert.
Der Open Space, in dem alle restlichen Arbeitsplätze organisiert sind, wird an der spitzen Seite des Gebäudes geschossweise abwechselnd von Teeküchen oder Konferenzräumen gesäumt. Diese zeichnen sich durch eine hohe Aufenthaltsqualität und den Ausblick durch die großen Panoramascheiben in die Achse der urban belebten Linienstraße und auf den Rosa-Luxemburg-Platz aus. In einem der Konferenzräume sind alle Möbel auf Rollen, entsprechend lässt sich der Raum je nach Bedarf umfunktionieren. Ein eigens angefertigtes, bei Bedarf aufklappbares Whiteboard verdeckt das schwarze Loch eines großen Bildschirms. Intern verbunden werden die Konferenzräume und Teeküchen – und damit die Geschosse – über die so genannte „narrative Treppe“, die ab dem ersten Geschoss im schrägen Winkel bis ins sechste Geschoss läuft. Ihren Namen erhielt die Treppe wegen des beeindruckenden Regals, das dem steilen Treppenverlauf gleich einem dramatischen Erzählfaden folgt. Das Regal aus Eiche greift die Materialität der Treppenstufen auf.
Das Farbkonzept der verwendeten hochwertigen Materialien und Möbel gibt sich betont ausgewogen. Ausgleichend zur lebendigen Buntheit der tausenden von Buchrücken, evozieren die eingesetzten Farben eine größtmögliche Ruhe. Alle stoffbezogenen Einbaumöbel sind dunkelblau, während die lose Möblierung Primärfarben aufgreift und sich hier und da akzentweise vom grauweiß melierten Teppichboden der Büros abhebt. Dieser fügt sich wiederum harmonisch ins Farbschema des rauen Graus der Sichtbetondecken mit sichtbarer Schalung, dem eleganten Weiß der Regale und dem minimalistischen grauen Farbton der Brüstungen und Laibungen. Hochwertige ebenfalls graue Rollos runden das Konzept ab. Der aufmerksame Gast (und die Mitarbeitenden sowieso) wird bemerken, dass die kleinen Rückzugs- und Besprechungsnischen mit ihren Textiltapeten das jeweils individuel- le Fliesenmuster der Toiletten jedes Stockwerks aufgreifen – eine Verspieltheit in der Gestaltung, die jedoch für Intimität sorgt.
Kinzo hat die verhältnismäßig kleine Fläche des Suhrkamp Verlags optimiert. Nicht nur konnten alle Bücher und Regale in das Haus integriert werden, es wurde außerdem ein Raumangebot geschaffen, das den unterschiedlichen Anforderungen der Nutzer zugleich maßgeschneidert und flexibel gerecht wird. Obwohl mit hochwertigen Materialien und Produkten gearbeitet wurde und viele Einbauten erst individuell ange- fertigt werden mussten, blieben unsere Lösungen kostengünstig und im Rahmen des vorgegebenen Budgets. Kinzo konnte mit dem Suhrkamp- Projekt die über Jahre gewachsene Expertise im Büroinnendesign unter Beweis stellen und zugleich eine neue Tür aufstoßen, indem den besonderen Anforderungen und Bedürfnissen eines traditionsreichen Verlags, einer Institution der Hochkultur, umfassend Rechnung getragen wurde.
Das Suhrkamp Haus scheint nicht auf Wänden zu ruhen, sondern auf Bücherregalen, sehr vielen Bücheregalen. Die umfangreichen Bestände des Verlags sind auf insgesamt 4.893 laufenden Regalmetern untergebracht. Das ist in etwa die Strecke vom Alexanderplatz zum Großen Stern oder 13 Mal die Höhe des Fernsehturms. Durch die Überarbeitung des Grundrisses, welche beinahe eine Verdopplung der Regallaufflächen ermöglichte, war die zentrale Herausforderung der Unterbringung aller Bücher zum Großteil gelöst – und nebenbei die Akustik der Räume entscheidend verbessert. Nun galt es noch, die Aufteilung der Regalfächer so zu optimieren, dass eine maximale Flexibilität geboten werden konnte. Zugleich sollten die Stollen, Schotten und horizontalen Regalböden möglichst gleichmäßig, zurückhaltend und neutral wirken, um den Büchern nicht die Show zu stehlen.
Kinzo entwickelte ein eigenes Regalbodenraster mit einer individualisierten Lochreihe für zwei verschiedene Optionen, die Regalböden einzusetzen. Dafür wurde der ideale Abstand zwischen den Regalböden ermittelt und ein normales Maß (für die meisten Bücher) und ein anderthalb so hohes Maß (für große Bücher und Ordner) festgelegt. Entsprechend konnte die Lochreihe erheblich reduziert werden. Im Open Space weisen die Regale die ideale Tiefe von 30cm auf, um Ordner an der Regalkante abschließend unterzubringen. In den kleinen Lektoratszimmern und in den Einzelbüros musste Platz gespart werden – hier war eine Regaltiefe von 21,5 cm vollkommen ausreichend.
Damit dennoch Ordner ins Regal der Lektor*innen passen, wurden puristische Holzkisten aus Seekieferplatten entwickelt, in die Ordner gestellt werden können. Die Holzkisten lassen sich passgenau und stabil je nach Bedarf in die hohen Fächer schieben.
Die aus dem Regal herausragende lackierte Holzoberfläche, die mit ihrer Honigfarbe Wärme ausstrahlt, setzt einen Akzent und harmoniert zugleich ideal mit der melaminbeschichteten weißen Kante des Regals, dem Sichtbeton der Decke und der Farbigkeit der Bücher. Seekiefer wird als Material auch beim Empfangstresen aufgegriffen sowie in den Teeküchen und kleinen Meetingräumen, also überall dort, wo Gemeinschaft entsteht. Die Umsetzung erfolgte in enger und konstruktiver Zusammenarbeit mit den Innenausbauern von Raumeffekt.
Die Beleuchtung der Bücher erfolgt entweder über in die Lochdecke integrierte oder ins Regal eingefasste Leuchten, die auch die Räume mit indirektem Licht versorgen. Die Lichtschienen sind exakt so platziert, dass jede Buchreihe beleuchtet wird, sogar die unterste. Durch die Fächerung der Regale erscheinen die parallel verlaufenden Lichtschienen beinahe wie Blitze und verleihen dem Gebäude in der Dämmerung und nachts von außen betrachtet eine besondere Dynamik und Tiefe.