Kann die Cloud eine Lösungsmöglichkeit sein? Wenn ja, welche Änderungen sind damit verbunden?
Die Cloud bietet viele Vorteile hinsichtlich eines skalierbaren Systems, einer aktuellen Diagnoseapplikation ohne komplexen Updateprozess, sowie einer Reduzierung der benötigten Hardware im Feld. Die in diesem Artikel beschriebene Plattform verbindet eine Offline-, sowie eine Cloud basierte Diagnose Lösung ohne den Bedarf an zusätzlichen Änderungen am Code der Applikation oder der Daten. Mit Hilfe unterschiedlicher Lizenzen können spezifische Anforderungen aus den Bereichen Entwicklung, Aftersales bis hin zum Endkunden abgedeckt werden.
Single Source als Grundsatz
Um dem Kunden einen verbesserten Support bieten zu können hat die Firma Vaillant entschieden das Service-Angebot um eine Cloud basierte Komponente für den Aftersales Bereich zu erweitern. Diese Lösung greift die zuvor entwickelten Komponenten der existierenden Diagnoselösung aus dem Entwickungsbereich auf und erweitert diese um eine Telematik Plattform. Zusätzlich soll die neue Plattform die Anwendungsfälle aus dem Entwicklungsbereich (erweiterter Support), dem technischen Kundendienst (Remote Wartung), sowie dem Endkunden (Steuerung von Heizungsfunktionen) abdecken und vereinheitlichen.
Die Grundlage bilden Standards aus der Automobilindustrie, welche ein Single-Source Konzept der Daten ermöglichen. Mit dem bereichsübergreifenden Einsatz wird die Abdeckung der gesamten Wertschöpfungskette der Firma Vaillant ermöglicht.
Ein Konzept und seine Harausforderungen
Das Diagnose-Konzept umfasst eine Telematik Plattform, einen zentralen Server und eine Web-basierte Benutzerschnittstelle um den gesamten Produktlebenszyklus abzubilden.
Das existierende System wurde durch eine Lösung mit standardisierten Komponenten aus der Automobilindustrie ersetzt. Der Funktionsumfang wurde ausgebaut und die Wart- und Erweiterbarkeit des neuen Systems erhöht. Wie in der Automobilindustrie üblich, musste die neue Lösung datengetrieben sein. Neue Heizungsgeräte und Plattformen der Firma Vaillant können daher über das Einspielen eines Datenpaketes hinzugefügt werden.
Die Grundpfeiler der zukunfsorientierten Architektur
Der erste Grundpfeiler ist der Einsatz von standardisierten Komponenten
- D-PDU API mit Anbindung der Vaillant spezifischen Protokolle
- MVCI MCD-3D Server
- ODX Daten
Die ODX Datenbank, welche in der Entwicklungsabteilung erstellt und freigegeben wird, ermöglicht eine durchgängige, datengetriebene Funktionalität über alle Einsatzgebiete und Anwendungsfälle der Diagnoselösung in der Vaillant Gruppe.
Den zweiten Grundpfeiler stellen die OTX-Abläufe dar. Das Konzept sieht einen vollumfänglichen, sowie bereichsübergreifenden Einsatz vor. Dies erfordert eine entsprechende Architektur und ein gemeinsames Verständnis der Autorenrichtlinien bei der Erstellung der Inhalte.
Damit unterschiedliche Abteilungen, bzw. verteilte Entwicklungszentren auf den Daten arbeiten können, werden diese in einem Versionsverwaltungssystem abgelegt. Meta-Informationen an den einzelenen OTX Prozeduren dokumentieren den Fortschritt und ermöglichen einen einheitlichen Workflow und Freigabeprozess.
Verbindung von Diagnose und Konnektivität
Um die zuvor beschriebenen Konzepte und deren Anwendungsfälle bereitzustellen umfasst die Lösung folgende 3 Hauptkomonenten
- Telematik Plattform mit Anbindung an den Heizungsbus
- Business Server zur Verwaltung der Kunden-Plattformen
- Client Web Oberflächen für die unterschiedlichen Nutzer und Einsatzgebiete
Die Telematik Plattform basiert auf einem Embedded Linux System, welches von der Firma Vaillant in Eigenregie entwickelt wurde. Die Anbindung an die Vaillant IT-Systeme erfolgt mittels GSM Schnittstelle oder das DSL / LAN des End-Kunden.
Einen wesentlichen Aspekt stellt die Sicherheit der Schnittstelle und der Kundendaten dar, daher wurde diese Smart Home Lösung vom VDE abgenommen und zertifiziert.
Wie in der Abbildung dargestellt bietet die Telematik Plattform ein Use-Case basiertes Interface zum Business-Server. Als Kommunikationsmittel kommt das Telematikprotokoll MQTT zum Einsatz. Die Schnittstelle wird vom Business Server mittels RPCs (Remote Procedure Calls) bedient. Um die Kommunikation im GSM Fall zu optimieren wird ProtoBuf eingesetzt.
Für die Erstellung der Kommunikationsstrukturen und deren Methoden (Java Interfaces) wurde ein Generator implementiert, welcher die ProtoBuf Nachrichten generiert. ProtoBuf dient dabei der (De)Serialisierung der Objekte in einen komprimierten Bytestream.
Der Box Client auf der Telematik Plattform ist eine Java Applikation. Diese ermöglicht zusätzlich zur Ausführung der in der Abbildung dargestellten Use-Cases die Definition von zyklischen Aufgaben. Die Ergebnisse werden dann dem Business Server zur Verfügung gestellt.
Zu diesen Aufgaben gehören
- Fehlerspeicher: Bei neuen Einträgen werden diese automatisch an den Business Server kommuniziert. Danach erfolgt die Benachrichtigung des verantwortlichen Service-Technikers.
- Topologie Scan: Überwachung der am Bus befindlichen Steuergeräte und ihrer Zustände
- OTX Jobs: Experten Interface zur Ausführung von beliebigen OTX Abläufen. Diese können jederzeit auf die Box geladen werden.
Erfahrungen aus dem Feld
Nach der Integration der beteiligten Komponenten konnte die Anwendung vor etwa 2 ½ Jahren den produktiven Betrieb aufnehmen. Zuerst wurde das System mit Feldtest Geräten validiert. Nach der Freigabe wurden die Telematik Plattformen in mehreren Phasen an die End-Kunden ausgeliefert und von den Service-Technikern in Betrieb genommen. Das alte System konnte somit erfolgreich abgelöst werden.
Beim Betrieb wurde erkannt dass die Performance der Telematik Plattform den gestellten Anforderungen nicht gerecht werden konnte. Mit Hilfe von Performenceanalysen wurde die ausgewählte CPU als limitierender Faktor ausgemacht. Vorallem die Ausführung von Java Code erwies sich als Problem.
Mit Hilfe dieser Erfahrungen wurde die Telematik Plattform 2.0 in Auftrag gegeben. Diese befindet sich momentan im Freigabeprozess und wird noch im Laufe des Jahres an die Kunden ausgeliefert.
Der neue Controller mit verbesserter Fließkommaberechnung und Unterstützung für die ausgewählte Java VM brachte den größten Performance Gewinn. Die Problemstellung war die passende Kombination aus Prozessor, Linux Betriebssystem und passender Java VM zu finden. Weder die CPU Taktung noch die Größe des Arbeitsspeichers waren die limitierenden Faktoren der alten Hardware.
Ein weiterer Lerneffekt war, dass OTX als "richtige" Programmiersprache behandelt werden muss um die Vorteile der prozeduralen, grafischen Programmierung nützen zu können. Vor der Erstellung der Abläufe liegt der Fokus daher auf der Definition der Authorenrichtlinien, dem Einsatz von Design-Pattern und der aussagekräftigen Spezifikation der benötigten Funktionalität.
In einem weiteren Entwicklungsschritt wird der Funktionsumfang der Service-Lösung nun ebenfalls erweitert. Eine der neuen Funktionen ist die Geführte Fehlersuche. Diese ermöglicht dem Service-Techniker bereits per Remote-Diagnose die Funktionalität zu prüfen und Rückschlüsse aus dem Fehlerbild bzw. möglicher Symptome zu ziehen. Der Service-Techniker kann somit schon vor der Fahrt zum Kunden, Entscheidungen treffen und gegebenenfalls die richtigen Ersatzteile zur Reparatur mitnehmen.
Ausblick: zukünftige Cloud Diagnosesysteme
Das hier beschriebene System stellt die Vorteile einer datengetriebenen Diagnoselösung unter Beweis. Die Verteilung der benötigten Daten erfolgt automatisch per Update. Daher können End-Kunden wie Service-Techniker vom aktuellsten Stand der Funktionalität der Vaillant Produkte und des Aftersales Diagnose-Systems profitieren.
Durch den Einsatz der bewährten Standards aus der Automobilindustrie kann diese Plattform auf die unterschiedlichsten Anwendungsgebiete verschiedener Industrien angepasst werden.
Änderungen müssen dazu an folgenden Komponenten getätigt werden
- Protokollimplementierung in der D-PDU API Schnittstelle
- Abbildung der ECU Diagnosefunktionen in den ODX Daten
- Anpassung des spezifischen Verhaltens der ECUs in den OTX basierten Diagnoseabläufen.
Darüberhinaus bietet die Lösung die idealen Voraussetzungen um die "Right to Repair" Gesetzgebung in der Automobilindustrie zu erfüllen. Dank der unterschiedlichen Benutzerrollen und -sichten kann dieses System dort einen wichtigen Beitrag leisten. Die Teilkomponenten können je nach Bedarf zwischen Server und Werkstatt verschoben werden. Auf die Sicherheit der Daten und Abläufe wurde im besonderen Maße Wert gelegt.
Mit dem Einsatz der KPIT Autorensysteme für die ODX Daten und die OTX Diagnoseabläufe und der Anbindung an das KPIT Framework zur Ausführung in der Cloud wurde ein skalierbares System geschaffen, welches beliebige Kundenanforderungen im Diagnosebereich erfüllt.
Original veröffentlicht in der HANSERautomotive, Ausgabe 5-6, 2015