Neue Erkenntnisse
Was mit den Corona-Home-Konferenzen ebenfalls aufkam, sind die technischen Möglichkeiten, Meetingteilnehmer unmittelbar zu befragen: Über ihre Erfahrungen, Erwartungen und ihre Motivation. Erst jetzt wird das Ausmaß dessen erkennbar, was Unternehmen an Geld und menschlichen Ressourcen verbrennen.
Millionen verbrennen in Meetings
Laut einer aktuellen Studie von TimeInvest kostet Unternehmen mit 100 Mitarbeitern die in Meetings verschwendete Zeit rund 570.000 Euro jährlich, bei 10.000 Mitarbeitern sprechen wir bereits von 57 Millionen. Uneffektive Meetings sind also nicht nur frustrierend und nervig, sondern vor allem: teuer!
„Meeting steht – Bügelfalte sitzt“, dieser Spruch aus unserem Büro bringt die Motivationsausfälle auf den Punkt. Wenn das Heißeste am Zoom-Termin das Bügeleisen ist und das nächste Hemd bei ausgeschalteter Kamera frisch zu machen einen Moment der Zufriedenheit bringt, dann birgt das langfristig große Gefahren. Abtauchen in einer gelangweilten, unbeteiligten Meeting-Kultur frustriert Mitarbeitende, der Krankenstand steigt und dem Unternehmen gehen wichtige Impulse einer vitalen Belegschaft verloren.
Während Forscher und Arbeitsgruppen über veränderte Tagesordnungen oder stehende statt sitzender Formate nachdenken, geht es längst auch darum, die Belegschaft aus der online-erlernten Empfängerhaltung herauszuholen. „Wir machen oft die Erfahrung, dass sich die Einzelnen viel zu wenig bewusst darüber sind, welchen Anteil sie an einem Gesprächsverlauf haben können“, sagt Medientrainerin und Fernseh-Profi Ulrike Gehring. Bei Interviews, die sie mit Klienten für deren Training „im On“ führt, erlebt sie immer wieder überraschte Reaktionen bei der Selbsterfahrung, wie die gut pointierte Antwort den Weg zur nächsten Frage leitet. Dann macht es Spaß, dann gibt es ein gutes Ergebnis.
Date mit dem Außen-Ich
Im neuen Trainingsformat „Daten Sie Ihr Außen-Ich: Konferenzrhetorik“ geht es dem Meeting-Frust offensiv zu Leibe: Das Fernsehstudio wird zum Diskussions-Labor, die Teilnehmenden erleben sich selbst von außen, aufgezeichnet mit 4 Kameras. In den Analysen der Videoprotokolle verfeinern sie ihre individuellen Rhetorikfähigkeiten und werden motiviert, konstruktive Gesprächsführung voranzutreiben. Längst nicht immer sind die am lautesten vorgetragenen Ideen auch die Besten. Warum es trotzdem allzu oft eine zweitklassige Idee ins Ziel schafft, hat viel mit geheimen Mechanismen am Konferenztisch und auf dem Bildschirm zu tun. „Es passiert viel mehr unterbewusst, als die Beteiligten ahnen“, sagt Gehring. Hierarchien, Rituale bis hin zu einem eingefahrenen Unternehmens-Sprech, setzen Rollen fest und verengen das Potenzial einer Gruppe.
Wir berauben uns unserer Instinkte
Der Konferenztisch ist wichtige Karriereschmiede: Das Gesagte prägt im besten Fall die Zielrichtung. Und wer gut führt, schart hier Kräfte fürs Vorankommen der Abteilung oder sogar des Unternehmens. Doch eingefahrene Muster sind eine große Gefahr. Und da lauert ein weiteres Problem, bei einer sich immer weiter festigenden Online-Meeting-Kultur: Wir berauben uns unserer Instinkte. Digital ist nicht gleich real! Der Großteil unserer Botschaften wird nonverbal kommuniziert und unbewusst aufgenommen. Manchmal entscheidet gar der Stuhl auf dem man sitzt über das eigene Fortkommen im Unternehmen. Viel mehr Zufall also, als man denkt? Nun, Psychologen würden sogar im Zusammenhang mit der Auswahl des Sitzplatzes vom Unterbewusstsein sprechen.
Wie fremdgesteuerte Passagiere im Flugzeug
Denn nicht einmal das hat man bei einem Online-Meeting in der Hand. Hier schalten sich Kacheln nebeneinander, die Reihengfolge hängt von Timing und Anfangsbuchstaben bei der Einwahl ab. Das Meeting beginnt also bereits mit Fremdsteuerung, allein durch technische Vorgaben. Der Arbeitgeber erhält die unfreiwillige Zuweisung der Rolle des „Piloten“, während die Belegschaft ergeben wie Passagiere hinten in der Maschine sitzt. Eine solche Rollenverteilung dürfte wohl die schlechteste Voraussetzung für Diskussionen auf Augenhöhe sein. Der Weg, die Zeit nebenher zu nutzen um Mails zu checken, ein bisschen zu googlen oder eben das Bügeleisen anzuwerfen, ist verlockenden nah. In Amerika gibt es jetzt einen eigenen Lehrstuhl zum Thema ineffiziente Firmenmeetings. Joseph Allen, Professor für I-O Psychology, mahnt: „Ein schlechtes Meeting bringt drei weitere hervor“. Ach Du liebe Güte.