"Die Konferenz soll die aktuellen Entwicklungen präsentieren und zu Diskussionen anregen", erklärte Rainer Kehrle, der als Geschäftsführer des MAI Carbon Spitzenclusters die Veranstaltung moderierte. Für Kehrle ist die Konferenz ein wichtiger Schritt, die Netzwerke unter den Carbon-Entwicklern noch weiter zu vertiefen. Denn an Austausch und Entwicklungskooperationen besteht viel Bedarf. Das neue Werkstoffsystem Carbon muss noch an vielen Stellen erforscht und optimiert werden -- vom Materialverständnis über die Simulation bis hin zur Fertigung.
Wichtiger Aspekt der Konferenz war auch der Austausch zwischen den forschungsstarken Regionen, in denen Forschungsinitiativen die viel versprechenden Verbundwerkstoffe untersuchen und reif für den Markt machen wollen. Neben dem Spitzencluster in der Region München-Augsburg-Ingolstadt sind dies beispielsweise das CFK-Valley in Stade und der Forschungscampus ARENA2036 in Stuttgart. Am Forschungscampus arbeiten Industrieentwickler (Daimler, Bosch und andere Partner) mit Universitätsforschern gemeinsam an Fertigungsverfahren für automobile Leichtbaustrukturen, berichtet Peter Middendorf, Lehrstuhlinhaber des Instituts für Flugzeugbau an der Universität Stuttgart. Mit zwei Projekten ging die ARENA bereits an den Start. Zum einen entwickeln die Forscher ein Fahrzeug-Bodenmodul aus Verbundwerkstoffen. Der Demonstrator soll Crash-resistent sein und eine Vielzahl von Funktionen im Verbundwerkstoff beinhalten: Heizung, Sensoren, Elektrik. Auch das induktive Laden sollen die Forscher gleich mit einbauen, erklärte jüngst Daimler-Forschungsvorstand Thomas Weber.
Zum anderen wollen die Forscher einen sogenannten digitalen Prototypen entwickeln, der alle nötigen Modellierungs- und Simulationstools für die Bauteilauslegung und -fertigung umfasst. Ganz nach der Devise: "Was nicht simuliert werden kann, kommt nicht ins Fahrzeug", erklärt Middendorf.
Neue Herstellungsverfahren sollen die Prozesskosten senken. "Denn entscheidend für den Einsatz von CFK ist der Preis", berichtet Markus Thiessen, Vertriebschef von Compositence in Leonberg. Das Unternehmen hat ein Verfahren entwickelt, um Carbon-Faserbündel (Rovings) mit einem Roboterarm dreidimensional abzulegen. 16 Rovings richtet der Roboterarm in einem Arbeitsgang parallel aus. An den Enden werden die Faserbündel fixiert. "Der Verschnitt ist gering, die Ablegegeschwindigkeit hoch", sagt Thiessen. Drei Anwendungen hat Compositence schon im Portfolio: eine Carbontischplatte, einen Akustiksitz und ein Karosseriebauteil. Die Verschnitte liegen bei drei bis sieben Prozent. Je komplexer die Geometrie, desto höher fällt allerdings der Verschnitt aus. Diese Vorformlinge (Preforms) werden dann im nächsten Schritt zu Carbonteilen weiter verarbeitet.
Auch die Broetje Automation aus Wiefelstede hat CFK als Zukunftstechnologie erkannt. Broetje baut eigentlich Anlagen für die Montage von Flugzeugbauteilen. Produktmanager Raphael Reinhold stellte eine Produktionszelle vor, in der automatisiert Preforms in Form gebracht werden. Nach einem Technologiescreening hat sich Broetje für den RTM-Prozess entschieden. Dafür entwickelt der Automatisierungsspezialist Anlagen zum Drappieren, Teilehandling und Trimmen. Ein Roboterarm steht im Zentrum der Zelle und reicht das Bauteil von einem Fertigungsschritt zun nächsten. Hohe Stückzahlen sollen laut Reinhold kein Problem sein.
Hohe Stückzahlen, geringe Taktzeiten bei stabilen und robusten Prozessen - daran arbeitet Jaromir Ufer bei Voith Composites. Im Voith-Prozess legt ein Roboterarm die Rovings auf eine Platine, die dann ähnlich einem Tiefziehprozess in die endkonturnahe Geometrie umgeformt wird. Erste Umformversuche mit Quader- und Halbkugelgeometrien verliefen gut. Aktuell liegt die Ablegegeschwindigkeit der Faserrovings bei 6 kg/h, in der Perspektive soll das Verfahren bis zu 80 kg/h erreichen können.
Interessante Arbeitsbeispiele zeigten Frieder Heieck vom Institut für Flugzeugbau in Stuttgart und Olaf Rüger von Munich Composites. Eine vier Meter lange CFK-Kipperwand reduziert das Leergewicht eines LKWs um 330 Kilogramm gegenüber der Stahlvariante. Damit liegt der Nutzlastgewinn für leichtes Schüttgut wie etwa Getreide bei rund 2 Prozent, berichtet Heieck. Das gern gezeigte Flechtrad aus Ottobrunn (Gewicht unter 5 kg, geschätzter Preis von 11.000 Euro) demonstrierte für Geschäftsführer Rüger das Leichtbaupotenzial von CFK. Munich Composites ist Spezialist für das Umflechten von Hohlkörpern. Bislang kann der zu umflechtende Kern nur einmal verwendet werden. Um die Materialkosten zu reduzieren, haben die Ingenieure einen aus Elastomer bestehenden, aufblasbaren Kern entwickelt, der vor dem Infiltrieren des Flechtwerks entfernt und wieder verwendet werden kann. Rügers Exponate sind Leichtgewichte: der Carbon-Fahrradsattel wiegt nur 99 Gramm. Die Crashbox eines Autos für die Energieaufnahme im Fall des Falles ist 60 Prozent leichter als das originäre Alu-Bauteil.
Johannes Graf vom Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik und Elisabeth Ladstätter vom Lehrstuhl für Carbon Composites der TU München berichteten von Fortschritten im MAI-Carbon Leitprojekt MAI Plast. Es geht um durchgängige Prozessketten für thermoplastische CFK im Großserieneinsatz. Die Ziele: Kosten runter, Stückzahlen hoch. Verschiedene Ansätze und Technologien sollen dazu betrachtet und bewertet werden. Die Ausgangssituation beschreibt Ladstätter wie folgt: Bislang dauert das Aushärten eines Carbon-Autodachs rund 12 Minuten, in Zukunft soll das in 1 bis 3 Minuten möglich sein.
Weitere Vorträge brachten Beispiele aus der Flugzeugindustrie, erläuterten Möglichkeiten der Qualitätssicherung in der Automation sowie den Stand der Modellierung und Simulation von CFK-Bauteilen. "Da tut sich rasant viel", fasst ein Konferenzteilnehmer seinen Eindruck zusammen.